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Der Premiumkandidat, der verfeuert wurde

Der Premiumkandidat, der verfeuert wurde
Foto: AP/AFP/DPA

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Kanzler Christian Kern (SPÖ) hat im Endspurt seinen Zorn wiederentdeckt

Was bei Sebastian Kurz in Sachen Politikervermarktung so grandios gelang, ging beim SPÖ-Kandidaten und aktuellen Bundeskanzler Christian Kern völlig daneben. Die österreichischen Sozialdemokraten stellen mit Kern einen mehr als nur passablen Kandidaten und gehen trotzdem mehr oder weniger chancenlos auf den morgigen Wahlsonntag zu.

Kern sieht nicht nur gut aus, er ist auch eloquent und kommt dementsprechend gut rüber. Doch wenn Politikberater sich Kurz zur Nachahmung anschauen, muss Kern als Negativbeispiel herhalten.
Der Niedergang begann mit einer Pizza. Als hätte der Gegner ihn beraten, wurde Kern in eine Rolle gedrängt, die ihm erstens nicht liegt und zweitens wegen seiner Grundvoraussetzungen völlig unnötig war: Ein solider klassischer Kandidat mit modernem Anstrich wurde auf denkbar plumpe Weise in die Social-Media-Arena gehetzt – und dort verzehrt.

Inszenierte Pizza-Lieferung

Erst lieferte er in einem Internetfilmchen gestelzt und inszeniert eine Pizza aus, später wurde er völlig unverhältnismäßig als Teenagerverschnitt in Musikinterviews platziert. Dabei hätten weder die SPÖ noch Kern selber dies nötig gehabt.

Auf dem Lebenslauf und den heutigen Qualitäten von Kern hätte man problemlos und vernunftbasierter aufbauen können: Der 51-Jährige stammt aus einer sozialdemokratischen Familie aus dem unteren Mittelstand, war zeitweise alleinerziehender Vater, später Manager bei den Österreichischen Bundesbahnen, wo er im Flüchtlingssommer 2015 sein Organisationstalent nachträglich unter Beweis stellte.

Im Mai 2016 trat der damalige SPÖ-Kanzler Werner Faymann zurück, Kern wurde von der Partei an seine Stelle gewählt. In seiner kurzen Zeit als Kanzler fiel Kern eher positiv auf, schaffte es mit seiner Art, das Image der SPÖ etwas zu entstauben und ihrer Politik einen progressiven Hauch zu verpassen.

Wahlkampf und Chaos

So weit, so gut – doch dann kam der Wahlkampf, dann die Pizza, dann das endgültige Chaos in Form einer unseligen wie noch unaufgeklärten Affäre um von der SPÖ mitfinanzierte (teils antisemitische) Facebook-Kampagnen gegen Konkurrent Sebastian Kurz. Die Silberstein-Affäre war geboren, benannt nach dem ebenso umstrittenen wie vorbestraften israelischen Dirty-Campaigning-Guru Tal Silberstein. Wie das alles genau abgelaufen ist, müssen nun Gerichte klären. Nach gegenseitigen Anschuldigungen haben SPÖ und ÖVP einander nun verklagt.

Der SPÖ-Kampagne hat es auf jeden Fall einen schweren Schlag versetzt, der Bundesgeschäftsführer musste zwei Wochen vor dem Wahltermin zurücktreten. Erst gestern wurde bekannt, dass eine Investigativjournalistin der Zeitung Die Presse, die den Skandal aufdeckte, wohl von Ex-Mossad-Agenten beschattet wird. Man sieht, hier herrscht noch erheblicher Aufklärungsbedarf, wenn eine endgültige Balkanisierung der österreichischen Politiklandschaft noch verhindert werden soll.

Zur Überraschung vieler steckte Kern aber nicht den Kopf in den Sand. Im Gegenteil: Während der beiden letzten Kampagnenwochen entdeckte der bereits als abgeschlagen geltende Sozialdemokrat seinen Zorn wieder – und konnte tatsächlich etwas Boden gutmachen. Trotzdem: Einzig ein völliges Danebenliegen aller Demoskopen kann Kern und der SPÖ noch auf einen Wahlsieg hoffen lassen. A.B.