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Der Jungstar, an dem alles abprallt

Der Jungstar, an dem alles abprallt
Foto: AP/AFP/DPA

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Die «Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei» (so nennt sich die große alte konservative ÖVP seit der Übernahme durch ihren Superjungstar) liegt kurz vor der Wahl Prognosen zufolge mit rund einem Drittel der Stimmen an der Spitze. SPÖ und FPÖ folgen mit Prognosen von jeweils etwa einem Viertel. Auf Luxemburg übertragen hieße das, dass die CSV bei den Wahlen 2018 (nur ein Beispiel, kein Vorschlag) als «Lëscht Serge Wilmes – déi nei Vollekspartei» antritt. Wird natürlich nicht passieren. In Österreich blieb der ÖVP aber kaum eine andere Wahl, um ihrem bereits weit fortgeschrittenen Siechtum noch einmal zu entkommen.

Vor Kurz’ Übernahme dümpelte die ÖVP bei etwa 20 Prozent, jetzt liegt sie an der Spitze der Umfragen. Kurz’ Masterplan scheint aufzugehen. Wie jüngst in die Öffentlichkeit gelangte Dokumente belegen, planten er und ein harter Kern an Mitarbeitern ihre Übernahme der ÖVP lange im Voraus. Im Frühling schossen sie die Koalition aus SPÖ unter Kanzler Kern und dem damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner sturmreif. Nach einer Reihe persönlicher Angriffe trat Mitterlehner zurück, Österreich brauchte vorgezogene Neuwahlen. Kurz zündete die nächste Stufe, seine Partei ging vor ihm in die Knie und wechselte die Farbe gleich mit: Die schwarze ÖVP kommt seitdem in Türkis daher.

Coup von Kurz

Das war ein Coup von Kurz. Der andere ist programmatischer Natur: Seit der Flüchtlingssituation vom Sommer 2015 übernimmt Kurz in Migrationsfragen schrittweise die Positionen der rechten FPÖ. Kurz rühmt sich seither, eigenhändig die Balkanroute geschlossen zu haben. Er wollte vor allen anderen das Mittelmeer dichtmachen. Mittlerweile bezeichnet er Flüchtlinge, die über Italien oder Griechenland nach Österreich gelangen, als «Illegale». Viele Österreicher scheinen froh über das Angebot, FPÖ-Inhalte zu bekommen, ohne die FPÖ wählen zu müssen.

Innerhalb weniger Monate hat Kurz nicht nur die FPÖ von der Spitze der Umfragewerte verdrängt, er hat längst auch Strache als beliebtesten Politiker abgelöst. Wie bizarr so etwas werden kann, offenbart ein Dialog der beiden in ihrem letzten TV-Duell. Dort stritten sich Kurz und Strache inbrünstig darüber, wen von beiden der rechtsnationalistische ungarische Regierungschef Viktor Orban denn nun lieber mag. Wahrscheinlich mag er beide.

In der Partei gewachsen, aber als Erlöser gefeiert

Kurz schafft den Spagat, als Erlöser in einer verkrusteten Politlandschaft aufzutreten und gleichzeitig deren Zögling zu sein. Bereits Anfang 20 fuhr er spottbeladen, aber schmerzfrei mit einem schwarzen, «Geilomobil» getauften SUV durch Wien und verteilte Kondome. Mit 24 wurde er zum Staatssekretär für Integration. Die Zeitung Der Standard nannte das damals eine «Verarschung». 2013 wurde Kurz zum jüngsten Außenminister der Europäischen Union befördert und geriet die folgenden Jahre in Migrationsfragen mehrmals mit dem dienstältesten Außenminister der EU aneinander, Jean Asselborn.
Der Spiegel schrieb kürzlich, Kurz sehe immer aus wie «frisch gebadet», das trifft sein Äußeres ziemlich präzise. Kurz’ jungenhaftes Aussehen, sein meist jammernder Tonfall verdecken den harten Kern ganz geschickt. Dazu seine immer wieder wiederholte Erzählung der eigenen «einfachen» Herkunft als Kind aus dem Wiener Arbeiterbezirk Meidling, die Großeltern kleine Bauern aus Niederösterreich.

Wer etwas über die Vermarktung von Politikern lernen möchte – die Person Kurz ist Europas Paradebeispiel. Alles an ihm ist schlüssig, und sollte es mal eine Sache nicht sein, lässt er sie abprallen. Immerhin hat er es geschafft, eine Regierung und damit eine Politik madig zu machen, der er selber in nicht unwichtiger Position angehörte, und gleichzeitig als Erlöser aus dieser Verkrustung zu gelten. Ein Kind des politischen Establishments geriert sich als Erneuerer genau dieses Establishments. Das dürfte sogar Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron einen gewissen Respekt abringen.

Unternehmerfreundliche Politik des kleinen Mannes

Wirtschaftspolitisch bleiben Kurz und die ÖVP unternehmerfreundlich. Vermarktet wird diese Politik als solche des kleinen Mannes. Wird Kurz in den TV-Duellen auf seine den Unternehmen in Aussicht gestellten Steuererleichterungen angesprochen, kontert er mit der eigenen Biografie. Frei nach dem Motto: Ein Junge, dessen Ingenieurs-Vater einmal ein Jahr arbeitslos war, kann doch nur ein Guter sein und Gutes vorhaben. Wenn ihm etwas zu Last gelegt wird, sind immer die anderen schuld. Wenn es draußen politisch stürmt, hält er sich vorsichtig zurück. So bleibt die Gelfrisur intakt und das Saubermann-Image ebenso.

Eines muss man Kurz und seinen Spin-Doktoren lassen: Das Ganze läuft wie geschmiert – und das würde es nicht, wenn Kurz nicht diese Mischung hätte aus lernfreudiger Intelligenz, gerissener Bauernschläue und nicht um sich schauender Zielstrebigkeit. In Österreich drängt mit Kurz einer auf die ganz große politische Tribüne, der lange dort bleiben will und von dem schwer zu sagen ist, ob Österreich ihm nicht einmal zu klein sein wird.

Im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt die Alpenrepublik für ein halbes Jahr die wechselnde Ratspräsidentschaft der EU. Sollte Kurz morgen Kanzler werden, darf sich die Union auf etwas gefasst machen: Die Visegrad-Staaten stehen ihm näher als Brüssel. A.B.