Tageblatt: Der Klimagipfel in Paris wurde als Erfolg wahrgenommen. Was sind Ihre Gedanken zu dem Thema?
Zur Person
Jake Conroy ist ein Aktivist, Designer und Schriftsteller. Er lebt und arbeitet in San Francisco. Seit 1995 engagiert er sich in unterschiedlichen Bereichen.
Derzeit arbeitet Jake für eine international tätige Umweltschutzorganisation, die direkte Aktionen durchführt und mit Kampagnen Druck ausübt, um verantwortungsvolle Unternehmenspolitiken durchzusetzen. Conroy spricht außerdem an Universitäten und bei Veranstaltungen weltweit.
Jake Conroy: Der Klimagipfel ist in der Theorie eine gute Idee. Spitzenpolitiker, die zusammenkommen, um zu planen, wie sie ihre Macht dazu nutzen können, die Effekte des Klimawandels zu bremsen. Um die Probleme zu diskutieren, Lösungen zu finden und sie in ihrer Region in die Tat umzusetzen.
Wenn die Realität uns einholt, dann merken wir schnell, um was es wirklich geht: eine Gelegenheit, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, heiße Luft zu produzieren und leere Versprechen zu geben.
Das Abkommen der Conference of Parties (COP21) fängt nicht einmal damit an, die wichtigen Probleme zu berühren, die angesprochen und schnellstmöglich gelöst werden müssen.
Sie kleben Pflaster auf Schusswunden und uns läuft die Zeit davon. Die COP21 ruft uns nur wieder in Erinnerung, dass wir uns nicht darauf verlassen dürfen, dass Politiker einen bedeutsamen Wandel herbeiführen. Sie stehen nicht auf unserer Seite. Sie handeln aus eigenen Interessen.
Viele Aktivisten waren enttäuscht, dass die Tierindustrie bei dem Gipfel nicht auf den Tisch kam. Bedauern Sie das auch?
Absolut. Die Länder aus der ganzen Welt haben die Chance verpasst, ein Problem anzugehen, das niemand sehen will. Das Thema Tierindustrie wurde bei Diskussionen um den Klimawandel wieder und wieder übergangen. Egal ob vonseiten der Politik, vonseiten der großen grünen Nichtregierungsorganisationen oder von Umweltaktivisten. Auch wenn die Tierindustrie mit Sicherheit nicht das einzige Problem ist, das unsere Umwelt quält, ist es doch ein zentrales.
Wir müssen dem Klimawandel von mehreren Seiten angehen. Die Transportindustrie zu regulieren, die natürlichen Resourcen im Boden zu belassen oder unsere Ernährung auf Veganismus umzustellen, sind keine Wunderpillen. Nur einen dieser Aspekte anzugehen und zu lösen wird das Ruder nicht herumreißen, wie man uns gerne glauben machen will. Wir brauchen eine Vielzahl von Organisationen, Strategien und Taktiken, um das Thema von allen Seiten anzugehen.
Welchen Einfluss hat die Tierindustrie auf Umwelt und das Klima?
Die Tierindustrie spielt eine riesige Rolle dabei, was mit unserer Umwelt und dem Klima passiert. Auf der Liste der größten Zerstörer des Planeten steht sie ganz weit oben. Die Menge an Land, Wasser, Ressourcen und natürlich Leben von Tieren, die sie verschlingt, ist enorm. Die Zahlen sind so hoch, dass sie fast unmöglich zu begreifen sind.
Studien zufolge verursacht die Tierindustrie 18 Prozent aller Treibhausgase. Das ist mehr als der gesamte Transportsektor zusammengenommen.
Weltweit verbraucht die Tierindustrie 264.978,82 Milliarden Liter Wasser im Jahr. Der Tierbestand benötigt bis zu 45 Prozent aller Landmassen des Planeten. Mehr als 52 Tonnen an Exkrementen entstehen pro Sekunde. Es ist schwer, sich diese Zahlen zu vergegenwärtigen. Trotzdem findet dies statt. Tagaus, tagein, rund um die Welt.
Leider wird das oft in der Diskussion um den Klimawandel übersehen. Umweltschutzorganisationen behandeln dieses Thema nicht mit der Vehemenz, die es verdient und Regierungsvertreter schneiden dieses Thema bei Veranstaltungen wie der COP21 erst gar nicht an. Es herrscht Funkstille, was das angeht.
Die Zahlen und Statistiken lassen sich allerdings nicht leugnen. Unsere Untätigkeit hat zur massenhaften Abholzung des Regenwaldes geführt. Und dazu, dass Gewässer und Meere verschmutzt wurden und Tiere und Pflanzen massenhaft aussterben. Wenn wir die Effekte des Klimawandels effektiv bekämpfen wollen, müssen wir über die Tierindustrie reden.
Wie kann das Problem angegangen werden?
Um das Problem anzugehen, müssen wir Aktivisten und betroffene Bürger damit anfangen, uns gemeinsam zu organisieren.
Im Moment beobachte ich eine Wende „wir gegen die“, nicht nur zwischen Organisatoren und Unternehmenschefs, sondern auch zwischen Aktivisten. Organisationen gegen andere Organisationen. Sogar Bewegung gegen Bewegung.
Tieraktivisten sehen Umweltaktivisten oft als Hypokriten, die die schreiende Wahrheit über die Tierindustrie nicht sehen wollen und unethisch handeln, wenn es ums Essen geht. Umweltschützer und andere soziale Bewegungen halten die Tieraktivisten für privilegierte Menschenhasser aus der Oberschicht, die sich für nichts interessieren außer ihre eigene Sache. Traurigerweise, so glaube ich, treffen beide Vorurteile oft zu. Aber Aktivismus, diese Bewegungen und das Leben an sich sind sehr viel komplexer als die paar Punkte, auf die wir uns gegenseitig reduzieren. Es braucht Kompromisse und Verständnis füreinander. Es gilt, die Leute da abzuholen, wo sie stehen. Das bedeutet auch, sich von lupenreinen unangetasteten politischen Positionen zu verabschieden.
Zusammen haben diese beiden Bewegungen die Möglichkeit, ein starkes Narrativ, mit dem eine große Bandbreite an sozialen Bewegungen erreicht werden kann, zu schaffen und es in ihre langfristige Planung zu übernehmen.
Sie können mit Gruppen von eingeborenen und lokalen Betroffenen zusammenarbeiten und diese unterstützen. So können wir den Klimawandel bekämpfen. So können wir anfangen, Erfolge zu erzielen.
Sie schlagen eine vegane Ernährung vor, um den Klimawandel anzugehen. Glauben Sie, man kann mit einer Umstellung der Essgewohnheiten den Planeten retten?
Eigentlich tue ich das nicht. Ich glaube, Veganismus ist etwas, das wir persönlich machen können, um dazu beizutragen, das Thema voranzutreiben, um eine ethische Art des Essens zu fördern und um mit jeder Mahlzeit ein politisches Statement abzugeben.
Schlussendlich tritt ein richtiger systematischer Wandel aber nicht aufgrund von persönlichem Lifestyle-Aktivismus ein. Wir müssen Konzerne und Regierungen für ihr Verhalten in die Verantwortung ziehen und in diesem Fall dafür, wen sie subventionieren.
Diese List hat sich immer wieder wiederholt: Konzerne und Regierungen überzeugen die Öffentlichkeit, dass das Leid der Welt durch das Handeln Einzelner gelindert werden kann. Dass es an uns ist, unsere Probleme, die immer schlimmer werden, zu lösen.
Man macht uns glauben, dass wir unsere Abhängigkeit vom Erdöl dadurch lösen, dass wir teuere Solarpaneelen und neue Elektroautos kaufen. Dabei schlucken die Regierungen mehr als jeder andere. Das US-Militär verschlingt mehr Öl als jede andere Institution der Welt.
Hier in Kalifornien werden wir permanent an die schwere Dürre erinnert, die wir seit Jahren durchleben. Die Regierung hat an uns, die Öffentlichkeit, appelliert, in diesen Zeiten zusammenzuarbeiten. Wir sollen weniger lang duschen, den Rasen nicht mehr wässern und in Restaurants soll kein Wasser mehr serviert werden, es sei denn, der Gast fragt danach.
Vor Kurzem hat der Bundesstaat Millionen schwarzer Plastikbälle in die Reservoirs gekippt in der Hoffnung, das Sonnenlicht abzuschirmen und die Verdunstung zu stoppen. Aber wofür wird das Wasser wirklich verwendet?
80 Prozent des Wasserverbrauchs der Menschen fließt in die Landwirtschaft, ein großer Teil in die Zucht von Alfalfa. Alfalfa wiederum wird benutzt, um kalifornische Milchkühe zu füttern. Kalifornien wiederum ist der größte Milchproduzent des Landes.
Warum fordert der Bundesstaat Kalifornien die Menschen nicht auf, weniger Milchprodukte zu konsumieren, oder warum fordert er die Milchindustrie nicht auf, die Produktion einzuschränken oder ganz zu stoppen? Wieso werden wir als Einzelpersonen aufgerufen, weniger zu duschen, wenn die Produktion eines einzigen Hamburgers so viel Wasser verbraucht wie 26 Mal duschen? Das soll nicht heißen, dass wir nicht unseren Beitrag leisten können und sollen. Ich sage nicht, dass Recycling, Wiederverwertung und Veganismus nicht gebraucht werden. Das sind Dinge, die jeder Einzelne von uns tun sollte. Aber wir müssen uns zusammentun und gemeinsam stärker dagegen vorgehen. Und das muss an anderen Schauplätzen stattfinden als in unseren Mülltonnen und an unserem Küchentisch.
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