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Gleichberechtigung nicht nur eine Frage des Geschlechts

Gestern feierten wir den Weltfrauentag. Seinerzeit als Kampftag für die Rechte der Frauen eingeführt, dient er in unseren Breitengraden heute vornehmlich dazu, auf noch bestehende Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen hinzuweisen. Schriftlich verbriefte Rechte haben wohl alle, nur sind sie für die einen leichter realisierbar als für die anderen.

Der Tag ist demnach alles andere als überflüssig. Doch warum nur an die Unterschiede in Lohn, Aufstiegschancen im Beruf zwischen den Geschlechtern denken? Wie steht es um die ungleichen Chancen zwischen einzelnen sozialen Gruppen? Ungleichheiten, die sich nicht am Geschlecht festmachen lassen, sondern an der sozialen Herkunft des Betroffenen, an seinem kulturellen Umfeld. Es ist nun mal so: Wer das Glück hat, in einer kulturell interessierten Familie aufzuwachsen, wer von Kindesbeinen an Bücher um sich sieht, von den Eltern Gutenachtgeschichten hört, dessen Schulkarriere und berufliche Zukunft sind quasi vorgezeichnet.

Und so entstehen Ärzte- und Anwaltsdynastien, Generationen von Bürgern, die materielle und geistige Not nur vom Hörensagen oder aus den Medien kennen. Auf dem Gegenpol produzieren Familien von Niedriglohnbeziehern allzu oft noch Niedrigqualifizierte und Kleinverdiener.

Natürlich sind die sozialen Schranken heute durchlässiger als noch vor einigen Jahrzehnten. Luxemburgs Schulwesen bietet jedem die Chance auf Bildung. Beispiele, wie es Kinder aus bescheidenen Verhältnissen zu hochqualifizierten Experten bringen, gibt es zuhauf. Dennoch: Wie erklären, dass in den technischen Lyzeen der Anteil der Nicht-Luxemburger quasi dem Anteil der Nicht-Luxemburger in der Bevölkerung entspricht, er in den klassischen Lyzeen jedoch seit Jahren auf einem weit niedrigeren Prozentsatz vor sich hin dümpelt?

Doch derlei Ungleichgewichte lassen sich nicht nur in unseren Schulen beobachten. Luxemburgs höchste politische Instanz, das Parlament, weist seit Jahren eine auffallend starke soziale Schieflage auf. Das Ungleichgewicht zwischen den Berufsgruppen ist flagrant. Juristen und Staatsbeamte überwiegen in den Rängen der Abgeordneten. Handwerker sind kaum zu finden. Von Berufstätigen, die man vor der Einführung des Einheitsstatuts Anfang 2009 Arbeiter nannte, gar nicht zu reden. Sie sucht man vergebens. Natürlich sollen die Abgeordneten, unabhängig von ihrem früheren Berufsleben, alle Wähler vertreten. Aber ist ein Rechtsanwalt wirklich in der Lage, Nöte und Sorgen einer den Mindestlohn verdienenden Putzkraft zu verstehen?

Ein Plädoyer für einen Tag der Chancengleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft, soll das keineswegs sein. Allein mit Aufrufen ist es nicht getan. Gleichberechtigung schafft man nur, wenn die soziokulturellen Ungleichheiten, die jedem Kind mit in die Wiege gelegt werden, wirksam kompensiert werden.

Vieles wird in diesem Bereich bereits getan – man denke nur an die Früherziehung – doch, wie bei der Gleichstellung der Geschlechter, reicht es noch längst nicht. Und vielleicht schafft man es auch eines Tages, die Bedingungen zur Ausübung eines politischen Mandats so zu verbessern, dass mehr Beschäftigte aus der Privatwirtschaft den Sprung in die Politik wagen; der Meinungsvielfalt im „Hohen Haus“ würde dies guttun.