Lese-Empfehlung
In der Tageblatt-Ausgabe vom 13. Juni erschien bereits ein Porträt der Künstlerin, verfasst von Rosario Ligammari.
Spätestens seit dem gemeinsamen ESC-Beitrag mit der Sängerin Jerry Heil ist sie im internationalen Mainstream angekommen, doch Fans von engagiertem, feministischem Rap dürfte sie schon länger ein Begriff sein. Alyona Alyona, musikalisch zwischen Trap, Oldschool-Bangern und Pop anzusiedeln, ist wohl der bekannteste Name auf der Gästeliste der UA Days, die noch bis zum 19. Juni die „silent arts“ der kriegsgebeutelten Nation in den Fokus rücken. Eventuell würde „silenced“, ruhiggestellt, besser passen, denn wie sie bei ihrem Auftritt am Freitag in der Kulturfabrik zwischen den Songs mitteilte, ist die Existenz als Musikschaffende – dazu noch als kritische Künstlerin und Ukrainerin im Hip-Hop-Bereich – noch lange kein Selbstläufer. Zu häufig werde sie auf ihr Aussehen reduziert oder als aggressiv bezeichnet. In dem Sinne eine klare Ansage gegen jegliches „silencing“, die immer wieder in ihren Songs wiederkommt.
Das Publikum: vorwiegend Ukrainer, viele Frauen und junge Menschen. Als die Künstlerin die Frage in den Raum warf, wie viele Personen kein Ukrainisch verstehen, hoben sich ein Dutzend Hände, inklusive der der Schreiberin dieser Zeilen. Vor allem bei sozialkritischem Hip-Hop spielen die Texte eine wichtige Rolle und können zum Großteil online eingesehen werden, doch dies zeigt wohl, dass auch der Flow und Sound der Musikerin gefallen, Sprachbarriere hin oder her.
Keine Schlösser, keine Barrikaden
Technisch ließen sie und ihre Begleitrapperin keine Wünsche offen: Alyona Alyona punktete mit ihrer messerscharfen Delivery, einem eigenen Flow, der zwischen ruhig und rasant oszillierte, und einzelnen Doubletime-Passagen, die vom Publikum entsprechend gefeiert wurden. Kritikern oder Fans von klassischem Rap mag sie etwas zu Pop-lastig ein; wer jedoch auf eingängigen Hip-Hop mit viel Melodik und Mitsingpotenzial steht – denn ja, Alyona Alyona ist auch eine begabte Sängerin –, müsste bei diesem Konzert auf seine Kosten gekommen sein.

Hits wie „Як би я була не я“ („Wäre ich nicht ich“) standen auf dem Programm der einstündigen Show samt Zugabe: Darin rappt die Künstlerin Zeilen wie: „Ich würde Brücken abreißen und ruhig bleiben – genau wie du / Ich würde Schlösser einsetzen und Barrikaden errichten – genau wie du / Ich würde mich verstecken – und genau das tat ich – ich verblasste statt aufzublühen.“ „Пушка“ („Bombe“) ist Hip-Hop-Banger und Empowerment-Hymne zugleich, eine Ode an die Selbstliebe, unabhängig von gesellschaftlichen Normen und Schönheitsidealen, und eine gehörige Portion Selbstironie zugleich. Alyona Alyona steht hinter ihren Aussagen, schreckt nicht vor politischen Statements zurück, nimmt sich dabei aber selbst nie zu ernst. Die Pazifistin nimmt kein Blatt vor den Mund, kombiniert Hip-Hop und Pop sowie ab und an traditionelle ukrainische Volksmusik – besonders prominent in „ПОДОЛЯНОЧКА (Get Up)“ („Podolyanochka (Steh auf)“) zu hören.
Und klar: „Teresa & Maria“, der diesjährige Eurovision-Beitrag, der die Rapperin gemeinsam mit der ukrainischen Sängerin Jerry Heil in den internationalen Mainstream katapultiert hat, durfte natürlich nicht fehlen. Das Duo hat bereits etliche Male zusammengearbeitet. Singen und Rappen sind zwei Paar Schuhe – Alyona Alyona trägt sie beide. Sowohl sie als auch ihre Kollegin lieferten technisch saubere, glasklare Live-Vocals, die die teilweise sehr lauten Backing Tracks in den Hintergrund rückten, beispielsweise beim komplett gesungenen Song „А що буде“ („Was wird geschehen?“).
Rekonstruktion und Revivals
Wie Olena Klopota, eine der Hauptorganisatorinnen der UA Days, gegenüber dem Tageblatt erklärte, steht dieses Jahr die Musik im Mittelpunkt. Lag der Schwerpunkt 2024 bei den visuellen Künsten, sollten bei dieser Auflage Stimmen zur Sprache kommen, die zum Schweigen gebracht wurden – jetzt, in Zeiten des Krieges, und in der Vergangenheit. Komponisten wie Wassyl Oleksandrowytsch Barwinskyj und Borys Mykolajowytsch Ljatoschynskyj sind nicht jedem bekannt, dennoch war das Auftaktkonzert in der Philharmonie zu ihren Ehren voll besetzt. „Ich war überrascht, zu sehen, wie viele Menschen gekommen sind“, berichtete Yulia Vdovychenko, freiwillige Helferin bei der „LUkraine ASBL“. Barwinskyj wurde unter dem Sowjetregime verhaftet, seine Musik verboten. Innerhalb weniger Tage wurde ein großer Teil seiner Manuskripte öffentlich verbrannt. Viele seiner Werke sind heute verloren, auch wenn der impressionistisch geprägte Komponist nach der Befreiung aus einem Straflager versucht hat, so viele wie möglich zu rekonstruieren.
„Full House“ war ebenfalls bei Alyona Alyona – trotz der zeitgleich stattfindenden „Fête de la musique“, was dem Besucherzustrom laut Organisatoren keinen Abbruch getan hat. Im Gegenteil, meinte Yulia Vdovychenko: „Wir freuen uns, so viele Menschen zu sehen, und viele davon sind Freunde, die wir hier in Luxemburg kennengelernt haben.“
Musik ist nun mal universell. Starke Stimmen, die Brücken bauen, die verbinden, und jene abreißen, die den Fortschritt bremsen, sind es auch.
UA Days
Zum Abschluss steht eine Vorführung des Stummfilms „Man with a Movie Camera“ mit Live-Musik auf dem Programm. Unter dem Motto „Old Movies and Jazz“ wird das Werk von Dziga Vertov aus dem Jahr 1929 vom Musiker Vitaliy Tkachuk und den luxemburgischen Jazzkünstlern Gilles Wagner (Schlagzeug und Perkussion), Laurent Payfert (Kontrabass) und Alessandro Biasi (Saxofon) begleitet. Beginn ist um 19.30 Uhr im Ciné Utopia. Weitere Infos auf uadays.lu.
Zu Demaart
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