Tageblatt: Mit steigendem Lebensalter und dem Charakterwandel der Arbeit von körperlicher zu immer mehr sitzender Betätigung steigt seit Jahrzehnten die Zahl der „Verschleißerkrankungen“. Statistiken aus unserem deutschen Nachbarland besagen, dass dort jährlich etwa 400.000 Hüft- und Kniegelenke prothetisch versorgt werden. Rechnet man die Zahlen über Dekaden hoch und auf die Bevölkerung des Großherzogtums um, dürfte ein Gros der Bevölkerung bereits mit „Ersatzgelenken“ versorgt sein. Im Alltag haben sich die Menschen an ihr postoperatives Leben gewöhnt, offen bleibt mitunter die Frage, ob und welchen Sport sie weiter treiben dürfen …
Wolfgang Menke: Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sportliche Aktivität für Menschen mit einer Endoprothese nur ausdrücklich empfehlen. Denn hierbei werden wichtige motorische Grundfunktionen wie Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination trainiert. Zudem verbessert sich unter der Trainingsbelastung die Knochenfestigkeit und sichert so die feste Verankerung der Endoprothese in ihrem Knochenlager. Durch regelmäßiges Üben bleiben die umgebenden Weichteilstrukturen elastisch, Kontrakturen werden vermieden und der Bewegungsumfang des künstlichen Gelenks bleibt erhalten. Spezielles Koordinationstraining sorgt für Gang- und Standsicherheit und vermindert das Sturzrisiko.
Die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik ist in ihren Empfehlungen für Sportarten eher zurückhaltend. Was würden Sie frisch Operierten oder Patienten, die erst seit kurzer Zeit eine Prothese tragen, raten?
Die Endoprothetik hat sich in den vergangenen Jahren sowohl vonseiten des verwendeten Materials als auch von der Genauigkeit und Anpassung der Operation her deutlich verbessert. Heute können Menschen – vor allem nach minimalinvasiven Eingriffen – viel schneller wieder genesen und dann auch am aktiven Leben teilhaben. Das gilt auch für viele Sportarten, die beispielsweise schon vor der Operation ausgeführt wurden. Viele von ihnen darf man nach einer gewissen Heilungsphase wieder ausüben. Vermeiden sollte man jedoch solche Sportarten, die wir mit dem Begriff „High Impact“-Sport bezeichnen. Dazu gehören natürlich alle Kampfsportarten, aber auch Ballspiele wie Fußball, Handball, Basketball und Volleyball. Auch Hockey und Eishockey sind nach der Implantation einer Endoprothese nicht angeraten. Der Grund bei all den genannten Sportarten sind einerseits die Sturz- und Verletzungsgefahr, aber auch die hohen Belastungen, denen die Implantate bei jähen Wendungen oder Stoppen ausgesetzt sind. Deshalb gehören auch Sportvergnügen wie alpines Skifahren zu den nicht angeratenen Sportarten.
Bis vor wenigen Jahren sollte man nach dem Erhalt einer Hüftendoprothese nur noch sanften Sport betreiben, weil das Kunstgelenk sonst luxieren könnte oder sich der Schaft aus dem Oberschenkelknochen lösen könnte. Gilt dies noch heute so?
So streng wie zuvor muss das heute nicht mehr gehandhabt werden. Die Medizin und auch die Medizintechnik haben sich auf dem Gebiet des Hüftgelenkersatzes deutlich weiterentwickelt. So haben sich die Operationsmethoden dahingehend geändert, dass der Operateur minimalinvasiv einen muskel- und gewebeschonenden Zugang findet. Die Endoprothesen selbst, zum Beispiel die Gelenkköpfe, sind so gestaltet, dass ein Luxieren des Gelenks sehr unwahrscheinlich wird. So sind selbst Sportarten wie Yoga und sogar Reiten vor allem für jene erlaubt, die bereits vor der Operation über Erfahrung und Training bei diesem Sport verfügten. Selbst Tennis, Badminton oder Squash könnten bei angepasster Intensität ausgeübt werden. Extensiven Leistungssport werden Endoprothesenträger jedoch nicht mehr ausüben können, aber darum geht es in den allermeisten Fällen ja auch gar nicht.
Wie verhält es sich beim Knieersatz?
Eine Knieendoprothese ist deutlich schwerer zu operieren und zu implantieren als eine „neue“ Hüfte. Das Knie ist ein komplexes Gelenk, das nicht nur einfach durch eine knöcherne Führung als Scharniergelenk dient. Ein komplizierter Muskel- und Kapsel-Bändermechanismus sorgt dafür, dass unser Knie dreidimensional agieren kann. Dieser Mechanismus macht es auch so schwierig, eine Knieendoprothese exakt zu platzieren. Allerdings gibt es heute Assistenzroboter, die mit einem feinen Mess- und Lokalisierungsinstrumentarium nicht nur die genaue Schnittführung des Operateurs steuern, sondern auch die Einpassung der Prothese. Dennoch bleibt das „Knie danach“ ein sensibler Körperteil, der auch in der Bewegung geachtet werden will. Für die sportliche Betätigung gilt im Prinzip das Gleiche wie bei der Hüft-TEP, nur noch vorsichtiger. Angeraten sind hier zum Beispiel „Low Impact“-Sportarten wie Wandern, Walken oder auch Tanzen. Empfehlenswert sind auch ruhige Bewegungsabläufe wie beim Tai-Chi. Auch Schwimmen und Radfahren (außer Mountainbiking) ist durchaus zu empfehlen.
Auch im Bereich der Schulter hat sich operativ viel entwickelt, wie steht es hier mit sportlicher Betätigung nach der Operation?
Gemessen an der Zahl der Hüft- und Kniegelenkoperationen werden deutlich weniger Schulterendoprothesen implantiert. Und bei der Vielfalt an Prothesentypen mit Kappenprothesen, schaftverankerten langstieligen Prothesen, Kurzschaftprothesen, inversen Schulterprothesen und modularen Systemen ist es schwierig, allgemein gültige Empfehlungen zur Belastbarkeit einer Schulterprothese zu geben, vielmehr ist dazu eine individuelle Beratung mit dem Operateur erforderlich. Generell sollte die sportliche Belastung langsam aufgebaut und individuelle Schmerzgrenzen beachtet werden. Empfohlen werden Sportarten mit fließenden Bewegungen, wie Skilanglauf, Joggen, Tanzen, Wandern, Schwimmen, Tai-Chi, sanftes Radfahren.
Generell gilt, jede/r Rekonvaleszierende muss nach der Implantation einer Endoprothese den persönlichen Weg zur Reaktivierung des Körpers finden. Ein Absprechen mit den Operateuren, den Rehabilitationsfachleuten, Physiotherapeuten und fachlich versierten Trainern ist deutlich angeraten. Denn das neue Gelenk soll ja lange halten, und Bewegung und Sport vor allem dazu dienen, dass wir ein schmerzfreies, bewegungsreiches und zufriedenes Leben führen können.
*In einer ursprünglichen Variante des Artikels ist uns leider ein Fehler unterlaufen. Darin wurde fälschlicherweise behauptet, dass Prof. Dr. Wolfgang Menke als niedergelassener Orthopäde im Krankenhaus Robert Schumann tätig war.
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