„Ich arbeite in einem Modeberuf, da kann man nicht schlafen“: Jeannot Bianchini war mit seinem Friseursalon 44 Jahre lang eine Institution in Esch, am Samstag schließt sein Salon in der rue de la Libération für immer seine Türen und Jeannot tritt mit 69 Jahren in den Ruhestand ein. Das fällt ihm nicht leicht: „Ich fühle mich nicht gut dabei, denn ich weiß, dass mir der Salon und vor allem der Kontakt zu den Kunden fehlen wird“, sagt Bianchini, der im Januar 1979 in der rue du X Septembre seinen ersten Friseurladen eröffnete.
Bianchini hatte den Beruf von der Pike auf gelernt: „Mein Vater war alles andere als begeistert. Er war Minenarbeiter in Lasauvage und wollte, dass ich einen Bürojob annehme. Ich aber wollte immer Friseur werden.“ Mit 15 begann er seine Lehre bei Victor Lecuit in Schifflingen, anschließend arbeitete er je drei Jahre beim Echternacher Friseur Roby Herkes und bei Paul Biever in der Hauptstadt. Es zog ihn weiter nach Esch, wo er nach bestandener Meisterprüfung 1979 seinen eigenen Salon eröffnete. Bianchini startete als Herrenfriseur, später kam ein Salon in Differdingen und 1993 ein Damensalon in Esch hinzu, ebenfalls in der rue du X Septembre. 1999 wurden die beiden Escher Salons in der Liberationsstraße am jetzigen Standort zusammengelegt. Außerdem war Bianchini ein gutes Jahr auf Belval im Gebäude der damaligen Dexia-BIL mit einem eigenen Laden vertreten.
Familiensache Fußball
Jeannots Großeltern waren 1920 aus den Marken in Ostitalien nach Luxemburg ausgewandert. Seine Eltern hatten drei Söhne, von denen auch der jüngste Friseur war und demnach eng mit seinem Bruder zusammenarbeitete. Gleichzeitig war der recht jung verstorbene William Bianchini ein talentierter Fußballspieler, bestritt zehn Länderspiele für Luxemburg. Sein Wechsel von den Differdinger Red Boys zur Escher Jeunesse sorgte 1987 für Schlagzeilen. Für die Schwarz-Weißen erzielte er in 71 Spielen 25 Tore.
Auch Jeannot Bianchini war am Ball recht talentiert, hatte aber Probleme mit Verletzungen und stieg mit den Jahren aufs Laufen um. Überhaupt scheinen die Bianchinis Fußball im Blut zu haben. Jeannots Sohn Yannick spielte höherklassig, Tochter Leslie ist mit Ex-Nationalspieler Tom Schnell verheiratet. In die Fußstapfen ihres Vaters wollten sie nicht treten, was Jeannot ihnen nicht übelnimmt: „Sie haben ja gesehen, wie viel ich gearbeitet habe. Du bist ein Sklave deines Berufes, haben sie immer gesagt.“
Dennoch hat er seinen Beruf stets gerne ausgeübt, in 55 Jahren als Friseur war er zusammengenommen vielleicht zwei Wochen krank, sagt Jeannot Bianchini nicht ohne Stolz. Um auf dem neuesten Stand der modischen Dinge zu bleiben, kümmerte sich Bianchini stets um die Weiterbildung. Im Ausland oder indem er ausländische Friseure in seinen Salon einlud. Davon konnten auch die phasenweise bis zu 15 Angestellten profitieren. „Zudem habe ich in all den Jahren wahrscheinlich an die 70 Lehrjungen und -mädchen ausgebildet.“ Ein paarmal nahm Jeannot Bianchini auch an der Friseur-Weltmeisterschaft teil, wo als beste Platzierung ein 7. Rang unter weit mehr als 100 Teilnehmern herauskam. „Ich konnte das alles machen, weil meine Frau sich stets um den Papierkram gekümmert hat“, sagt Jeannot Bianchini. Am 12. Mai 1979 hatte er Nadine Konter, Tochter des bekannten Fußballspielers Bitzi Konter, geheiratet. Inzwischen geht man getrennte Wege.
Zeiten haben sich geändert
„Als ich 1976 in Esch anfing, da gab es hier 18 Friseurläden“, erinnert sich Bianchini, „heute sind es gefühlte zehn in jeder Straße.“ Die Zeiten haben sich geändert, auch für die Geschäftswelt in Luxemburgs zweitgrößter Stadt. „Es gibt einfach zu viele Einkaufszentren rund um die Stadt. In Esch sind nach wie vor viele gute Geschäfte. Trotzdem ist es nicht mehr dasselbe wie früher. Es ist auch nicht so leicht, das habe ich ja jetzt mitbekommen, als ich einen Nachfolger für den Salon suchte“, erzählt Bianchini. Gefunden hat er den jedoch nicht – auch, weil die potenziellen Nachfolger keine Kredite bei der Bank bekamen.
So übernimmt nun eine Anwaltskanzlei die Ladenfläche, in der sich fast 25 Jahre lang die Escher ihre Haare waschen, schneiden, färben, frisieren und föhnen ließen. Den prominentesten Besuch hatte Bianchini allerdings nicht in der rue de la Libération, sondern auf Kockelscheuer, wo er einige Jahre beim WTA-Turnier engagiert war und u.a. Tennisqueen Anna Kurnikowa aufhübschte. Worüber die beiden damals redeten, verrät der 69-Jährige nicht. „Natürlich ist man in diesem Beruf viel mehr als ein Friseur. Es kann in den Gesprächen schon ziemlich intim werden, für viele bin ich wohl fast so etwas wie ein Psychiater“, sagt Bianchini lachend. Absolute Diskretion versteht sich in seinem Berufsstand von selbst.
Diskret abtreten will Jeannot Bianchini aber nicht. Am letzten Arbeitstag am Samstag wird es eine kleine Überraschung geben, so richtig gefeiert wird die Pensionierung am 16. September in der „Schmëtt“ im Ellergronn. Da sollen noch einmal alle Kunden vorbeikommen, um der alten Zeiten zu gedenken. Die neuen Zeiten will Jeannot Bianchini mit Sport, Reisen und Familie ausfüllen. Vier Enkelkinder hat er, dazu kommen noch drei von seiner Partnerin. Und die jüngsten Familienmitglieder sollen mindestens genauso viel Aufmerksamkeit erhalten wie die Kunden in den letzten 44 Jahren.
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