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Wir, mär, mer feieren

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Aber wir sollten uns nicht auf das Glück verlassen.

Im Lauf der Zeit haben wir Luxemburger uns vieles eingeredet, das den Blick auf die Wirklichkeit verstellt.
So, zum Beispiel, vergleichen wir uns gerne mit den Nachbarn. Was haben wir, was die Franzosen, die Deutschen, die Belgier nicht haben? – Geht es um das Einkommen, den Besitz und den Konsum, ist der statistische Durchschnittsluxemburger Spitze, weltweit, wenn die Länderwerte herangezogen werden. In der Statistik tritt Luxemburg mit seinen 2.586 km2 an gegen 10-, 100-, 1.000-mal größere Staaten, Luxemburg mit seinen 580.000 Bewohnern misst sich an Nationen, die 10-, 100-, 1.000-mal mehr Menschen zählen.

Formal mag das alles richtig sein, schließlich sind wir ein völkerrechtlich allseits anerkanntes, unabhängiges Land und nicht nur, wie das genauso kleine Saarland (980.000 Einwohner, nebenbei vermerkt), ein Stück vom Ganzen. Die belgische Provinz, das französische Département, das deutsche Bundesland mögen noch so auftrumpfen, ihnen fehlt das Eine, das Entscheidende: die Souveränität.

Um die unsre haben die Ahnen allerdings nicht gekämpft. Sie wurde auf internationalen Konferenzen (Wien 1815, London 1839) beschlossen, nicht um der Gerechtigkeit willen, auch nicht aus Güte, sondern weil es den Diplomaten damals half, die Großmächte zu befrieden. Wer die geschichtlichen Zusammenhänge kennt, weiß, dass Luxemburg in seinen heutigen geografischen Grenzen nur als Übergangslösung gedacht war. Irgendwann im 19. Jahrhundert sollte es an Belgien, Frankreich oder Deutschland fallen, weil es wirtschaftlich nie überleben könnte, dachte man.

Nun, es kam anders, weil allerhand glückliche Zufälle „uns“ immer wieder retteten. Dank der Erzvorkommen im Escher Revier setzte nach 1870 die Industrialisierung im Megaformat ein; über ein Jahrhundert lang schuf die Stahlproduktion genügend Reichtum, um Luxemburg auf solide Füße zu stellen, und im Endeffekt halfen die beiden Kriege paradoxerweise, die politische Unabhängigkeit zu festigen.

Die nicht mehr bestrittene Souveränität war Luxemburgs Trumpfkarte während der Wandlung vom Industriestaat zum Dienstleistungsstaat (1975 bis heute). Sie, diese von den politischen und wirtschaftlichen Partnern respektierte Souveränität, ermöglichte die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen für die ganz großen Geschäfte des Finanzsektors. Das Zentrum und der Süden Luxemburgs wachsen heute zu einer Metropole zusammen, welche für weite Teile der französisch-deutsch-belgischen Großregion das Maß aller Dinge ist. Hier arbeiten Hunderttausende, deren Wissen und Können uns die gefühlte Gewissheit geben, dass die Zukunft hier mehr Chancen als Risiken birgt.
Natürlich bleibt der politische Langzeittrend in der Europäischen Union bestimmend für die langfristige Entwicklung unseres Landes. Man sollte ihn deshalb sehr genau betrachten.

Dem langjährigen Beobachter fällt auf, dass das Bild, welches die „andern“ sich von Luxemburg machen, kein positives mehr ist. Bis zur Finanz-und Bankenkrise von 2008/2009 klopfte man unseren Spitzenpolitikern noch gönnerhaft auf die Schulter, wenn sie lautstark und manchmal protzend auftraten: Luxemburg war doch irgendwie witzig klein …

Das ist vorbei. Heute überwiegt draußen der Eindruck, dass „wir“ den Souveränitätsbogen überspannt haben. Die Deutschen schicken zwar nicht die Kavallerie und die Franzosen nicht die Fremdenlegion, aber sie lassen nichts mehr in Steuerdingen durch.

Umso geschickter muss die gegenwärtige Luxemburger Regierung auf der europäischen und der internationalen Bühne auftreten. Es würde kaum Bedauern auslösen, wenn Luxemburg durch irgendwelche Umstände in dieselbe Armut stürzte, in der heute 24% der EU-Bürger leben müssen: Dann wären es halt 25 Prozent.