Am Ende kämpfte Lance Armstrong bei seiner TV-Beichte doch noch mit den Tränen – jetzt stehen aber wieder nüchterne Geschäfte auf der Tagesordnung. Die Bilanz sieht nicht gut aus für den Ex-Radprofi, dem nach dem jahrelangen Dopingbetrug kaum jemand Reue abnimmt. «Das war ein 75-Millionen-Dollar-Tag», behauptete der tief Gestürzte in Anlehnung an den 10. Oktober 2012, als die US-Anti-Doping-Agentur USADA den vernichtenden Ermittlungsbericht über die jahrelangen Manipulationen Armstrongs veröffentlichte.
Die von ihm genannte Summe ist wohl ein wenig hochgegriffen, aber die Hälfte seines auf knapp 100 Millionen Dollar geschätzten Vermögens könnte Armstrong durch Schadensersatzverfahren, Anwaltskosten und entgangene Sponsorengelder verlieren. Wenigstens braucht er keine Gefängnisstrafe wegen Meineids zu befürchten: Seine Falschaussage von 2006 im Prozess gegen die Versicherung SCA Promotions sei nach fünf Jahren verjährt, erklärten US-Sportrechtler.
Zwei Prozesse gestartet
Bereits vor dem TV-Auftritt, der der Star-Talkerin Oprah Winfrey die zweitgrößte Einschaltquote ihrer Karriere bescherte, waren zwei Prozesse angelaufen. Die Zeitung «Sunday Times» klagt auf Rückerstattung von 1,5 Millionen Dollar, die der Verlag zahlen musste, weil er Armstrong angeblich zu Unrecht des Dopings bezichtigt hatte. Das Versicherungsunternehmen SCA will vom Texaner 7,5 Millionen Dollar zurück, die in einem vorangegangenen Rechtsstreit nach seinem siebten Toursieg 2005 an Armstrong gezahlt werden mussten.
Noch weit größere Summen stehen im Raum in einem bevorstehenden Prozess des US-Justizministeriums mit Ex-Radprofi Floyd Landis gegen Armstrong und etliche Geschäftspartner. Dem Armstrong-Kartell wird Betrug vorgeworfen, da Sponsorengelder der US-Postbehörde offenbar für Dopingzwecke missbraucht worden waren. Im Vertrag mit dem Rennstall US Postal, für den Armstrong von 1998 bis 2004 sechs seiner sieben Tour-de-France-Titel errang, war der Verzicht auf leistungssteigernde Mittel festgehalten.
Chance auf zweite Karriere
Die Behörde fordert Teile der insgesamt gezahlten Sponsorengelder in Höhe von 30 Millionen Dollar zurück. Auch die Tour- und andere Renn-Organisatoren kündigten Rückforderungen von Preisgeldern an. Allein im Fall der Frankreich-Rundfahrt könnte sich das leicht auf über drei Millionen Dollar hochrechnen lassen. Der Verlust entgangener Sponsorengelder – allen voran Nike – wird Armstrong noch weit mehr bluten lassen.
Kleiner Trost für den fünffachen Familienvater: Die TV-Beichte könnte ihm zumindest den Weg geebnet haben, zum Beispiel als Buchautor oder Talkshow-Gast wieder in Erscheinung zu treten. Nicht nur Ex-Profi und Kronzeuge Jörg Jaksche vermutete, dass Armstrong für den Auftritt bei Winfrey, bei der er am Ende noch ganz weich werden durfte, Millionen kassiert haben dürfte.
Der einst rücksichtslose Dominator, der jahrelang Teamkollegen und Mitarbeiter bedroht, schikaniert und sogar verklagt hatte, kämpfte mit den Tränen, als er erzählte, wie er seinen 13-jährigen Sohn Luke mit der Doping-Wahrheit konfrontierte. Der bis dahin kühl und kalkuliert antwortende Texaner schluchzte und rang um Fassung. Er brauchte fast eine Minute, um sich zu sammeln.
Jan Ullrich will nicht beichten
Ähnliche Auftritte sind von seinem einstigen Dauer-Rivalen Jan Ullrich nicht zu erwarten. «Ich werde sicherlich nicht Armstrongs Weg gehen und vor einem Millionenpublikum sprechen, auch wenn einige das von mir immer wieder fordern und vielleicht auch erwarten», sagte der ebenfalls wegen Dopings gesperrte Ex-Profi dem «Focus» (Montag).
Armstrong zeigte auf der medialen Anklagebank zum Teil menschliche Züge – was die Radsport-Welt mehr als ein Jahrzehnt lang auf den Landstraßen Frankreichs vermisst hatte. Doch das Unrechtsbewusstsein scheint nicht allzu sehr ausgeprägt zu sein. Die lebenslange Sperre empfindet der Texaner trotz seiner ganzen Betrügereien gar als «death penalty». Er akzeptiere eine Bestrafung, sei sich aber nicht sicher, ob er die «Todesstrafe» verdiene, meinte Armstrong.
«Livestrong»-Aufgabe: «Erniedrigenster Moment»
Dass er sich im Herbst 2012 von seiner Krebsstiftung zurückzog, sei für ihn der «erniedrigendste Moment» des Dopingskandals gewesen. «Es hat sehr wehgetan. Sie war wie mein sechstes Kind.» Nachdem er seine Hodenkrebs-Erkrankung besiegt hatte, baute Armstrong 1997 in seiner Heimatstadt Austin «Livestrong» auf. Die gemeinnützige Organisation hat seitdem mehr als 500 Millionen Dollar an Spendengeldern gesammelt. Vielleicht findet er auch dorthin einen Weg zurück.
Die Rückkehr zum Leistungssport dürfte sich der 41-Jährige allerdings verbaut haben, mehr als eine Reduzierung der lebenslänglichen Sperre auf acht Jahre sind wohl nicht drin. Aber dafür muss er vor den Anti-Doping-Gremien – unter Eid – weit mehr erzählen als im TV. Er hoffe, so Armstrong am Ende des Interviews, dass er künftig nicht wieder vom rechten Weg abkommen werde: «Dies ist die größte Herausforderung für den Rest meines Lebens.»
(Andreas Zellmer/Heiko Oldörp/dpa/Tageblatt.lu)
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