Ab dem morgigen Freitag wird in Brüssel über die Details der Vorschläge des Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, an Großbritannien verhandelt. Mit dem Ergebnis dieser Verhandlungen will der britische Premierminister David Cameron für ein Ja beim Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU werben, eine Volksbefragung, die Cameron selbst organisiert hat. Denn das Vabanque-Spiel, das der Premierminister inszeniert, entstammt nicht einer existenziellen Unzufriedenheit in der britischen Gesellschaft. Es entspringt vielmehr zum einen dem innerparteilichen Kampf bei den Tories zwischen Befürwortern und Gegnern einer EU-Mitgliedschaft. Zum anderen treibt seit Jahren die Unabhängigkeitspartei UKIP unter ihrem Vorsitzenden Nigel Farage die Konservativen vor sich her. Was bei den vorletzten Wahlen in Großbritannien dazu führte, dass die Tories nur in einer Koalition mit den EU-Befürwortern der Liberalen die Labour-Regierung ablösen konnten.
Diese innenpolitischen Machtspielchen hat David Cameron auf die europäische Bühne gehoben und ruft zum zweiten Mal binnen etwas mehr als 40 Jahren die Briten dazu auf, zu entscheiden, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Nur allzu gut, dass sich bloß die Briten diesen „Luxus“ leisten. Nicht auszudenken, in welchem Zustand die Union wäre, wenn noch andere oder gar jedes EU-Land im Durchschnitt alle 20 Jahre seine Mitgliedschaft per Volksbefragung neu klären ließe.
Einmal abgesehen davon, dass es sehr schwierig sein wird, ohne Vertragsänderungen das hinzubekommen, was David Cameron verlangt, ist der Vorschlag über die Möglichkeit, Einschränkungen bei den Sozialleistungen für EU-Ausländer in Großbritannien einzuführen, ein schwerer Schlag gegen das soziale Europa. Darauf wies die Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gabi Zimmer, bei der gestrigen Debatte im Europäischen Parlament hin. Das Prinzip der Nicht-Diskriminierung verlangt, dass was für die einen gilt, auch für andere gelten muss. Im positiven und negativen Sinn. Das bedeutet, dass letztendlich alle EU-Staaten Sozialleistungen für EU-Ausländer einschränken dürfen. Womit nicht nur die Idee eines sozialen Europa zerstört wird, sondern die Idee eines zusammenwachsenden Europa insgesamt, in dem die Bürger sich frei bewegen, sich in einem anderen EU-Land niederlassen und arbeiten können, ohne Nachteile. Die von David Cameron verlangte Ungleichbehandlung von EU-Bürgern läutet aber den Rückbau dieses europäischen Integrationsprozesses ein. Wenn das das Ergebnis der Verhandlungen sein sollte, dann dürften darüber nicht nur die Briten entscheiden. Auch Polen müssten mitentscheiden können, ob sie in Deutschland schlechter behandelt werden, Portugiesen und Franzosen müssten mitbestimmen können, ob sie künftig weniger Rechte akzeptieren wollen, wenn sie in Luxemburg arbeiten.
Dies ist umso mehr geboten, als nicht klar ist, ob die Briten überhaupt über das in Brüssel erreichte Ergebnis abstimmen oder vielmehr der Stimmung und den Schauermärchen nachgeben, die die Populisten und EU-Gegner à la UKIP seit Jahren auf der Insel über die EU verbreiten.
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