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Lust zu lesen Arten des Schweigens

Lust zu lesen  / Arten des Schweigens
Rachel Cusk Foto: Suhrkamp Verlag

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Genau wie sich in Cusks Romanen Reflexives findet, sind ihre Essays durchzogen von Erzählsträngen. In „Autofahren als Metapher“, dem ersten Essay im Band, erzählt sie von ihrem kleinen Dorf, in dem sie einst wohnte, davon, wie die gleichen Leute, die sich darüber aufregen, dass die Touristen zu schnell hindurchjagen, im Nachbardorf schon Vollgas geben.

Offensichtlich löst der eigene Standpunkt die Fakten auf und relativiert die Wahrheit. Sie analysiert, dass es Momente beim Autofahren gibt, in dem das Private auf die Bühne für die Öffentlichkeit gehoben wird, etwa, wenn jemand seinen Unmut forsch gestikulierend kundtut, er sich folglich als Schauspieler versucht und somit seine Wirklichkeit zur Fiktion macht. Sie hält fest, dass Menschen sich darüber aufregen, dass die Kinder wegen des Verkehrs nicht mehr wie früher auf der Straße spielen können, filtert aus dieser Aussage aber auch die Tatsache, dass diese gleichen Menschen nicht auf ihr Auto und die damit verbundene Bequemlichkeit verzichten wollen. Es wird also nicht der Untergang der alten Welt, die besser für die Kinder war, beklagt, sondern die Existenz von Annehmlichkeiten, auf die niemand verzichten möchte.

In sechs Essays nähert sich Cusk immer wieder auf neue Art und Weise unterschiedlichen Themen wie Unhöflichkeit, Macht, Kunst, Beziehungen, der Rolle der Frau in der Gesellschaft, vor allem ihrer Position als Mutter. Hier scheint ihr Ansatz ein radikaler zu sein: Mutterschaft ist eine Sekte, die die Aufgabe der eigenen Identität verlangt. Mütter sind Sklavinnen. Und doch verleugnet sie nicht, dass sie bei der Scheidung Sätze sagte wie: „Die Kinder gehören zu mir“. Dieses Oszillieren zwischen einem Freiheitsbegriff, der, wie bei Kafka schon, eng mit dem künstlerischen Schaffen verbunden ist und das Familienleben als Feind vor sich sieht, und der emotionalen Hingezogenheit im Alltag, dem Bedürfnis nach Vertrautheit, nach Zugehörigkeit, bildet einen ständigen Herd der Reflexion in „Coventry“. Viele Sätze klingen in ihrer Schärfe provozierend, schaffen aber auch Grundlagen, selbst über die verhandelten Dinge und Phänomene nachzudenken. Cusk bietet keine festgezurrten Wahrheiten, sondern gut formulierte subjektive Erfahrungen. Wer kann schon sagen, weshalb ein älteres Ehepaar sich während des Mahls im Restaurant anschweigt? „Vielleicht verkörpern sie nicht das Scheitern des Narrativs, sondern dessen Überwindung; nicht Schweigen, sondern Frieden. Vielleicht ist zwischen ihnen alles gesagt – ein Gedanke, der manche Menschen verunsichert.“ GuH

Rachel Cusk<br />
Coventry. Essays<br />
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné<br />
Suhrkamp Verlag<br />
160 S., 21  Euro
Rachel Cusk
Coventry. Essays
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag
160 S., 21 Euro