Ursprünglich hatten Thin Lizzy vor rund 45 Jahren gar kein Livealbum im Sinn. Nach dem großen Erfolg des 1977 erschienenen „Bad Reputation“ hatte die Band um den charismatischen Frontmann Phil Lynott eigentlich das nächste Studioalbum mit Produzent Tony Visconti aufnehmen wollen. Doch Visconti, der auch mit Marc Bolan und David Bowie arbeitete, war so gefragt, dass er kaum Zeit hatte.
Thin Lizzy machten aus der Not eine Tugend und stellten mit Visconti aus gerade aufgezeichneten Konzertmitschnitten ein Livealbum zusammen, das zu einem riesigen Erfolg wurde. 1978 kam „Live And Dangerous“ heraus. Zum 45. Jubiläum wurde dieser Klassiker der Rockgeschichte jetzt neu aufgelegt.
Ein perfektes Livealbum vermittelt beim Hören das Gefühl, man wäre selbst beim Konzert dabei. „Live And Dangerous“ gelingt genau das. Es beginnt mit „Lizzy, Lizzy“-Sprechchören des Publikums, bevor donnernde Gitarren die Halle zum Kochen bringen. Unter frenetischem Jubel erklingt der berühmte Gitarrenriff von „Jailbreak“.
Stammplatz in den Bestenlisten
Ein Kracher jagt bei diesem mitreißenden Konzertmitschnitt den nächsten, darunter das launige „Dancing In The Moonlight“, die bluesige, ergreifende Megaballade „Still In Love With You“ oder die unsterbliche Hymne „The Boys Are Back In Town“.
Bei „Baby Drives Me Crazy“ spielt der noch junge Huey Lewis die Mundharmonika. Lynott, der 1986 im Alter von nur 36 Jahren starb, macht lässige Sprüche und heizt das begeisterte Publikum an.
Die Doppel-LP wurde ein kommerzieller Erfolg, schaffte es in Großbritannien bis auf Platz zwei der Albumcharts und hielt sich lange in den Top 10. Nur am Soundtrack von „Saturday Night Fever“ gab es damals kein Vorbeikommen. Bis heute landet „Live And Dangerous“ immer wieder in den Bestenlisten namhafter Musikmagazine wie Rolling Stone, NME oder Classic Rock über die besten Livescheiben.
Jahrelang hielt sich das Gerücht, Thin Lizzy hätten mit zahlreichen Overdubs ordentlich nachgeholfen, also nicht nur die üblichen kleinen Korrekturen vorgenommen, sondern das meiste im Studio noch einmal nachträglich eingespielt. Produzent Tony Visconti behauptete das, die Band hingegen dementierte es stets. Laut Lynott hätte das die Atmosphäre ruiniert. Und das ist definitiv nicht der Fall.
Neuauflage mit acht CDs
Mit der Neuauflage dürfte das Thema ein für alle Mal vom Tisch sein. Denn die „Super Deluxe Edition“ mit insgesamt acht CDs enthält neben dem neu remasterten Kultalbum alle sechs Konzerte aus London, Toronto und Philadelphia, die damals für „Live And Dangerous“ genutzt und nun – unter der Leitung von Thin-Lizzy-Gitarrist Scott Gorham – anhand der Originaltonspuren neu abgemischt wurden. Diese Aufnahmen seien „absolut unberührt“, versicherte Gorham vor kurzem im Interview des Magazins Record Collector.
Die jeweils zwei Auftritte aus dem Hammersmith Odeon in London, dem Philadelphia Tower und dem Seneca College Fieldhouse in Toronto beinhalten sogar Songs, die nicht Teil von „Live And Dangerous“ waren – „Opium Trail“, „Johnny“ oder das epische „Soldier Of Fortune“. Mit „It’s Only Money“ von „Nightlife“ und „Me And The Boys“, das regulär auf keinem Album gelandet ist, sind auch Raritäten darunter.
45 Jahre später hat „Live And Dangerous“ nichts von seiner Kraft eingebüßt. Fehlte den Studioalben bis dato noch ein wenig Feuer, ist dieses Livealbum pure Hardrock-Magie. Zu hören ist eine der besten Livebands der 70er Jahre auf ihrem Höhepunkt.
Sänger und Bassist Phil Lynott war nicht nur ein Rocker, sondern ein Poet. In seinen Songs, die Huey Lewis sehr treffend als filmisch bezeichnete, erzählt Lynott mit viel Gefühl Geschichten, während Scott Gorham und Brian Robertson mit ihren Doppel-Gitarrenharmonien und kernigen Riffs jeden Rockliebhaber verzücken.
Parallel zu „Live And Dangerous“ erscheint eine Neuauflage zum 40. Jubiläum des zweiten Livealbums von Thin Lizzy, allerdings nur als 2-CD-Version ohne neues Bonusmaterial. „Life Live“ wurde überwiegend auf der Abschiedstour 1983 aufgenommen. Dafür traten mehrere ehemalige Lizzy-Gitarristen noch einmal mit der Band auf, darunter Gary Moore, der damals bereits als Solokünstler erfolgreich war.
„Life Live“ genießt zwar nicht den Kultstatus von „Live And Dangerous“, doch es steht seinem Vorgänger in nichts nach. Das grandiose Album enthält zudem Songs wie „Killer On The Loose“, „Angel Of Death“ oder „Thunder And Lightning“ aus den frühen 80er Jahren, als Thin Lizzy deutlich härteren Rock spielten. Beide Alben sind Dokumente einer vergangenen Zeit, einer goldenen Ära der Rockmusik.
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