Aller guten Dinge sind drei. Möglicherweise auch bei der Tripartite, bei der innerhalb eines Jahres Regierung, Patronat und Gewerkschaften bereits zum dritten Mal auf Schloss Senningen zusammenfinden. Auslöser war, wie bereits bei der vorherigen Ausgabe, ein Statec-Bericht, der eine Indextranche für Herbst 2023 vorsieht – und eine weitere Indextranche, falls sich die drei Parteien nicht auf ein „Phasing out“ der Hilfsmaßnahmen im Jahr 2024 einigen können.
Für den Fall, dass sich die wirtschaftliche oder soziale Lage im Laufe von 2023 erheblich verschlechtern sollte und durch das Auslaufen der Hilfsmaßnahmen am Ende des Jahres ein „Inflationsschock“ entstünde, hatte die Regierung im Tripartite-Abkommen vom vergangenen September eine Einberufungsklausel für ein erneutes Zusammenkommen festgeschrieben. Mit dem Statec-Inflationsbericht von Anfang Februar dieses Jahres war für Premierminister Xavier Bettel diese „conditio“ erfüllt. Und somit beginnt am Freitag die nächste Dreierrunde zwischen Regierung, Gewerkschaften und Patronat – wobei die schnelle Zusammenkunft doch etwas überraschen mag.
Bei der vorherigen Tripartite hatte Bettel nach der Inflationsprognose von Statec Anfang August einen Monat verstreichen lassen und noch einmal genauere Zahlen angefordert. Die Tripartite kam im September zusammen, um Maßnahmen zu ergreifen, die die Indextranche von November vergangenen Jahres betraf. Nun aber treffen sich Regierung und Sozialpartner bereits Anfang März, um über eine mögliche Indextranche im vierten Quartal dieses Jahres und Kompensationsmaßnahmen fürs kommende Jahr zu diskutieren. Fest steht: Sollte die Tripartite erfolgreich abgeschlossen werden, würde der jetzigen Regierung und allen voran Premierminister Xavier Bettel ein politischer Coup gelingen.
Streit um Tagesordnung
Uneinigkeit und ein erstes Geplänkel hat es bereits beim Festlegen der Tagesordnung gegeben. „Wir haben viele Botschaften erhalten“, sagte Bettel nach Ende der bilateralen Gespräche zwischen Regierung und Gewerkschaften beziehungsweise Regierung und Patronat am Dienstag. „Mein Wunsch ist es, am Freitag oder in den darauffolgenden Tagen eine gemeinsame Antwort für die kommenden Herausforderungen zu finden.“ Eine Aussage, die darauf schließen lässt, dass hauptsächlich die auslaufenden Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und die Kompensation der kommenden Indextranche im Herbst besprochen werden. Die Regierung dürfte demnach bereits genaue Pläne für die Kompensierung der Herbst-Tranche – Stichwort Steuerkredit – haben. Ob oder inwiefern sich die Regierung bei den auslaufenden Hilfsmaßnahmen aus dem Fenster lehnt, ist hingegen noch unklar.
Wodurch die Hauptforderung der Gewerkschaften – eine Anpassung der Steuertabelle an die Inflation – es womöglich gar nicht erst aufs Tagesmenü am Freitag schaffen wird. „Steuerpolitik fällt eigentlich nicht in den Kompetenzbereich einer Tripartite“, sagte Xavier Bettel am Dienstagabend nach den Bipartite-Sitzungen. Das aber dürfte zumindest einem der drei Koalitionspartner, nämlich der LSAP, bitter aufstoßen. „Es muss etwas passieren, es ist nicht mehr tragbar“, meinte der LSAP-Abgeordnete und ehemalige Vize-Premierminister Dan Kersch (LSAP) unter der Woche bei RTL. Am Donnerstagmittag noch verkündete die Pressestelle des Staatsministeriums, es habe sich nichts an der Tagesordnung der Tripartite geändert. Dem stehen Tageblatt-Informationen aus Regierungskreisen gegenüber, nach denen sich die Regierung definitiv auf eine Steuer-Diskussion vorbereiten wird. Demnach soll auch die DP einer Diskussion um die Anpassung der Steuertabelle nicht abgeneigt sein. Vor allem die Grünen würden sich gezieltere Hilfen für Klein- und Mittelverdiener wünschen und von einer strukturellen Anpassung nicht unbedingt begeistert sein.
Der Ukraine-Krieg als Auslöser
Vor einem Jahr waren Regierung und Sozialpartner bereits einmal zusammengekommen, um über Hilfsmaßnahmen zu diskutieren. Ein explosionsartiger Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise infolge des Ukraine-Krieges waren der Auslöser für das erstmalige Zusammenkommen. Obwohl noch während der Verhandlungen von einer konstruktiven Zusammenarbeit die Rede war, kam es zu einem abrupten Ende.
„Jede Indexmanipulation stellt für den OGBL eine rote Linie dar“, sagte damals OGBL-Präsidentin Nora Back nach Abbruch der Verhandlungen kurz nach Mitternacht den Pressevertretern. Demnach wollte der OGBL, anders als der LCGB und die CGFP, das Verschieben einer Indextranche von Juli 2022 auf April 2023 nicht mittragen. Als Kompensationsmaßnahme für das Aufschieben hatte die Regierung einen nach Einkommen gestaffelten Steuerkredit mit einem Volumen von 400 Millionen Euro geschaffen. Insgesamt hatten Bettel, Lenert und Bausch bei den Tripartite-Verhandlungen ein Hilfspaket von 830 Millionen Euro geschaffen und mit dem symbolischen Namen „Solidaritéitspak“ versehen.
Eines der Aufregerthemen waren die Entschädigungsforderungen, die laut Patronats- und Regierungsseite vom OGBL gefordert wurden. „Keiner von uns dreien wird ein Entschädigungsmodell, bei dem Monatsgehälter von bis zu 13.000 Euro Kompensationen erhalten (ungefähr 160.000 Euro Jahresgehalt, Anm. d. Red.), unterstützen“, sagte Premier Bettel auf der Pressekonferenz nach Mitternacht. Fakt ist jedoch: Alle Forderungen wurden von den drei Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP gemeinsam an Patronat und Regierung herangetragen. Knackpunkt waren letztendlich nicht die Entschädigungsforderungen der Gewerkschaften, sondern die Verschiebung weiterer Indextranchen nach 2023, die der OGBL nicht mittragen wollte.
Maßnahmen der ersten Tripartite für private Haushalte
Im Falle der Verschiebung der Indextranche im August würden die Luxemburger Haushalte von der Einführung einer neuen Energiesteuergutschrift (CIE) profitieren können. Abhängig von der finanziellen Lage der Haushalte würden zudem folgende Maßnahmen greifen:
– eine Energieprämie für Haushalte mit niedrigem Einkommen;
– eine Stabilisierung der Strompreise durch die Erhöhung des staatlichen „Beitrags zum Ausgleichsmechanismus erneuerbare Energien/Kraft-Wärme-Kopplung“;
– eine Subventionierung der Gasnetzgebühren;
– ein Einfrieren der Mieten bis Ende 2022;
– eine vorzeitige Einführung und Anpassung von Mietzuschüssen;
– eine Überarbeitung des Prime-House-Systems und die Einführung eines „sozialen Top-up“ in diesem System;
– Anpassungen des Systems der staatlichen Finanzhilfen für Hochschulstudien;
– eine Absenkung der Heizölpreise um 7,5 Cent, dazu die Senkung der Kraftstoffpreise um 7,5 Cent pro Liter bis Ende Juli 2022, die bereits seit dem 13. April appliziert wird.
Arbeiten in der Kommission
Fast noch spannender als die Verhandlungen zwischen Regierung, Patronat und Gewerkschaften sollten die anschließenden Arbeiten des eigens für die Tripartite-Gesetzgebung gegründeten Spezialausschusses in der Chamber sein. Denn: Am Vortag der ersten Zusammenkunft der Spezialkommission revidierte das nationale Statistikamt Statec seine Prognosen. Demnach würde die zu verschiebende Indextranche nicht wie vorgesehen im Juli 2022, sondern bereits im Juni 2022 ausgelöst werden – was bei den Abgeordneten für Zeitdruck sorgte.
Der größte Anstoß inhaltlicher Natur aber war der Passus, der die Auszahlung aller Indextranchen, die zwischen dem 1. April 2022 und 1. April 2024 ausgelöst werden, am 1. April vorsah und mindestens zwölf Monate zwischen der Auszahlung einzelner Indextranchen vorgesehen hatte. Aufgrund der unsicheren makroökonomischen Lage wurde diese Stelle im Gesetzestext schließlich gestrichen. Die Artikel zum Index im Tripartite-Gesetz betrafen nur jene Tranche, die im Sommer 2022 fällig wurde – und nicht, wie ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen, all jene, die bis April 2024 ausgelöst werden könnten.
„Habemus Tripartite-Abkommen“
„Habemus Tripartite-Abkommen“ titelte das Tageblatt am 21. September um 00.43 Uhr. Kurz vor Mitternacht konnten sich die Sozialpartner auf ein zweites Entlastungspaket einigen, das sie auf einer Pressekonferenz nach Ende der Verhandlungen vorstellten. „Ich freue mich mitteilen zu können, dass wir eine grundsätzliche Einigung gefunden haben“, sagte der Premierminister Xavier Bettel nach Verhandlungsende auf einer Pressekonferenz. Diese müsse noch von den einzelnen Verbänden abgesegnet werden. „Es ist wichtig, dass wir die Tripartite auch in schwierigen Zeiten noch gemeinsam beenden können.“
Die zweite Tripartite des vergangenen Jahres wurde deshalb einberufen, weil Statec die zuletzt im Mai veröffentlichte Inflationsprognose am 3. August drastisch nach oben korrigieren musste. Diese ging von noch schlechteren Vorzeichen aus als die vom Mai. Bis Mitte 2023 könnten bis zu drei weitere Indextranchen fallen, hieß es – eine bereits im vierten Quartal 2022, eine im ersten Quartal 2023 und eine im zweiten Quartal 2023. Angetrieben wurde die Inflation von den Energiepreisen. Im schlechtesten Szenario hätte es zu einem „Gaspreisschock“ kommen können – und somit hätten die Preise für den Rohstoff noch bis Herbst/Winter 2022 um 140 Prozent steigen können. „Statec nimmt daher eine Aufwärtskorrektur seiner Inflationsprognose für 2022 und 2023 vor“, schrieb die Behörde im August 2022.
Maßnahmenkatalog der Herbst-Tripartite
– umfasst eine Milliarde Euro aus dem Staatsbudget;
– durch inflationsdrückende Maßnahmen soll nur eine Indextranche im kommenden Jahr fallen. Diese soll regulär ausgezahlt werden, die verschobene Tranche aus dem Sommer 2022 soll wie geplant im April ausbezahlt werden;
– Falls trotz Maßnahmen im Jahr 2023 zwei Indextranchen fallen, wird die Tripartite wieder einberufen werden;
– Teuerungszulage und Energieprämie werden für das Jahr 2023 verlängert;
– Die Mehrwertsteuer wird flächendeckend um ein Prozent bis Ende 2023 herabgesetzt;
– Gaspreise werden um maximal 15 Prozent erhöht;
– Strompreise werden gedeckelt;
– Heizöl wird mit 15 Cent pro Liter subventioniert, Subvention wird auf kommendes Jahr verlängert;
– Deckelung der Preise bei Alters- und Pflegeheimen;
– 150 Millionen Euro Hilfen für kleinere und mittlere Unternehmen;
– Steuerbonifikationen bei Investitionen in Energietransition und Digitalisierung
Dramatische Inflationsprognosen
Premierminister Bettel reagierte noch am selben Tag auf Twitter und forderte Statec auf, für September den Inflationsbericht erneut zu aktualisieren. „Wir behalten die Entwicklung der Preissteigerungen bei den Energiepreisen weiter genau im Auge“, schrieb der DP-Politiker bei Twitter. „Auf Basis der Berechnungen des Statec werde ich dann eine weitere Tripartite einberufen.“ Am 25. August 2022 traf sich die Regierung mit Patronat und Gewerkschaften in bilateralen Vorbereitungsgesprächen, ehe der Premierminister die für September aktualisierte Inflationsprognose des Statec vorstellte. Die Projektionen erwiesen sich als dramatisch. Im wahrscheinlichen, „zentralen“ Entwicklungsszenario erwartete Statec eine Inflation von 6,6 Prozent für 2022 und ebenfalls 6,6 Prozent für 2023. Dabei würde der Grenzwert für eine weitere Indextranche wahrscheinlich im November überschritten. Zwei weitere würden 2023 fällig: im März und im September. „Und zusätzlich kommt ja die Indextranche, die dieses Jahr auf April 2023 verschoben wurde“, sagte Bettel auf einer Pressekonferenz.
Eine Woche danach dann Erleichterung bei Regierung und Gewerkschaften, zerknirschte Gesichter beim Patronat bei der Vorstellung der Maßnahmen des „Solidaritéitspak 2.0“. OGBL-Präsidentin Nora Back zeigte sich ebenso wie die Vertreter von LCGB, Patrick Dury, und CGFP, Romain Wolff, zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis. „Wir stehen hier nach langen, nicht immer einfachen Diskussionen“, sagte Back am Ende von drei Verhandlungstagen. „Die Tripartite hat ihren Zweck als Anti-Kriseninstrument erfüllt.“ Wichtig sei vor allem, dass der Indexmechanismus bestehen bleibe. „Das ist die Grundlage dafür, dass der OGBL diese grundsätzliche Einigung mittragen kann“, so Back.
Michel Reckinger, Präsident des Unternehmerverbandes (UEL), sprach im September von einer schwierigen Einigung. „Wir sind heute Teil der Lösung und sind solidarisch“, sagte Reckinger und fügte kurz an: „Wir hoffen, dass unsere Unternehmen durch diese Krise kommen, ohne zu viel Federn zu lassen.“ Doch was war passiert? Die Krux der Tripartite erreichte die Verhandlungspartner, als die Regierung ein erstes, fertig geschnürtes Maßnahmenpaket auf den Tisch legte. Gewerkschaften und Regierung konnten sich schnell auf den Maßnahmenkatalog einigen – die Patronatsvertreter baten jedoch um Bedenkzeit, um die Vorschläge auszudiskutieren und zogen sich zwei Stunden lang zurück. Zur Enttäuschung von Regierung und Gewerkschaften kamen die Patronatsvertreter um UEL-Präsident Michel Reckinger nicht etwa mit der Zustimmung ihrerseits zurück, sondern legten eine neue Wunschliste vor.
Damit rissen die Patronatsvertreter das eigentlich geschnürte „Gesamtpackage“ wieder weit auf. Premierminister Xavier Bettel, der nach einem Scheitern der letzten Runde unbedingt eine Einigung bei dieser Tripartite wollte, erbat sich Bedenkzeit für die Regierungsseite – und ließ die Statistikbehörde Statec die Punkte aus dem Forderungskatalog der Arbeitgeber in der Nacht auf Dienstag ausrechnen. „Ich will ein Tripartite- und kein Bipartite-Abkommen“, meinte Bettel gegenüber den Pressevertretern damals. Von der Einigung, der man sich wenige Stunden zuvor so nah sah, war man jetzt wieder kilometerweit entfernt. Es folgten weitere Stunden voller Diskussionen – bis am Tag danach am späten Abend dann der Erfolg der Verhandlungen verkündet werden konnte.
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