„Dem ‹Islamischen Staat› geht das Geld aus“, „Das Vermögen des IS schwindet“, „Studie zur Terrormiliz: Einnahmen des IS dramatisch gesunken“ – überschwänglicher könnten die Schlagzeilen nicht sein. Ein angeschlagenes Geschäftsmodell, verursacht durch einen massiven Territoriumsverlust, gekoppelt an militärische Niederlagen: Genau diese Faktoren sollen nun für den Niedergang der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verantwortlich sein.
Es ist unbestreitbar, dass der IS viel von seiner einstigen Anziehungskraft eingebüßt hat. Auch der Rückgang der Einnahmen um fast die Hälfte ist nicht zu unterschätzen. Allerdings sollen die Terrorjünger alleine 2016 noch 815 Millionen Euro eingenommen haben. Insofern wirkt die Euphorie zumindest ein wenig verfrüht. Außerdem wird der Blick auf das Wesentliche verzerrt.
Offiziell wollte der IS mit seinem selbst ausgerufenen Kalifat den Terrorismus neu erfinden. Dass dies langfristig nicht funktionieren konnte, war den IS-Masterminds klar. Viele von ihnen stammten aus den Reihen von Saddam Husseins Baath-Partei, wo sie hohe militärische Posten innehatten.
Die „Pragmatiker“ unter den IS-Terroristen verfolgten somit vor allem ein Ziel: sich innerhalb kürzester Zeit so viel wie möglich zu bereichern. So ist es kaum verwunderlich, dass der IS mittlerweile gar nicht mehr dazu rät, nach Syrien oder in den Irak zu reisen. Die Foreign Fighters aus Europa, Afghanistan, Pakistan und dem Kaukasus waren nur Mittel zum Zweck.
Wenn es etwas gibt, das dem IS gelang, so ist es die globale Vermarktung seiner Propaganda, die bis heute ihre Früchte trägt. Obschon die mediale Präsenz des IS selbst online massiv gesunken ist, hat der „Traum vom Kalifat“ gleich mehrere Ziele erreicht:
– In einer ersten Phase die Rekrutierung von lokalen und ausländischen Kämpfern, die staatsähnliche Strukturen in Syrien und im Irak während zwei Jahren am Laufen hielten. Alleine 2014 erwirtschaftete der IS 1,8 Milliarden Euro durch illegale Ölgeschäfte, brutale Steuerpraktiken und Raubzüge inner- und außerhalb des eigenen Territoriums.
– Die Spaltung des Westens. Egal, wie optimistisch man auch sein mag, die Wahl von Donald Trump und Europas desaströser Umgang mit der Flüchtlingsfrage sind zu einem guten Teil der raffinierten IS-Strategie zu verdanken.
Das ohnehin institutionell verkrustete Europa rieb sich in der Terrorhysterie an sich selbst auf, während Trump neben der sozialen Frage auch die Angst vor dem radikalen Islam in seinem Wahlkampf ausschlachtete.
Was in Europa durch den Flüchtlingsdeal mit der Türkei und jüngst durch die verkrampfte Libyen-Politik ein wenig abgefedert wurde, entlädt sich gerade in den USA: Die Polarisierung der Gesellschaft wird in dem einst toleranten Land durch Elemente wie den „Muslim Ban“ auf die Spitze getrieben. Für oder gegen Trump, lautet die Devise. Schwarz-Weiß-Denken dominiert aber auch diesseits des Atlantiks zunehmend die Politik.
Selbst wenn die IS-Hochburgen im syrischen Rakka und im irakischen Mossul zurückerobert werden, steht die Weltgemeinschaft vor einem Scherbenhaufen und vielen ungelösten Fragen: Wer ergreift die Macht in Syrien und im Irak? Wie wird mit der Radikalisierung bei uns, aber auch in den vom Krieg verwüsteten Staaten umgegangen? Wird der IS, ähnlich wie seine Vorgängerorganisation Al-Qaida im Irak, im Untergrund agieren und Europa „kostengünstig“ angreifen? Welche Rolle werden der Iran und Saudi-Arabien in der Region spielen, wenn der IS offiziell besiegt, aber nicht ausradiert wurde? Kommt es zu einer post-westlichen Weltordnung im Nahen Osten ohne die USA oder dreht Trump den Spieß noch um?
So viel steht fest: Die Auswirkungen des Kalifats, das es nie gab, werden uns noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen.
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