Im Abrigado ist Schluss. Stühle werden hochgestellt, letzte Kaffees ausgegeben und ein Kunde will noch schnell auf die Toilette. Es könnte kurz vor Feierabend in einem x-beliebigen Café sein.
Allerdings ist das Abrigado den meisten als „Fixerstuff“ bekannt. „Das Wort würde ich am liebsten strafrechtlich verfolgen lassen“, so Patrick Klein, chargé de direction. Eine „Stuff“ sieht in der Tat anders aus. Um die 220 bis 250 Besuche zählt er hier im Schnitt am Tag, mit Spitzenwerten bis zu 450. Davon nutzen zwischen 30 und 40 Prozent den eigentlichen Drogenkonsumraum, „aber viele kommen aus anderen Gründen hierher“, so Klein, „ weil sie nicht wissen wohin oder weil sie hier einfach akzeptiert werden. Der Drogenkonsumraum ist eines unserer Angebote, aber es ist nicht der Hauptbestandteil der Einrichtung und soll es auch nicht werden. Das hier ist ein Kontaktladen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“
Hautnah erleben
23 Vollzeitposten (Erzieher, Krankenpfleger, Soziologen, Psychologen, ein Allgemeinarzt, …) die auf mittlerweile 32 Mitarbeiter verteilt sind, hat das Abrigado. Das nötige Personal ist allerdings in Luxemburg nur schwer zu finden. „Es ist weder vom Status noch vom Finanziellen her lukrativ. Und es ist der härteste Sozialjob in Luxemburg“, so Klein.
Das Abrigado arbeitet direkt an der Szene. „Die hat eigene Spielregeln. Ganz oft geht es um Gewalt, Bedrohung, Manipulation.“ Und diese Regeln werden immer wieder versucht, den Mitarbeitern aufzuzwingen. „Wir müssen nach den Regeln spielen, die wir vorgeben“, so Klein, „das immer wieder durchzusetzen ist schwer. Da fehlt auf der anderen Seite das Verständnis, da steht der Drogenkonsum im Vordergrund.“
Die Gratwanderung zwischen Betreuung und Verbieten durchzuhalten, ist nicht immer leicht.
Regeln einhalten
„Dass ich gleichzeitig Helfer und Kontrolleur bin, ist schon eine sehr schizophrene Situation“, so Klein, „das ist für den Mitarbeiter schwer, aber auch für unseren Kunden, wenn etwa der Gleiche, mit dem ich gerade noch den RMG-Antrag ausgefüllt habe eine Minute später von mir Hausverbot bekommt, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat. Wir erleben die Menschen von der positivsten wie von der schlimmsten Seite. Teilweise in der selben Minute“, so Klein.
Und manchmal sehen die Mitarbeiter den Abhängigen auch schlicht beim Sterben zu. „Wir bekommen alles mit, was schiefläuft“, so Kleins Stellvertreter Jochen Gottfreund, „bis zum Tod. Die Liste der Klienten, die in den letzten Jahren gestorben sind, ist lang, sehr lang. Bei vielen sieht man, was passiert, sie konsumieren immer mehr und immer riskanter. Wir können ihnen nur sagen, dass sie langsamer machen sollen oder versuchen, ihnen Konsumregeln mitzugeben, aber verantwortlich sind sie am Ende selbst. Es ist schwer mit anzusehen, wie jemand sich zugrunde richtet“, so Gottfreund. Klein: „Da wird man sich seiner Grenzen sehr schnell bewusst. Diese Menschen über die Polizei oder einen Psychiater entsprechend unterbringen zu lassen, ist allerdings schon von der Gesetzgebung her nicht so einfach.“
Blutige Entlassungen
Schon ein einfacher Krankenhausaufenthalt kann sich schwierig gestalten. „Unsere Klienten werden in der Regel blutig entlassen“, so Klein. Er erzählt von einem Mann, der vor ein paar Jahren nach der Operation seiner Leistenvenenruptur blutig entlassen wurde. Die platzte dann zwei Mal im Abrigado und der Mann musste mit dem Rettungswagen wieder ins Krankenhaus gebracht werden. Ein Extremfall. Aber die Problematik fängt bei ganz einfachen Leiden an. Etwa beim Obdachlosen mit Bronchitis, dem nichts anderes übrig bleibt, als mit 40 Grad Fieber draußen rumzulaufen oder dem Drogensüchtigen, der in der Chirurgie nicht vernünftig substituiert wird. „Ich bin froh, dass wir jetzt mal einen Allgemeinarzt hier haben, der auch helfen kann, unsere Leute vernünftig unterzubringen, aber das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Klein.
Oft bleibt ihm und seinen Mitarbeitern nichts anderes übrig, als die, die ganz unten sind, zu „verwalten“. „In Luxemburg“, so findet er, „gibt es schon eine sehr ausgeprägte Nicht-Wahrnehmung des Problems in der Gesellschaft.“ Das beginnt bereits bei den Zahlen. 18- oder 25-Jährige, die plötzlich aus dem Nichts in der Statistik auftauchen, als hätten sie sich die Abhängigkeit eingefangen wie einen plötzlichen Schnupfen. Aber wenn einer bis vor dem Abrigado steht, ist oft bereits zu viel schiefgelaufen.
„Es ist wichtig, dass es Einrichtungen wie uns gibt, aber genauso wichtig sind präventive und aufklärende Maßnahmen sowie Unterstützung für die Eltern“, so Klein. Er selber nennt das, was er und seine Mitarbeiter machen, „Elendsverwaltung“. „Als Arzt oder Krankenpfleger geht es darum, Leben zu retten. Hier sind wir teilweise schon im Palliativbereich.“
Wenige Lichtblicke
Dabei gibt es durchaus Kunden, die den Absprung schaffen oder wenigstens auf einen kontrollierten Konsum oder Substitution umsteigen. Anfragen nach Therapieplätzen gibt es im Abrigado wöchentlich, nicht immer sind sie realistisch. „Manche Zielsetzungen sind sehr realitätsfern“, so Klein. Die Frage nach der Erfolgsquote bleibt unbeantwortet. „Wenn der Klient in Therapie geht, dann ist der weg. Wir kümmern uns um Drogenabhängige. Wenn einer clean ist, will ich den hier eigentlich gar nicht mehr sehen“, so Klein.
Vieles in der Drogenhilfe funktioniert. Vieles ist aber auch verbesserungswürdig. Die große Lösung gibt es für Klein nicht. Doch statt einer großen würden viele kleine Einrichtungen, nicht unbedingt immer mit Konsumraum, es erlauben, Seilschaften wie Familie, Freunde oder Wohngruppen vor Ort zu nutzen. „Ideen gibt es viele, aber wie soll man das finanzieren“, sagt er selber. Dass in Luxemburg in mehrere Richtungen gearbeitet wird, sei gut, „aber es ist nicht umsonst zu haben. Doch wenn man nur mit betriebswirtschaftlichen Mitteln nachrechnet, dürften wir hier nicht mehr reanimieren, das käme den Staat billiger. Es geht um eine soziale Verpflichtung.“
Nicht-Wahrnehmung
Das Bewusstsein dafür scheint zu wachsen, auch die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und Institutionen wird immer besser. Was Klein aber oft noch vermisst, ist die „Akzeptanz“ und die „Hellhörigkeit“. Er kann es teilweise verstehen, aber würde sich wünschen, „dass man sich mal fragt, warum einer Drogen nimmt, dass man diese Leute mit ihren Problemen ernst nimmt. Denn die über 2.000 problematischen Drogenkonsumenten sind über 2.000 Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen und Vater-Mutter-Kind sind.“
Dass es einfacher ist, pauschal von „den Drogenabhängigen“ zu reden, erlebt er jeden Tag. Seinen Job und den seiner Mitarbeiter macht es nicht leichter. Und wenn er von einem harten Job redet, weiß er, wovon er spricht. Er hat in Krankenhäusern gearbeitet, in der Psychiatrie, ist Rettungsdienste gefahren. Alles nicht so leicht. Und das Abrigado? „Das ist der beste Job, den ich je hatte.“
Zu Demaart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können