Das Abkommen soll in nächster Zukunft in Kraft treten, heißt es. Für Kanada ist es das umfangreichste internationale Abkommen seit Nafta. Und doch: In Europa wir CETA nicht diskutiert. In der Öffentlichkeit kennt man das Projekt so gut wie gar nicht.
Dabei hat es neben wirtschaftlichen Vorteilen auch negative Seiten, die durchaus eine Betrachtung wert sind. Da die Texte noch im Entstehen befindlich sind, sind sie nicht öffentlich. Im Juni 2011 veröffentlichte die EU jedoch eine sogenannte Impaktstudie zu dem Thema – ein Papier also, in dem die Folgen der Einführung eines solchen Abkommens genaustens untersucht werden.
Der Grad der Liberalisierung
Erstes Resultat: Das Abkommen wird auf lange Sicht in der EU einen Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes von 0,02 bis 0,03 Prozent verursachen. In Kanada liegen diese Zahlen etwas höher bei 0,18 bis 0,36 Prozent. Die Exporte der EU sollen der Studie zufolge langfristig um 0,05 bis 0,07 Prozent in der EU und 0,54 bis 1,56 Prozent in Kanada steigen.
Den größten Gewinn sieht die Studie beim Dienstleistungssektor. „Doch dieses Ergebnis ist abhängig vom einem CETA, das für eine erhebliche Liberalisierung sorgt“, schreiben die Forscher der EU in ihrem Gutachten. Die Studie liefert ein Beispiel, auf welche Weise die Dienstleister von CETA profitieren: Durch das erhöhte Handelsaufkommen werde der Bedarf an Transport erhöht und die Seefracht profitiere.
Die CETA-Gewinner
Auch der Telekommunikationssektor profitiere von der Liberalisierung, so die Studie. Falle nämlich die Begrenzung für ausländische Teilhabe an kanadischen Unternehmen, so das EU-Gutachten, dann würden die ausländischen Investitionen beflügelt und Telefonunternehmen der EU würden von dem Zugang zum kanadischen Markt profitieren.
Dieser Erfolg des Dienstleistungssektors könnte dafür sorgen, dass Gelder aus verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft abgezogen würden. Dennoch, auf einigen Gebieten könnte die kanadische Landwirtschaft gewinnen.
Landwirtschaft und Fischerei
Insbesondere die Ausbeutung und Tötung von Tieren könnten profitieren. Das Gutachten der EU führt z.B. die „Sektoren Rind und Schein“ an.
Dass die EU auf „hormonfreies“ Rindfleisch besteht, erschwere zwar den Markteintritt für kanadische Produzenten, bei „ausreichenden Eingeständnissen“ jedoch sei es möglich, dass einige kanadische Bauern ihre Produktion teilweise so umstellten, dass sie nach Europa verkaufen dürfen. Des Weiteren profitierten die Nahrungsmittel verarbeitende Industrie und die Fischerei.
Während der Wegfall der Zölle auf Fisch einen Gewinn für Kanada bedeute, leideten (neben den Fischen, Anm. d. Red.) auch die europäischen Überseegebiete Grönland und Saint-Pierre-et-Miquelon. Diese seien sehr von der Fischerei abhängig. Die EU profitiere wiederum vom Wegfall der Zölle auf kanadischen Milchprodukten.
Großer Verlierer der Liberalisierung scheint die Natur zu sein. Der erhöhte landwirtschaftliche Ausstoß in Kanada, so das Gutachten, führe zu einer Intensivierung der Produktionsmethoden, dem verstärkten Einsatz von Chemikalien, einer Veränderung bei den angebauten Pflanzen und der Erschließung von neuem Ackerland. Dadurch steige die Luftverschmutzung, die Qualität des Wassers leide und die Biodiversität nehme ab.
„Fuel Quality Directive“
Überraschenderweise sehen die EU-Experten im Industriesektor einen solchen Einfluss auf die Umwelt nicht. Dies erklärt das Gutachten damit, dass CETA kaum Einfluss auf Bergbau, Ölförderung, Kohleförderung und Wald-basierte Industrien habe.
Die Experten der EU schreiben, dass es in der EU jetzt schon keine bzw. kaum Zölle auf Erze, Öl, Kohle und Holz gibt. Darüber hinaus seien die europäischen Direktinvestitionen in die kanadische Rohstoffindustrie bereits auf einem „robusten“ Niveau. CETA verändere damit kaum etwas an der bisherigen Situation – weder der ökologischen noch der wirtschaftlichen.
Ein Problem könne allerdings dann entstehen, wenn durch das CETA-Abkommen und die damit verbundenen „Investment-Klauseln“ mehr Investitionen in den Abbau von Ölsand flössen. Unter Ölsand versteht man ein Gemenge aus Ton, Silikaten, Wasser und Rohöl. Die Gewinnung von Rohöl aus Ölsand gilt als aufwendig und als Belastung für die Umwelt, da Wasser- und CO2-intensiv. Große Vorkommen an Ölsand gibt es in Venezuela und im kanadischen Alberta.
Parallel dazu entsteht in Europa derzeit ein Text zum Thema Treibstoff, die „Fuel Quality Directive“. Auch in dieser Direktive soll Ölsand eine Rolle spielen. Die EU – die sich ja selber Klimaziele gegeben hat – überlegt, Ölsand als Energiequelle mit hohem Umwelteinfluss zu brandmarken. Aus europäischen diplomatischen Kreisen war zu erfahren, dass dies Kanada gar nicht gefällt. Eine Sanktion von Ölsand könnte negativen Einfluss auf die kanadische Wirtschaft haben und ein „negatives“ Vorbild für die USA, den wichtigsten Handelspartner Kanadas, sein.
Strenges europäisches Copyright
Die europäischen Gutachter, die CETA unter die Lupe genommen haben, schlugen indes Mitte letzten Jahres vor, den Abbau von Ölsand noch einmal genauer zu betrachten.
Ein weiterer Streitpunkt sind dem Vernehmen nach politische Klauseln im Text. Europa pflege sich abzusichern und Abschnitte in Verträge einzubauen, die es erlaubten bei Menschenrechtsverletzungen des Vertragspartners vom Vertrag abzuweichen. Kanada halte diese Klauseln für unnötig, heißt es aus diplomatischen Kreisen.
Scharfe Blogger-Kritik
Harte Kritik findet sich in Internetblogs besonders gegen die Copyright-Regeln im CETA-Abkommen. Michael Geist, ein Juraprofessor an der Universität in Ottawa, kritisiert das Projekt seit Jahren. Er vergleicht den Copyright-Teil von CETA mit ACTA, einem internationalen Abkommen zum Schutz von geistigem Eigentum, das in der ganzen Welt Proteste auslöste. U.a. in Luxemburg gingen die Menschen auf die Straße. Kritiker befürchteten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Privatsphäre.
Geist wirft den Europäern vor, ihre Regeln nach Kanada exportieren zu wollen – die seiner Einschätzung zufolge weit über internationale Normen hinausgehen. Kanada ziehe keinen Nutzen daraus.
Auch das kanadische „Notice-to-notice“-System sieht er in Gefahr. In diesem System sendet ein Copyright-Besitzer, wenn ein Internetbenutzer geschütztes Material herunter- (was in Kanada erlaubt ist) oder hochlädt (was nicht erlaubt ist), eine Nachricht an den Internetprovider des „Schuldigen“ und dieser reicht die Nachricht weiter, ohne die Identität des Kunden zu verraten, in der Hoffnung, dass dieser reagiert und das copyrightgeschützte Material nicht mehr hochlädt. Geist vermutet, dass die Europäer dies ändern und ein „notice-to-takedown“-Vorgehen einführen wollen, bei dem der Copyright-Sünder durch seinen Internetprovider an die Behörden ausgeliefert wird.
Ein weiterer Unterschied zwischen kanadischem und europäischem Recht liege in der Ausgestaltung der Strafen, erklärte Geist vor dem kanadischen Komitee für Außenhandel. Während die Kanadier zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Copyrightverstößen unterschieden, gingen Europäische Vorschläge zu CETA in eine andere Richtung.
Verhandlungen im Hinterzimmer?
Die europäischen Gutachter sehen die Copyright-Abschnitte in CETA sehr differenziert. Während sie einen minimalen positiven Effekt auf die Wirtschaftleistung der beiden Vertragsparteien hätten, profitierten vor allem die Verlage und die Pharmaindustrie. Durch die Eindämmung von Piraterie profitiere auch die Musik- und Filmindustrie. Die Konsumenten aber müssten mit höheren Preisen für Bildung und Pharmaprodukte rechnen, schreibt das Gutachten.
Geist bezieht sich in seiner Analyse auf über Umwege an die Öffentlichkeit gelangte Textstellen – und kritisiert gleichzeitig, dass das Projekt nicht öffentlich gemacht wird. „Wir brauchen öffentlichen Zugang zwecks informierter Meinungsbildung, bevor die Verhandlungen in die Finale Phase gehen“, sagt er.
Auf solche Kritik reagiert das kanadische Außenhandelsministerium auf seiner Internetseite: „Im parlamentarischen Prozess wird das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU im House of Commons öffentlich auf den Tisch kommen“, heißt es dort.
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