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Seit 28 Tagen in Australien

Seit 28 Tagen in Australien
(Isabelle Greisch)

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Tageblatt-Praktikantin Isabelle Greisch verbringt nach der Première ein Jahr mit ihrer Freundin in Australien. In zweiwöchigen Abständen berichtet sie auf Tageblatt.lu über ihre Erfahrungen dort. Warum sie sich neulich wie in einem Film fühlte, lesen Sie jetzt.

Heute ist es genau 28 Tage her, seit ich Luxemburg verlassen habe. Irgendwie fühlt es sich eher wie eine Ewigkeit an, da ich schon viel erlebt und dazugelernt habe, und die Zeit scheint zu verfliegen. Ich hoffe es gelingt mir, meine Erfahrungen und Erlebnisse in angemessene Worte zu fassen, die meine Empfindungen und Eindrücke so gut wie nur möglich wiedergeben. Während ich diesen Eintrag schreibe, sitze ich gemütlich auf meiner Couch mit Knoblauchbrot und Blaubeeren. Letzte Nacht hatte ich nur drei Stunden Schlaf, deshalb drückt die Daumen, dass mein Kopf noch halbwegs wach genug ist, um meine Gedanken aufs Papier (bzw. Laptop) zu kriegen. Wieso ich Schlafentzug habe, werdet ihr gleich erfahren!

Fangen wir mit Sarah’s Zugfahrt nach Melbourne und meinem Einzug in Coogee an. Am 9. Oktober (Sonntags) frühmorgens hat Sarah sich auf den Weg Richtung Central Station gemacht um ihre 10 Stunden dauernde Zugfahrt nach Melbourne anzutreten. Nach einer verschlafenen Umarmung und gemurmelten Glückwünschen, schlief ich wieder ein.

«Lasst Sidney offen»

Als ich wach wurde, machte ich mich auf den Weg, kaufte mir einen Muffin (wie fast jeden Morgen) und wanderte noch ein bisschen durch Paddington und Darlinghurst. Auf einmal traf ich auf eine riesige Menschenmenge und sah, dass ein großer Teil der Straßen gesperrt war, da ein Protest stattfand. Der Grund: In Sydney wurde vor Kurzem ein Gesetz eingeführt, das das Nachtleben extrem einschränkt, weil fast alle Clubs gegen zwei Uhr morgens (ja, richtig gehört) schliessen müssen. Anscheinend soll zuviel Trunkenheit und zu viele Prügeleien diese Entscheidung hervorgerufen haben. In Sydney wird im Allgemeinen das Thema Alkohol sehr streng behandelt. Keiner kommt irgendwo rein ohne sich vorher auszuweisen, man wird gefragt ob man schon etwas getrunken hat, bevor man reingelassen wird und Betrunkene werden kurzerhand aus dem Club geworfen. Der positive Aspekt ist ganz klar, dass man sich stets sicher fühlt, der negative Aspekt ist, dass das Nachtleben, das einfach zu einer Großstadt gehört, darunter leiden muss. Manche Leute werden ewig weiter Drogen nehmen oder sich zur Besinnungslosigkeit besaufen, und wenn nicht in Clubs, dann anderswo. Deswegen sollten die Anderen, die einfach nur eine tolle Zeit haben wollen, nicht drunter leiden.

Der Protest stand also unter dem Motto „Lasst Sydney offen“ („Keep Sydney open“). Es war eine enorme, schier nicht endenwollende Menschenmasse, mit dem Ziel wieder richtig in Sydney feiern zu können. Sehen wir mal, was daraus wird. Am Anfang dachte ich, es würde um die Flüchtlingspolitik Australiens gehen und war doch etwas enttäuscht, dass das nicht der Fall war.

Kein Teenager mehr

Am Tag darauf nahm ich den Bus nach Bondi Junction um noch Decken und Kissen zu kaufen. Dann der Abschied von Kelly und Lachlan. (Danke noch mal an die Beiden!) Einer meiner Mitbewohner hatte angeboten mich abzuholen, so dass ich nicht mit meinem Gepäck den Bus nehmen musste. In Coogee angekommen, genehmigten wir drei uns ein Bierchen auf der Terrasse (mit wunderschönem Ausblick!), danach richtete ich mich ein und ging ins Bett.

Am Dienstag war mein Geburtstag, den ich mit einem Strandspaziergang begonnen habe. Offiziell kein Teenager mehr! Meine zwei Flatmates waren tagsüber arbeiten, doch hatten ein Barbecue am Abend für mich geplant. Das hat mich sehr berührt, denn an diesem Tag vermisste ich meine Familie und Freunde sehr. Dass die Beiden sich diese Mühe gemacht haben, bedeutet mir viel! Es war ein lustiger Abend; fremde Leute (auch alles Engländer) sind für meine 20 erschienen, obwohl sie mich gar nicht gekannt haben. Es wurde viel gelacht und obwohl ich für das erste Mal seit ich in Australien bin, Heimweh hatte, war ich trotzdem glücklich. Ich habe definitiv die richtige Entscheidung getroffen, bei Adam und Chris einzuziehen! Als ich ins Bett ging, ging es mir wieder schlechter. Ich dachte an Familienessen und an die Geburtstage, die ich mit meinen Freunden gefeiert habe und es zeigte mir einfach, wie weit weg Luxemburg doch ist. Ich wünschte mir, ich könnte meine Liebsten in die Arme schließen, statt nur mit ihnen zu telefonieren und zu schreiben.

Auf Jobsuche

Am Tag darauf ging es mir wieder besser. Außerdem hatte ich abends den Probelauf für meine Arbeit. Dieser ist allerdings nicht gut ausgegangen (erste „Enttäuschung“). Das Lokal wird von fünf Managern geleitet und vier davon hatte ich schon kennengelernt. Sie alle haben mir versichert, dass sie mir das Mixen von Drinks beibringen würden und dass es also nicht schlimm ist, dass ich keine Erfahrung in diesem Bereich habe. Sie haben mir ja auch einen Probelauf organisiert mit dem Wissen, dass ich unerfahren bin. Pech, wenn man dann den fünften Manager als „Jury“ für seinen Probelauf bekommt, denn der war anderer Meinung und sagte mir, dass mein Verhalten und meine Einstellung gegenüber den Kunden wunderbar sei, doch meine Unerfahrenheit sei ein Problem. Witzig, da ich trotz dieser Gegebenheit einen Probelauf bekommen habe und der Rest der Mannschaft mir versichert hat, dass dies keine Rolle spielen würde. Ich sagte ihm das auch, woraufhin er mich fragend ansah, als ob ich das nur erfinden würde. Stinksauer machte ich mich auf den Heimweg, ließ meinen Frust an Chris aus, der mich mit Klischees wie „Everything happens for a reason“ zu beruhigen versuchte. Ich fluchte auf Luxemburgisch vor mich hin, schnappte mir meine Lebensläufe und ging wieder einmal durch die Straßen Coogees. Wieder zuhause, redete ich noch mit Chris, der mir versicherte, dass ich schnell einen anderen Job finden würde. Der Arme hatte die ganze Ladung meines Ärgers abbekommen, während Adam bei seiner Freundin übernachtet hatte und verschont blieb.

Der nächste Tag bestand aus Lebensläufen verteilen, einkaufen und das schöne Wetter genießen. Bei meinem Lebensmitteleinkauf stieß ich auf einen Stand, der sich für mehr Forschung gegen Brustkrebs einsetzte. Ich blieb stehen, ließ mich informieren, doch ich sagte George (so hieß der Mann), dass ich selbst kein Geld habe und nach einem Job suche. Er erwiderte darauf, dass er mir einen Job bei der Firma, in der er eingestellt ist, organisieren kann. Es klang zu perfekt um wahr zu sein: Große Charity Organisationen wie z.B. UNICEF unterstützen, indem man Spenden sammelt und man wird dafür auch noch fürstlich bezahlt. Dementsprechend war ich seeeehr skeptisch, doch George hatte bereits die Firma kontaktiert und versicherte mir, dass sie mich am Montag anrufen würden. Ich war definitiv nicht überzeugt, da ich durch meinen Probelauf im „Pavilion“ skeptisch geworden bin.

Ein Erfolgserlebnis

Freitag morgens erhielt ich eine Sms von Chef des „Tropicana“, ein anderes beliebtes Lokal in Coogee. Ich wurde gefragt, ob ich am Samstag einen Probelauf absolvieren könnte, worauf ich natürlich mit Ja antwortete. Und dieses Mal hat es dann auch geklappt! Mein Chef war überzeugt von mir und ich hatte endlich einen Job! Meine Mitarbeiterinnen sind nett und die Atmosphäre im Lokal ist freundschaftlich, witzig und entspannt. Es macht mir Spaß als Kellnerin zu arbeiten, doch den ganzen Tag von Essen umgeben zu sein tut mir echt nicht gut! Alles woran ich denke ist Essen, Essen, Essen! Wenn meine Schicht vorbei ist, geht es schnurstracks zum Supermarkt und kaufe alles, auf das ich gerade Lust habe. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter des Tropicana gratis dort essen können. Und ich kann euch versichern, dass es erstklassig schmeckt. Als ich meine Mutter eine Woche darauf mit Face Time anrief, sagte sie, dass mein Gesicht dicker geworden ist.

Montags kam dann tatsächlich ein Anruf von der Firma VMG. Interview Morgen um 10 Uhr in der Stadt. Ich sagte zu, da ich neugierig war und ich in dieser Woche stets die Abendschicht im Tropicana hatte. Ich musste in Businessaufzug erscheinen, doch als Backpacker hat man nicht unbedingt Highheels und sonstiges dabei. Ich improvisierte also mit meinem Kleiderschrank und begab mich in die Stadt. Das Gebäude war riesig (40 Stöcke) und beeindruckte mich. Gleichzeitig fragte ich mich was zum Teufel ich hier verloren habe. Ich trat ein, wurde begrüßt und musste ein Formular ausfüllen. (Was ist deine beste Charaktereigenschaft; was ist das Beste, das du bis jetzt in deinem Leben erreicht hast, usw.). Ich hätte fast laut gelacht. Ich bin 20 Jahre alt und habe gerade erst den Abschluss gemacht. Alles was ich schreiben konnte klang selbst in meinen Ohren unerfahren und ungeeignet (Ich bin hier um zu lernen und um mich selbst herauszufordern, usw.).

Das Interview

Fürs Interview wurden 5 andere Kandidatinnen (alle mindestens 10 Jahre älter als ich) und ich in einen Konferenzraum geführt. Der Manager der Firma saß am Ende des Tisches (wie in einem Film). Er stellte Fragen, die wir alle nacheinander beantworten mussten. Meine Mitstreiterinnen waren allesamt erfahren und ich fand die Situation immer witziger. Es war schon cool so was zu erleben. Ich sitze mit 20 Jahren ohne jegliche Erfahrung in einem Meeting, in dem es über Marketing und Verkauf geht. Als ich wieder in Coogee war, war ich mir sicher nichts mehr von ihnen zu hören, doch tada keine vier Stunden später erhielt ich einen Anruf. Die Firma sei sehr interessiert an mir und wolle mich am Donnerstag wiedersehen. Ziemlich überrascht stimmte ich zu, begierig zu wissen wo das hinführen könnte.

Da wurde ich auch aufgeklärt wieso der Manager sich für mich entschieden hatte: Schlüsselattribute sind Ehrlichkeit, Arbeitsamkeit, Studenten-Mentalität, eine positive Einstellung und der Drang Neues zu lernen. Genau das habe ich im Formular geschrieben und auch auf die Fragen des Managers habe ich so geantwortet, Ich wurde mit den Abläufen der Firma bekannt gemacht, mit der Art der Bezahlung (Provisionszahlung), mit welchen Organisationen wir zusammenarbeiten und der Art des Marketings. Ich war jedoch stets skeptisch: Eine Menge Geld verdienen (aber nur wenn sich auch jemand einschreibt!) und dabei etwas Gutes tun! Das klang einfach zu perfekt. Freitags bin ich wiederum dort erschienen und hatte die erste Trainingsession. Wie man seine Körpersprache einsetzt, wie man die Leute aussucht (nicht unter 25, am besten 35-65 Jahre alt, keine alten Leuten ausnutzen, usw.).

Wie im Film

Es war echt interessant und die Stimmung im Büro war der Wahnsinn. Ich habe mich teilweise wie in einem Film gefühlt, es war unbeschreiblich! Das Einzige, das mir Angst einflößt, ist, dass man nur bezahlt wird, wenn man auch verkauft. Man ist zwar nie allein, wird jeden Tag trainiert ehe man Spenden sammeln geht, hat einen eigenen Coach an seiner Seite, doch das ist keine Garantie. Manche sind nicht dafür geeignet, doch ich habe mich dafür entschieden herauszufinden zu welchem Teil ich gehöre: Geeignet oder nicht. Ich bin ja dafür in Australien! Chancen nutzen und dann sehen welche Türen sich mir öffnen, oder oben nicht. Mit meinem Chef von Tropicana habe ich vereinbart, dass ich noch eine Woche bei ihnen arbeiten werde, und wenn es bei VMG nicht klappt, kann ich wieder dorthin zurück. Daumen hoch für meinen Chef und sein Verständnis für meinen Drang Neues auszuprobieren und mich selbst herauszufordern.

Meine Freizeit habe ich mit meinen Freunden und Mitbewohnern verbracht. Zahlreiche Barbecues (das Klichee, dass Engländer wissen wie man feiert, kann ich nur bestätigen) wurden veranstaltet, laute Musik, Gelächter und Bier war stets präsent. Etwas in Coogee hat mich sehr begeistert: Am Strand sieht man viele Leute und jeder beschäftigt sich mit etwas anderem, doch was fast jeder tut (was ich fantastisch finde) ist einfach nur das Meer anschauen. Es ist wundervoll zu sehen, wie Menschen einfach stehen bleiben und die Aussicht genießen und in sich aufnehmen. Ich selbst bleibe mindestens einmal stehen, wenn ich unterwegs bin und genieße einfach nur. Die Wirkung kann man fast mit der einer Meditation vergleichen. Eine andere Gegebenheit, die ich sehr mag, ist, dass Hunde überall ohne Leine herumlaufen, und niemanden stört es. Die Leute sind freundlich und glücklich. Hunde toben im Wasser oder faulen in der Sonne wie ihre Herrchen. Super! Wenn es besonders sonnig ist, ist Coogee mit Barbecues übersät, denn hier sind öffentliche BBQs ein Kult. Musik, Beachvolleyball, Tänzer; in Coogee ist stets was los!

Ich bemerke außerdem, dass ich anfange in Englisch zu denken. Ich spreche nur noch Luxemburgisch wenn ich telefoniere, ansonsten nur Englisch, manchmal Französich. Deutsch konnte ich noch nicht gebrauchen.

Es gibt eine Frage, die ich nicht mehr hören kann, und zwar die, ob man in Luxemburg Deutsch oder Französisch spricht. NEIN, wir sind ein eigenes Land, auch wenn unsere Einwohnerzahl nur eine halbe Million ist! Und ja, Luxemburgisch ist eine Sprache und wir sprechen sie tatsächlich. Ich muss diese Antwort bestimmt fünf Mal am Tag von mir geben. Naja, wenigstens wissen die Meisten, dass wir ein eigenes Land sind und nicht zu Deutschland gehören.

Ich bin sehr glücklich hier, freue mich auf den Sommer und auf meinen Start bei VMG. Und jetzt hole ich mir eine Mütze voll Schlaf. Gute Nacht!