Der Schriftsteller Diégane Faye liest während seiner Gymnasialzeit zum ersten Mal vom senegalesischen Schriftsteller T.C. Elimane, der vor dem Zweiten Weltkrieg ein besonderes Buch geschrieben haben soll, dann aber des Plagiats beschuldigt wurde und in der Versenkung verschwand. Als eine Autorenkollegin Diégane das verschollene Buch gibt, ist er davon so fasziniert, dass er sich auf die Suche nach Elimane macht und versucht, dessen Geschichte zu rekonstruieren, als könne er darin den Kern des Daseins finden. Bald geht es nicht mehr nur um einen einzigen Menschen, sondern um Geschichte. Und die Frage taucht auf, ob man nicht Scham empfinden muss, wenn man über Literatur nachdenkt und gleichzeitig die Probleme der Welt übermächtig sind. Aber handelt die Literatur nicht gerade auch von ihnen, von Kriegen, Diktaturen, dem kolonialen Erbe? Ist Literatur nicht eine Möglichkeit, ins Dunkle vorzudringen, und ist ihre Aufgabe nicht, die Seelen der Leserinnen und Leser zu erschüttern?
Mohamed Mbougar Sarr lässt seine diversen Erzählerinnen und Erzähler permanent über das Schreiben reflektieren, sind es doch fast alles Schreibende, die im Roman das Wort ergreifen. Das Buch zupft zudem an den Bändern der großen literarischen Stimmen, verwandelt den Sirenengesang der Odyssee in einen Tango; ein Nachtclub trägt den Namen einer Figur Balzacs und in einem Dorf im Senegal lebt ein blinder Seher, dessen Namen zwar nicht Teiresias ist, der aber die Zukunft kennt wie kein Zweiter und sie auch maßgeblich beeinflusst, indem er das geschriebene Wort versteckt.
„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist ein verschachteltes Buch, Erzählstränge werden fallengelassen und später wieder aufgenommen. Das, was man glaubt, begriffen zu haben, erfährt hunderte Seiten später eine neue Wendung. Und die Menschen haben sich widersprechende Narrative, abhängig von dem, was als Erinnerung in ihnen schlummert, nicht direkt sichtbar ist, aber immer präsent. Erzählt wird oft nicht aus eigener Erfahrung, sondern davon, wie jemand jemandem etwas mitteilt, das dieser in Form eines Berichtes wiedergibt, den wiederum jemand anderes jemand anderem geliefert hat. Klingt kompliziert? Ist es nicht. Im Gegenteil, Sarr hat einen spannenden Roman geschrieben, der das Nachdenken über Literatur mit Elementen des Krimis unterfüttert und zugleich als existentiell präsentiert, der humorvoll, ja, witzig ist, um dann in Horror umzuschlagen und im nächsten Moment die Liebe, das ach so Menschliche, zu beschwören.
Verständlich wäre es, wenn Elimane damals einfach untergetaucht wäre angesichts des Skandals, geflohen wäre vor der Häme der französischen Presse einem schwarzen Schriftsteller gegenüber. Aber ist er tatsächlich geflohen? Oder suchte er nicht vielmehr nach jemandem? Die Lesenden werden es erfahren.
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