Ab und zu bleiben Passanten stehen und lauschen. Die meisten laufen jedoch, ohne den auf einer Bank sitzenden Gitarristen zu beachten, vorbei. Vor allem in dieser kalten Zeit. Einen Tag vor Heiligabend. Da müssen noch rasch die letzten Geschenke gekauft werden und die Zutaten fürs Festtagsmenü. Für Muße bleibt keine Zeit. Weihnachtshektik halt.
In unregelmäßigen Intervallen macht’s „pling“. Wenn jemand eine Münze in den aufgeschlagenen Gitarrenkasten wirft. 20 oder 50 Cent meist, manchmal einen Euro, seltener zwei. Dany des Rues nickt dann freundlich mit dem Kopf, singt weiter und schrammt mit den Fingern über die Saiten.
Halboffene Handschuhe trägt er bei dieser feuchtkalten Witterung. Und aus gegebenem Anlass eine Santa-Claus-Mütze.
Dany ist Vollprofi in seinem Business. Er lebt für und von seiner Musik. „Früher habe ich eigentlich fast nur in Bars und anderen Lokalen gesungen. Doch die Straße ist sicherer!“
Mit „sicherer“ meint der Lothringer, der 1970 in Boulay nahe Metz geboren wurde, die Tatsache, dass es nicht selten vorkam, dass gebuchte Konzerttermine kurzfristig wieder abgesagt wurden.
«Die Straße ist immer da!»
„Die Straße hingegen ist immer da!“, betont er. „Hier bin ich mir meines Einkommens sicher, muss nicht befürchten, dass es am Ende des Monats nicht reicht, weil wieder das ein oder andere geplante Konzert ausfällt.“
Dany hat beruflich nie etwas anderes gemacht als gesungen und musiziert. „Mit 18 habe ich angefangen.“ Zunächst mit einer Punk-Rock-Band, dann als Solokünstler.
Seine Karriere begann auf den Straßen von Metz, dann kam die erwähnte Phase mit Auftritten in Gaststätten, die er beendete, als 2001 sein erstes Kind geboren wurde.
Mittlerweile sind es zwei, ein Junge und ein Mädchen, 13 und 16 Jahre alt. Es mag für manche absurd klingen, aber für Dany ist die Straße in der Tat tatsächlich das sicherere Pflaster, wenn es um das Einkommen geht.
Bereits 70.000 CDs verkauft
Der Straßenmusiker, der nach eigenen Angaben an bis zu 50 Tagen im Jahr nach Esch kommt, verfügt über ein großes Repertoire, das sowohl französische Chansons als auch englische Songs umfasst. Er gibt nicht nur Coverversionen zum Besten, zum Beispiel von Liedern seines Vorbilds Renaud oder anderer bekannter französisch- oder englischsprachiger Singer-Songwriter, sondern schreibt auch eigene Stücke.
Und er hat in den 28 Jahren seines Musikerlebens bereits nicht weniger als 22 CDs veröffentlicht und rund 70.000 Exemplare verkauft. Die aktuelle Platte heißt „Les cheveux dans les yeux“, die 23. ist in Produktion und wird in wenigen Wochen erscheinen. Sie trägt den Titel „Le non retour de Rémy Vinacci“.
Rémy Vinacci muss man nicht unbedingt kennen. Danys Fans jedoch kennen ihn. Es handelt sich um eine fiktive Person, eine, die er selbst geschaffen hat und die auch schon den Titel seiner zweiten CD prägte. Die hieß übrigens „Le retour de Rémy Vinacci“.
Er singt vom Leben
Dany des Rues singt vom Leben. Seine Stücke heißen „Le blues de mes amours“, „Une petite pièce pour la musique“, „A coeur ouvert“, „Je ne suis pas Charlie“, „La môme artiste“ oder „Anne a 20 ans“. Er singt sie mit sanfter Stimme, aber dennoch voller Leidenschaft.
Das ganze Jahr über ist er mit ihnen unterwegs. Mal in Metz, wo 1988 alles anfing, mal in Luxemburg-Stadt, mal in Esch. Vor allem letztere Stadt hat es ihm angetan. Sie sei „l’exception culturelle du Luxembourg“. Wenn das mal kein Lob ist!
Dennoch: Auch in Esch sind die goldenen Zeiten – sofern es die jemals gab – für Straßenmusiker längst vorbei.
Es kriselt … auch für Straßenmusiker
In den letzten Jahren wurde es zusehends schwieriger für den symphatischen 46-Jährigen. „Irgendetwas ist mit Esch geschehen“, meint er, „es sind nicht mehr so viele Leute hier wie früher.“ Vielleicht läge das auch an Belval, sinniert er.
Zu schaffen macht ihm ebenfalls die ständig wachsende Zahl an Bettlern, die sich in der Alzettestraße aufhalten. Jeder Cent, der in deren Taschen fließt, fehlt in seinem Gitarrenkasten. „Und früher war es auch so, dass Leute mir 10 oder 20 Euro für eine CD zusteckten. Heute bekomme ich nur noch 5. Da kann ich auch keine aufwändige Verpackung mehr finanzieren. Deshalb stecken die Scheiben jetzt in Papp-Umschlägen.“
Neben den CDs verkauft Dany des Rues auch sein Buch. Das nennt sich „Le Busker qui tonne“, was sinngemäß so viel bedeutet wie „Der wetternde Straßenmusikant“, und steckt voller interessanter Lebensweisheiten, mal in Poesie-, mal in Prosaform.
Auch an Heiligabend
„Pling“ macht’s mal gerade wieder. Eine Zwei-Euro-Münze landet im Kasten. Dany nickt freundlich. Auch am Samstag wird er wieder hier sitzen. An Heiligabend. Bis die Geschäfte schließen. Und er wird wieder auf spendable Passanten hoffen. Solche, die – wer weiß – in vorweihnachtlicher Stimmung die Brieftasche vielleicht doch etwas lockerer sitzen haben.
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