Stellen Sie sich vor, ein Algorithmus würde Ihnen vorschreiben, was und wie Sie zu arbeiten haben. Einen Vorgesetzten bekommen Sie nie zu Gesicht, die Kommunikation mit der Firma läuft nur anonym und über eine App oder Messenger-Dienste. Wenn Sie entlassen werden, erfahren Sie nie den Grund dafür. Sie bekommen Anweisungen, werden überwacht und gelten trotzdem als selbstständig, alle Kosten für die soziale Absicherung bleiben an Ihnen hängen. Obwohl Sie am laufenden Band schuften, bleibt am Ende des Monats kaum genug Geld zum Leben übrig. Was wie eine Orwell’sche Dystopie klingt, ist längst Wirklichkeit. Die sogenannte Plattform-Arbeit, deren sichtbarer Teil vor allem aus Essenslieferungen besteht, ist Teil der Arbeitswelt geworden, auch in Luxemburg.
Die etwas sperrige Bezeichnung der Plattform-Arbeit umfasst alle Dienstleistungen, die über Online-Plattformen vermittelt oder erbracht werden. In Luxemburg betrifft das vor allem Lieferungen aus Restaurants. Aus dem Ausland kennen wir die Uber-Fahrer. Das Besondere an dem Business-Modell ist die Einstellungspolitik – oder vielmehr die Politik der Nicht-Anstellung. Wer für eine Plattform arbeitet, tut dies in der Regel und gezwungenermaßen als Selbstständiger – obwohl diese Arbeiter, wie zahlreiche Urteile in Europa belegen, kaum als Selbstständige angesehen werden können. Findige Unternehmer haben sich die Schlupflöcher im Arbeitsrecht, das den digitalen Entwicklungen noch nicht Rechnung trägt, zunutze gemacht. Auf den von riesigen Rucksäcken gekrümmten Rücken meist junger Männer, unter ihnen viele Migranten, wird so viel Geld verdient. Das soll bald ein Ende finden.
EU-Kommissar Nicolas Schmit will mit einer Richtlinie gegensteuern. Luxemburgs Arbeitsminister Georges Engel will davor noch ein eigenes Gesetz zur Regulierung der Plattform-Arbeit Wirklichkeit werden lassen. Dass gegen die Ausbeutung durch Plattform-Arbeit vorgegangen wird, ist höchste Zeit. Das Phänomen der digitalen Plattformen ist in Luxemburg im Vergleich zu den Nachbarländern erst spät aufgekommen – hat sich aber auch hierzulande rasant entwickelt. Europaweit dürften um die 30 Millionen Menschen unter solchen Bedingungen arbeiten. Wie viele es in Luxemburg sind, kann niemand genau sagen. Auch das sagt einiges über das Business aus. Geschätzt wird die Zahl der Plattform-Arbeiter hierzulande auf 2.000 bis 2.500 Personen. Es ist ein Business, in dem Schwarzarbeit schwer zu kontrollieren ist und in dem die Schwächsten zueinander in Konkurrenz gesetzt, gegeneinander ausgespielt und ausgenutzt werden. Was hier stattfindet, wenn nicht gegengesteuert wird, ist eine Aushöhlung der Arbeitsrechte von unten.
Dabei geht es nicht um ein Verbot, sondern darum, soziale Mindeststandards einzuführen. Denn von den digitalen Plattformen geht eine andere Bedrohung aus. Es ist kein Spaß, als Zusteller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, das gilt auch für jene, die einen Vertrag haben. Mit der Zeit aber könnten die digitalen Plattformen in andere Märkte einsteigen, etwa bei der Lieferung von Lebensmitteln von Supermarktketten an die Haustür oder bei der Paketzustellung von Interneteinkäufen. Bricht dieser Damm, würden die Preise sinken und die Konkurrenz nachziehen müssen. Diese von Algorithmen getriebene Abwärtsspirale gehört gebremst.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können