Das Bildungsministerium hält sich nicht ans Arbeitsgesetz – so lautet der Vorwurf der Gewerkschaften OGBL/SEW, Landesverband und ACEN. „Der Staat wird seiner Vorbildfunktion als Arbeitgeber nicht gerecht“, findet jedenfalls Joëlle Damé, Präsidentin des OGBL/SEW. Sie unterstreicht, dass die Gewerkschaften mit den Beamten des Ministeriums in dem ihnen gesetzten gesetzlichen Rahmen eine gute Zusammenarbeit pflegen. „Für langfristige Lösungen aber fehlt es an politischem Willen.“
Isabelle Bichler, Präsidentin des gemeinsamen Komitees „Chargés de cours“ vom OGBL und Landesverband, betont, dass es Lehrbeauftragte gibt, die 20 Jahre im Luxemburger Schulsystem unterrichten würden, ohne jemals einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben. Die im „Code de travail“ legale Obergrenze an befristeten Verträgen werde dabei wissentlich ignoriert. „All unsere Anträge auf eine Unterredung – die letzte ist vom 7. Februar – wurden bisher ignoriert“, sagt Bichler.
Juristische Akrobatik
Es ist ein Passus im Luxemburger Arbeitsrecht (Artikel L. 122-5, Paragraf 3), der es dem Bildungsministerium ermöglicht, im Bildungssektor unbegrenzt unbefristete Arbeitsverträge auszustellen. Bereits 2006 befasste sich das Verfassungsgericht mit diesem Gesetzespassus. Das damalige Urteil: Der entsprechende Artikel verstößt gegen die Luxemburger Verfassung, nach der alle „Luxemburger gleich vor dem Gesetz sind“ (Artikel 11). Der Gesetzgeber aber blieb seitdem stumm.
Die Erklärung dafür liegt im Zeitpunkt des Verfassungsurteils begründet. Die Urteile des Verfassungsgerichtes waren nämlich bis zum Gesetz vom 15. Mai 2020 zur Reform des Verfassungsartikels 95 nicht bindend, wie der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Henri Eippers, auf Nachfrage des Tageblatt erklärt. „Davor war es so, dass die Gesetze auch weiterhin in Kraft geblieben und keine Verpflichtung bestanden hat, die Gesetzestexte in einem bestimmten Zeitraum anzupassen“, sagt Eippers. „Mit der neuen Verfassung, die am 1. Juli in Kraft tritt, ist der entsprechende Passus im Artikel 112 (8) festgeschrieben.“ Da das Urteil aber bereits im Jahr 2006 gefällt wurde, mussten Regierung und Parlament nicht darauf reagieren – und haben es bis heute auch nicht getan.
Junge Lehrkräfte werden ausgenutzt
Der Präsident der „Association des chargés de l’enseignement national“, Luc Wildanger, sagt, dass das System der unbefristeten Verträge vor allem bei jungen und neuen Lehrkräften ausgenutzt werde. „Das ist möglicherweise sogar illegal, aber ganz sicher unmoralisch“, sagt Wildanger. „Sie werden geködert mit der Aussicht auf einen unbefristeten Vertrag.“ Damit würde sichergestellt werden, dass sie sich bei prekären Arbeitsbedingungen auch nicht beschweren würden. „Die Verträge werden selbstverständlich nicht über die Ferien hinweg verlängert, sondern hören pünktlich zu den Sommerferien auf“, sagt Wildanger.
Schlimmer sei jedoch, dass auch Personen ohne Arbeitsvertrag vor eine Schulklasse gestellt werden. „Das ist definitiv illegal“, so Wildanger. Es sei langsam an der Zeit, dass die Arbeitspapiere rechtzeitig zu Schulbeginn vorliegen würden. „Es ist ja nicht so, als würde der Schulbeginn jedes Jahr vom Himmel fallen.“ Vera Dockendorf vom OGBL/SEW bestätigt, dass nicht rechtzeitig eintreffende Arbeitspapiere ein großes Problem sind. „In den Internationalen Schulen kommt es regelmäßig vor, dass viele Lehrkräfte über mehrere Monate nicht krankenversichert seien und kein Gehalt erhalten, weil die Arbeitspapiere nicht fertig sind“, sagt Dockendorf. „Bei den Lehrkräften, die aus dem Ausland nach Luxemburg ziehen, ist das inakzeptabel.“
Den Gewerkschaftern sei ein Fall bekannt, wo eine Lehrkraft bereits drei Monate unterrichtete – jedoch noch immer nicht krankenversichert war und auch kein Gehalt erhalten hat. „Die Lehrkraft musste hospitalisiert werden und hatte eine vierstellige Rechnung zu bezahlen“, erklärt Dockendorf. Beim Ministerium aber stelle man sich keine Fragen deswegen, die Situation werde normalisiert. „Uns wird dann gesagt, dass das Bildungsministerium die einzige Verwaltung sei, die mit Hunderten Neueinstellungen für einen bestimmten Tag konfrontiert sei“, sagt Dockendorf. „Das sei normal, lautet dann die Rechtfertigung.“ Nicht normal, sondern illegal, bezeichnet Dockendorf hingegen die Praktiken, die laut Gewerkschaften gang und gäbe sind.
„Schulintern heißt: nichts passiert“
Nebst Lehrpersonal ohne Vertrag gebe es aber auch Lehrpersonal mit „falschen“ Verträgen, erklärt Wildanger. Zunehmend sei das Phänomen zu beobachten, dass sogenannte externe Experten eingestellt werden, um den regulären Schulkurs zu gewährleisten. „Diese externen Experten sollten dann zum Einsatz kommen, wenn das Lehrpersonal nicht das nötige Fachwissen hat“, sagt Wildanger. Das sei beispielsweise bei Fotografie- oder Kommunikationskursen der Fall. Diese Verträge würden laut Wildanger aber regelmäßig missbraucht werden. „Es werden jedoch immer mehr externe Experten eingestellt, um Mathematik- oder Französischkurse zu halten.“ Manche dieser Experten würden gleich mehrere dieser Verträge, teilweise auch in Kombination mit unbefristeten „Chargé“-Verträgen, jonglieren. „Diese Lehrkräfte sind nicht krankenversichert, kriegen kein reguläres Gehalt und die finanzielle Entschädigung wurde seit Jahren nicht mehr angepasst.“ Auch in dem Fall seien vor allem besonders junge Lehrkräfte betroffen. „Neue Kollegen brauchen aber eine Betreuung eines erfahrenen Kollegen“, sagt Wildanger. „Schulintern“ würde das laut Bildungsminister Meisch geschehen. Übersetzung laut Wildanger: „Da passiert nichts in puncto Betreuung.“
Laurent Clement, Verantwortlicher für die Sparte Musikunterricht in der ACEN, meint, dass der Missbrauch der unbefristeten Verträge besonders im Musikunterricht auf die Spitze getrieben wird. „23 Prozent aller Musik-Lehrkräfte sind „Chargés“ mit unbefristeten Verträgen“, sagt Clement. „Als Vorwand wird die starke Schüler-Fluktuation gebraucht.“ Diese sei laut ACEN-Informationen aber nicht so stark wie von offizieller Seite dargestellt. Derzeit sei es so, dass Lehrkräfte während des „Service provisoire“ einen befristeten Vertrag erhalten – danach sollten sie laut Ministerium dann einen unbefristeten Vertrag erhalten. „Wie kann es sein, dass Lehrkräfte im Durchschnitt während vier Jahren in befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten, wenn der ,Service provisoire‘ doch nur zwei Jahre andauert?“, weist Clement auf die offensichtlichen Missstände hin. Durchschnittlich habe Lehrpersonal am Anfang der Karriere für rund 52 Monate, also um die vier Jahre, einen befristeten Vertrag, ehe es einen unbefristeten vorgelegt bekomme. „Das ist der Fall, weil die ,Chargés’ gerade zu Karriereanfang als Vertretungskräfte von September bis Juli eingestellt werden – und die Sommerferien demnach nicht ausbezahlt bekommen.“
Ein weiterer Affront würde auch das neue Musikschulgesetz beinhalten. „In diesem sind Musiklehrer statuarisch als ,Salariés‘ festgeschrieben“, sagt Clement. „Die Gemeinden sparen dadurch Geld.“ Es sei notwendig, dass die Politik ein Zeichen setze und die Musik-Lehrkräfte als „Employés communaux“ verankert werden würden.
Keen Wonner datt et keen Lei'erpersonal mei' gett !