Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Wahlgewinner Sebastian Kurz am Freitag mit der Regierungsbildung beauftragt. So weit, so normal. Aber da in Österreich nach dieser Wahl nichts mehr wirklich normal ist, könnte Kurz am Ende doch als Verlierer dastehen. Dafür müssten die Sozialdemokraten allerdings eine Möglichkeit wahrnehmen, mit der sie zwar liebäugeln, die sie aber zerreißen könnte. Einzig die Rechten von der FPÖ können entspannt in die entscheidenden Wochen gehen.
Eine Dreiviertelstunde dauert das Treffen am Freitag in der Wiener Hofburg. Dann ist Sebastian Kurz mit dem Auftrag ausgestattet, auf den er die vergangenen Jahre hingearbeitet hat. Der konservative Wahlgewinner soll sich um die Bildung einer Regierung kümmern. Österreichs grüner Präsident Alexander Van der Bellen leitet damit fünf Tage nach der Wahl den nächsten logischen Schritt ein: Wer die meisten Stimmen hat, darf anfangen.
«Natürlich gerne» nehme er den Auftrag an, sagte Kurz nach dem Treffen. Ganz einfach wird das Unterfangen allerdings nicht. Und unter Beobachtung steht der wahrscheinlich zukünftige Bundeskanzler der Alpenrepublik zur Genüge.
Druck auf Kurz steigt
Nicht nur ganz Österreich fragt sich gespannt, welches Bündnis dabei herauskommt. Dass Heinz-Christian Straches Freiheitliche von der FPÖ als Koalitionspartner quasi gesetzt sind, lenkt auch die europäischen Blicke auf Wien. Das erhöht den Druck auf Kurz. Dass Strache auch ganz gut mit Christian Kerns Sozialdemokraten kann, dass sich Strache dem Vernehmen nach auf persönlicher Ebene besser mit Kern versteht als mit Kurz, steigert den Druck noch um einiges mehr.
Der 31-jährige Außenminister, der im vergangenen Mai seine ÖVP handstreichartig übernahm, was überhaupt erst der Ausgangspunkt war zu den vorgezogenen Neuwahlen vom vergangenen Sonntag, muss jetzt liefern. Sein persönliches Fiasko wäre eine rot-blaue Koalition. Indem sich seine Partei Kurz im Mai unterwarf, ihm gestattete, die schwarze ÖVP als türkise «Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei» in die Wahlen zu führen, kann auch als Vorschuss gesehen werden.
Den ersten Teil dieser unausgesprochenen Abmachung, den Wahlsieg, hat Kurz eingehalten. Ohne den zweiten, die Kanzlerschaft, bleibt dieser aber wertlos – und die Abrechnung der alten ÖVP mit ihrem jungen Erlöser wäre wohl nur mehr eine Frage der Zeit.
Von Chancen, Loyalität und Bierzelt-Credibility
Für Kurz ist es sozusagen die Chance of a Lifetime; zumal auch kaum vorstellbar ist, dass jemand wie er, der seit 2011 der Regierung angehört, seit 2013 als Chefdiplomat fungiert, sich die kommenden fünf Jahre in parlamentarischer Oppositionsarbeit verschleißen möchte.
Das wissen auch Kern und Strache. Und das stärkt vor allem Straches Verhandlungsposition ungemein – denn so oder so: die FPÖ, als drittstärkste Partei, scheint drin in der Regierung, und Strache, der es den ganzen Wahlkampf über vermied, den ersten Platz als Ziel auszugeben, kann sich so oder so schon damit anfreunden, bald als Herr Vizekanzler angesprochen zu werden.
Dass eine Koalition aus Extremrechtspopulisten und Sozialdemokraten nicht ausgeschlossen ist, sagt viel über den Zustand Österreichs aus. Niemals mit der FPÖ!, hieß seit 1986 die vom damaligen roten Kanzler Franz Vranitzky ausgerufene Doktrin, die 2014 sogar in einem Parteibeschluss zementiert wurde: «Die SPÖ spricht sich klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen aus.» Auf Landesebene, im ostösterreichischen Burgenland, wurde sie bereits 2015 gebrochen. Auf Bundesebene: noch nicht.
Doch bereits beim SPÖ-Parteitag im Juni 2016 ließ Kern über die Parteigrenzen hinweg aufhorchen. Man müsse die FPÖ-Wähler wieder überzeugen, richtete Kern an seine Genossinnen und Genossen, dass die SPÖ immer ihre Partei war und man jetzt wieder Politik mit ihnen und für sie machen müsse, und zwar «Schulter an Schulter» und nicht indem man ihnen erkläre, dass «Multikulti eine super Sache» sein müsse. Nur wenig später lieferte sich Kern ein als Streitgespräch angekündigtes TV-Duell mit Strache. Statt Streit gab es ein respektvolles, fast freundschaftliches Gespräch. Österreich staunte. So etwas hatte man seit 30 Jahren nicht gesehen.
Strache übernahm die Blauen am Nullpunkt
Wem dieser Auftritt mehr nutzte, bleibt fraglich. Geschadet hat er der FPÖ ganz sicher nicht. Es war ein weiterer Schritt raus aus den Tiefen der Schmuddel- und Polterecke hinauf in die Beletage nationaler Politik, aus der man nach zwei Koalitionen mit der ÖVP zwischen 2000 und 2005 herauskatapultiert worden war, und das in einem Zustand, der nicht klar erkennen ließ, ob es noch eine Zukunft für die Blauen geben würde. Der FPÖ-Übervater Jörg Haider hatte die Partei verlassen, mit der von ihm neu gegründeten BZÖ noch ein Jahr mitregiert. Strache übernahm die Blauen am Nullpunkt. Seitdem beschreitet die «neue» FPÖ kontinuierlich ihren Weg, der nur ein Ziel hat: den Österreichern nachweisen, staatsmännisch zu sein, ohne die rechtsnationale Bierzelt-Credibilty bei den Stammwählern zu verlieren. Denn die Inhalte der freiheitlichen Politik sind dieselben geblieben.
Danach gefragt, welchen Charakterzug er am meisten schätzt, lautet Straches Antwort immer: Loyalität. Das kann man dem FPÖ-Chef auch abnehmen, bislang hat er sich fast immer gescheut, ihm treue Parteimitglieder aus ihrer Funktion zu entheben, egal wie dumm oder extremrechts (und damit kontraproduktiv für sein Vorankommen) sie auch aufgefallen sein mögen.
Wieso das nicht unerheblich ist für die Koalitionssuche? Dass Kern ihn, den ehemals Aussätzigen, mit dem politischen Respekt behandelte, den er so brauchte auf seiner Mission, hat Strache sicher nicht vergessen.
Auf der anderen Seite hat Strache hundertprozentig nicht vergessen, wer ihm mit der Migration und der Sicherheit die wichtigsten Teile des FPÖ-Wahlprogrammes gestohlen hat. Das war Sebastian Kurz und das war, wie an die Öffentlichkeit gelangte Strategiepapiere aus Kurz’ Büro aus dem Jahr 2016 offenlegen, von langer Hand geplant. In diesen Papieren hieß es von Strache, er sei der perfekte «Wählerversteher», und es sei diese Rolle, die Kurz ihm abnehmen müsse, indem er die «FPÖ-Themen mit Zukunftsfokus» für sich übernehme.
Ein Schritt, der die SPÖ zerreißen könnte
Aus Straches Sicht hat das wohl eher wenig mit Loyalität zu tun, wenn eine andere Partei seine Themen klaut und den eigenen Idealen damit untreu wird. Noch 2015 gingen die meisten Beobachter in Österreich davon aus, dass eine Koalition der FPÖ mit der ÖVP nicht möglich sei, da sich die Parteien bei Fremden- und Asylpolitik nicht einig würden. Mittlerweile, und das seit Kurz’ Übernahme der ÖVP, sind die Programme beider Parteien in diesen Fragen deckungsgleich. Und das der Sozialdemokraten unterscheidet sich vor allem noch in der Sprache, in den Inhalten nur noch wenig.
Der Wahlausgang gibt Kurz auf den ersten Blick natürlich recht. Vergangenen Dezember scheiterten die Freiheitlichen nur hauchdünn beim Versuch, mit Strache-Vize Norbert Hofer das höchste Amt im Staat zu besetzen. Der ein Jahr währende Wahlmarathon um den Bundespräsidentenposten ging äußerst knapp gegen den Grünen Van der Bellen verloren. Bis Kurz kam, lag die FPÖ in allen Umfragen weit vorne, teilweise wurden ihr 35 Prozent prognostiziert. Das entschuldigt den Rechtsruck der traditionellen Parteien nicht, hilft aber, ihn richtig einzuordnen.
Trotz der offensichtlichen wie befremdlichen Nähe zwischen Teilen der Sozialdemokraten und der Freiheitlichen bleibt in Wien eine schwarz/türkis-blaue Koalition am wahrscheinlichsten. Für die SPÖ würde ein Bündnis mit der FPÖ weiterhin einem Sprung über die Klippe gleichkommen, der die Partei zerreißen könnte. Auch die mächtige Wiener SPÖ unter Bürgermeisterurgestein Michael Häupl lehnt eine solche Zweckehe resolut ab. Kern lässt trotzdem offen, ob es zu Gesprächen zwischen der SPÖ und der FPÖ kommen könnte. «Wir überqueren den Fluss, wenn wir zum Ufer kommen», sagte er unlängst.
Zu welcher Koalition es schlussendlich kommt, dürfte die kommende Woche zeigen. So lange darf die Wiener Gerüchteküche weiterbrodeln. Dort ist bereits von Geheimtreffen die Rede. Kurz und Strache hätten sich diese Woche in Klosterneuburg getroffen. Und die Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Hans-Peter Doskozil (rechter SPÖ-Flügel) hätten die Köpfe auch bereits zusammengesteckt. Doch sollte es sogar wider aller Erwartungen zur Fortführung der großen Koalition kommen und die FPÖ es demnach nicht in die Regierung schaffen, wäre – und das kann für Außenstehende das Verblüffendste sein – der Aufschrei in Österreich wohl am größten.
Die Sozialisten sind nur noch dritte Geige neben den Rechten und Rechteren!