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KlangweltenMusik-Special: Es fiept, es scheppert, es rockt

Klangwelten / Musik-Special: Es fiept, es scheppert, es rockt
Daughter – „Stereo Mind Game“   

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Am 28. März sind zwei beeindruckende, wenn auch ganz unterschiedliche Alben erschienen. Beginnen wir mit dem Londoner Indie-Trio Daughter. Im Anschluss an das 2016er-Album „Not To Disappear“ gaben Elena Tonra (Gesang, Gitarre, Bass), Igor Haefeli (Gitarre, Bass, Keyboard) und Remi Aguilella (Schlagzeug, Percussion, Sampling) über 100 Konzerte und fanden dennoch die Zeit, einen Soundtrack für das Videospiel „Life Is Strange: Before The Storm“ zu schreiben und im September 2017 unter dem Titel „Music From Before The Storm“ zu veröffentlichen. Danach beschlossen sie, eine Auszeit voneinander zu nehmen.

Tonra nahm in dieser unter dem Namen Ex:Re eine selbstbetitelte Soloplatte auf, die im November 2018 erschien. Im Februar 2021 folgte „Ex:Re With 12 Ensemble“, eine Streicher-Interpretation ihrer Songs, die zusammen mit der Cellistin und Komponistin Josephine Stephenson und dem Streichorchester 12 Ensemble entstand und im November 2019 im Londoner Kings Place live mitgeschnitten worden war.

Daugther
Daugther Foto: Marika Kochiashvili

Davon ab trafen sich Daughter immer mal wieder zum gemeinsamen Songschreiben in Studios in London, Portland und San Diego, wo Haefeli anno 2019 für sechs Monate lebte. Im Januar dieses Jahres kündigten sie schließlich mit der ersten Auskopplung „Be On Your Way“ „Stereo Mind Game“ (8 Punkte) ihr erstes Album in sieben Jahren an. Die konkreten Arbeiten daran begannen vor zwei Jahren. Haefeli, der nach Bristol gezogen war, traf sich mit Tonra in den Middle Farm Studios in Devon. Aguilella, der sich in Portland, Oregon, niedergelassen hatte, nahm seine Schlagzeugparts im Bocce Studio in Vancouver, Washington, auf. Das Album entstand aus der Distanz heraus.

Dessen zentrale Themen sind denn auch die Sehnsucht und die physische Distanz zueinander, wenn man sich eben nicht nah sein kann. Ganz deutlich wird das in „Wish I Could Cross The Sea“. Der Song enthält Sprachnotizen von Tonras Nichte und Neffe, die in Italien leben. Zum anderen wäre da „Missed Call“ mit einer Sprachnotiz eines Freundes, in der er einen Traum beschreibt. In musikalischer Hinsicht breiten Daughter ihre Arme weit aus und decken ein breites Spektrum von Indierock („Party“) bis hin zu cineastischem Trip-Hop („Wish I Could Cross The Sea“) ab. Rock, Folk, Elektronisches, Cineatisches …: Die Songs haben unterschiedliche Facetten, die Daughter beliebig kombinieren. An schönen Momenten und Wärme fehlt es „Stereo Mind Game“ nicht.


Ganz alte Hasen sind Mudhoney. Wie ihr Label SubPop feiern Sänger Mark Arm, Gitarrist Steve Turner, Bassist Guy Maddison und Schlagzeuger Dan Peters in diesem Jahr ihr 35-jähriges Jubiläum. Ob sie das dazu beflügelt hat, noch mal ein rundum perfektes Album wie „Plastic Eternity“ (10 Punkte) einzuspielen? Das hatte ihnen sicherlich kaum wer zugetraut.

In nur neun Tagen wurden die 13 Songs mit ihrem langjährigen Produzenten Johnny Sangster aufgenommen. Die Unmittelbarkeit des Entstehungsprozess hatte wohl einen positiven Einfluss auf das Album, das spontan und ungeschliffen klingt. Es fiept, es scheppert, es rockt. So ähnlich klang einst der Grungerock, bevor er von den großen Plattenfirmen vereinnahmt und für den Mainstream zurechtgemacht wurde. Mudhoney schaffen es, einem viele Jahre nach dem Grunge-Hype wieder das frische Gefühl dieser Musik zu vermitteln bzw. in Erinnerung zu rufen. Die Euphorie respektive Spielfreude, die ihren Songs innewohnt, springt auf einen über. Und das gilt für alle Songs: seien sie noch so ruhig (siehe die psychedelische Ballade „One Or Two“) oder ihre Themen noch so ernst – in dem rotzig-rockigen „Cry Me An Atmospheric River“ geht es um den Klimawandel, in dem treibenden „Here Comes The Flood“ um die Einnahme von Drogen und in dem punkig-wütenden „Human Stock Capital“ um die Behandlung von Menschen wie Vieh.

Eröffnet wird „Plastic Eternity“ von dem Ohrwurm „Souvenir Of My Trip“: fiepende Gitarren, die von einem Soli gekrönt werden, trippige Sounds und mehrstimmiger Gesang, der ein häufiges Stilmittel in den aktuellen Songs ist. Was ein Kracher gleich zu Beginn. Das Beste ist, dass Mudhoney die hohe Messlatte nie auch nur einen Millimeter tiefer legen. Jeder Song ist ein Treffer ins Schwarze (siehe auch „Move Under“). Fantastisch.

Und nicht falsch verstehen: „Plastic Eternity“ ist kein Grungealbum. Das politisch eindeutige „Flush The Fascists“ basiert auf einem geloopten Synthesizer und in „Plasticity“ kam ein Vocoder zum Einsatz. Es ist also nicht so, dass Mudhoney ihre Formel von einst nicht verändert oder angepasst hätten. Ganz im Gegenteil. Aber sie haben immer noch den ungezügelten Spirit von damals.

(Kai Florian Becker)