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Musik-TippVivaldi in neuem Gewand: Martin Fröst und Max Richter verbinden Barock mit 21. Jahrhundert

Musik-Tipp / Vivaldi in neuem Gewand: Martin Fröst und Max Richter verbinden Barock mit 21. Jahrhundert
Zu Vivaldis Lebzeiten gab es die Klarinette noch nicht. Martin Fröst bringt die Musik des italienischen Musikers in die heutige Zeit. Foto: Editpress-Archiv

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Antonio Lucio Vivaldi, Violinist und Komponist des venezianisch-römischen Barocks, ist den meisten von uns wohl geläufig durch sein Werk „Die vier Jahreszeiten“. Der schwedische Klarinettist Martin Fröst und der britische Komponist Max Richter bringen die Klänge des römisch-katholischen Priesters jeder auf seine Art vom 17. ins 21. Jahrhundert. Unsere Korrespondentin Elke Bunge stellt die neu interpretierten Werke „Vivaldi“ von Martin Fröst und „The New Four Seasons Vivaldi Recomposed“ von Max Richter, denen es gelungen ist, eine Brücke von der Vergangenheit in unsere heutige Zeit zu bringen, vor.

Zu Vivaldis Lebzeiten existierte die uns heute bekannte Klarinette noch nicht. Vivaldi wurde 1678 in Venedig geboren und starb im Alter von 63 Jahren im Wien. Er wirkte nur für eine kurze Zeit als römisch-katholischer Priester, dann bekam er eine Stelle als Violinlehrer im an die Kirche angeschlossenen Waisenhaus für Mädchen. Eine Lungenkrankheit soll den damaligen Wechsel veranlasst haben. Es war die musikalische Zeit des Barocks. Vivaldi gab seinen Schülerinnen nicht nur Unterricht, sondern er gründete mit ihnen auch ein Orchester, das schnell über die Grenzen Venedigs hinaus bekannt wurde. In dieser Zeit komponierte er Violinkonzerte und Sonaten. Aber auch seine Liebe zur Oper setzte er in dieser Zeit um. Aus dem reichhaltigen Repertoire des zu seiner Schaffenszeit nahezu unbekannten Komponisten entstand die aktuelle Aufnahme von Martin Fröst mit dem Concerto Köln.

Expedition in das Barockzeitalter

Doch Martin Fröst bedient sich nicht der Musik Vivaldis, wie dieser sie geschaffen hatte. Denn wie eingangs erwähnt, existierte die uns heute bekannte Klarinette zu dieser Zeit noch nicht (Mozarts berühmtes Klarinettenkonzert entstand beispielsweise erst im Jahr 1791). Fröst sinniert vielmehr, wie das Heutige mit dem Vergangenen verbunden sein könnte. Nach Überzeugung des schwedischen Ausnahmemusikers schwingt in der Musik von heute auch immer die Vergangenheit mit. Und so versetzt er sich in die Zeit eines Vivaldis spielt mit der Idee, wie die Musik hätte klingen können, wenn es das heutige Instrument schon gegeben hätte. Unterstützt hat ihn dabei der Hannoveraner Andreas Nicolai Tarkmann. Der Komponist und Arrangeur komponierte aus „Juditha triumphans“, „Ottone in villa“, „L’Olimpiade“, „La fida ninfa“ und „Giustino“ drei wunderbare Konzerte für Klarinette und Orchester sowie zwei Sinfonien für Streichinstrumente aus den Ouvertüren von „Il Giustino“ und „L’Olimpiade“. Für Tarkmann war das Komponieren für das Instrument Klarinette nicht unbekannt. Bereits für Sabine Meyer arrangierte er Kadenzen und Verzierungen zu den bekannten Klarinettenkonzerten von Carl Stamitz. Mit den nun vorliegenden Werken wurde die Musik des Barock in die heutige Zeit gebracht.

Fröst ist ein Künstler, dem die Ideen nicht auszugehen scheinen. Er beteiligt sich gerne an den unterschiedlichsten Projekten, arbeitet mit Multimedia, Choreografie und Lichtdesign. Für sein Projekt „Expedition ins Barock – Vivaldi“ ließ er sich, um die heutige Zeit mit der Vergangenheit wirklich verschmelzen zu lassen, ein eigenes Instrument anfertigen. Denn zu Vivaldis Zeiten kam in den Orchestern der heutige Vorläufer der Klarinette, das Chalumeau, für die tiefen Register zum Einsatz (ein Überblasen, wie es bei der heutigen Klarinette üblich ist, war mit diesem Instrument nicht möglich) oder das Clarino (ein Instrument, das die hohen Lagen der Trompeten unterstützte). Die Klarinette, wie wir sie heute kennen, entwickelte sich langsam, zunächst mit dem entscheidenden Schritt des Instrumentenbauers Johann Christoph Denner, der das Chalumeau mit einer Klappe versah, die das Überblasen des Instruments ermöglichte. Fröst suchte für seine Vivaldi-Komposition nach dem besonders weichen Klang des damaligen Chalumeau und ließ sich eigens für die Einspielung eine Klarinette aus Buchsbaum anfertigen, die diesen Klang wiedergab. Das ist Fröst in dieser Vivaldi-Einspielung meisterlich gelungen, denn gerade das tiefe, sogenannte „Chalumeau-Register“, mit dem er hier sehr viel arbeitet, klingt geradezu samtig weich. Wer mag, kann Martin Fröst nicht nur auf den Tonträgern von Sony Classical hören, sondern auch mit der Musik des Barocks am 22. Januar in Köln mit dem Concerto Köln live eberleben. Auf dem Programm stehen Antonio Vivaldi, Georg Friedrich Händel und Tomaso Giovanni Albinoni.

Martin Fröst ließ sich ein Instrument anfertigen, das den Klang des Klarinetten-Vorgängers, des Chalumeaus, wiedergibt
Martin Fröst ließ sich ein Instrument anfertigen, das den Klang des Klarinetten-Vorgängers, des Chalumeaus, wiedergibt Foto: Mats Bäcker

Darmbespannte Geigen und Moog-Synthesizer

Zu den von Vivaldi faszinierten Musikern gehört nicht nur der Schwede Martin Fröst, sondern auch der in Deutschland geborene britische Komponist und Allroundkünstler Max Richter. Neben dessen viel beachteten künstlerischen Arbeiten findet sich die stets wiederkehrende Auseinandersetzung mit den „Vier Jahreszeiten“. Bereits vor zehn Jahren trat Richter mit seiner Version von „Vivaldi Four Seasons Recomposed“ an die Öffentlichkeit und stellte seine an aktuelle Hörgewohnheiten angepasste Form des Barockstücks auf den Bühnen der Welt vor.

Stets mit sich und seinem Produkt – trotz eindrucksvoller Interpretationen zum Beispiel mit der Violinistin Mari Samuelsen – schöpferisch unzufrieden, überarbeitete Max Richter erneut und stellt im Sommer 2022 nun seine „The New Four Seasons Vivaldi – Recomposed“ vor. Die brillante Aufnahme, von der Deutschen Grammofon auf Vinyl gepresst und auf CD gebrannt, bietet ein musikalisches Feuerwerk, das dem Original in nichts nachsteht. In der aktuellen Version griff Richter auf historische Instrumente zurück, so auf darmbespannte Geigen, wie sie im Barock hätten gespielt werden können. Für seine moderne Bearbeitung setzt er parallel „klassische“ Moog-Synthesizer ein. Das technisch perfekt abgemischte Konzert bietet von der Konserve einen beeindruckenden Hörgenuss. Ein Anfang Dezember im großen Saal der Berliner Philharmonie gebotene Live-Aufführung stieß zumindest bei Kritikern nicht völlig auf eine positive Resonanz. Grund war hier eher ein technisches Problem: Der Instrumentenklang wurde von Mikrofonen aufgefangen und über große Boxentürme wiedergegeben. Daraus ergab sich eher ein „technisches“ Hörerlebnis, der Klang der Originalinstrumente, der in der nahezu perfekten Akustik der Philharmonie ein Ohrenschmaus gewesen wäre, ging fast unter. Eine Erfahrung, die bei weiteren Darbietungen sicher beachtet wird. Trotz dieser kleinen Einschränkung hat es Richter beeindruckend geschafft, Vivaldi in die Moderne zu transponieren und besonders auch jüngere Zuhörer für die Musik des Barocks zu begeistern.