Tageblatt: Was ist der Sinn und Zweck einer Wirtschaftsmission?
Carlo Thelen: Eine der Hauptaufgaben einer Handelskammer ist das Eröffnen neuer Märkte für die in Luxemburg ansässigen Betriebe. Luxemburg ist ein sehr kleines Land und wenn Unternehmen ihren Umsatz erhöhen wollen, geht das nur über die Internationalisierung. ArcelorMittal oder auch eine Cargolux würde es in der Form nicht geben, wenn sie nur den Luxemburger Markt bedienen würden. Luxemburger Unternehmen müssen also auch Geschäfte mit dem Ausland treiben – sei es das nahe Ausland in der Großregion oder eben weltweit. Die großen Firmen brauchen uns natürlich weniger als kleinere und mittlere Unternehmen. Diese begleiten wir anders als z.B. ArcelorMittal – wobei sich beispielsweise auch ArcelorMittal an der Weltausstellung beteiligt hat.
Ist es eine Spezifität der Luxemburger Handelskammer, dass besonders mit kleineren Unternehmen kooperiert wird?
Die großen Länder sind anders vernetzt und aufgebaut als wir. Deutschland hat etwa sogenannte Außenhandelskammern. Luxemburg hat solche Stellen etwa nur in London, Berlin, Brüssel und Paris. Doch auch in großen Ländern sind es eher die kleineren Unternehmen, die Hilfestellung benötigen, als die großen Firmen. Diese Hilfe bieten wir dann anhand von Workshops oder etwa B2B-Meetings („business to business“), die wir organisieren.
Wie kommt eine Wirtschaftsmission zustande? Und wie wird entschieden, welches Land und welche Märkte als Nächste erschlossen werden sollen?
Wir haben als Handelskammer eine Strategie, die mit dem Außen-, Wirtschafts- und Finanzministerium abgesprochen ist. Dazu kommen dann natürlich auch Staatsvisiten, die von einer Wirtschaftsdelegation begleitet werden, sowie die politische Zielsetzung des jeweiligen Ministers, der ebenfalls die Mission hat, Investitionen nach Luxemburg zu bringen. Wir befinden uns also in einem ständigen Austausch mit unseren Partnern, darunter auch Luxinnovation. Dieser Austausch findet unter anderem im „Trade and Investment Steering Committee“ statt. Darüber befindet sich das „Trade and Investment Board“, das von Wirtschaftsminister Franz Fayot präsidiert wird. In dem befindet sich ja auch Erbgroßherzog Guillaume, der unsere Wirtschaftsmission stets begleitet.
Die Handelskammer erarbeitet Vorschläge, die anhand von Marktanalysen und Umfragen unserer Mitglieder, der Luxemburger Unternehmen, ausgearbeitet werden. Ausschlaggebend sind dafür aber auch politische Vorgänge: Wo wurde gerade ein Handelsabkommen, wo eine Absichtserklärung unterzeichnet? Die Umfrage teilen wir mit dem Wirtschaftsministerium, das sich unseren Vorschlägen für kommende Missionen oft anschließt. Mit der Wirtschaftsmission in Kanada hat sich etwa eine Wirtschaftsmission der Handelskammer mit dem Vorhaben des Ministeriums überschnitten, mehr Investitionen nach Luxemburg zu bringen.
Sie haben die Rolle des Großherzogs angesprochen. Ohne Umschweife: Was bringt es, wenn Luxemburgs Erbgroßherzog diese Missionen begleitet?
Luxemburg ist eine Monarchie. Das ist mittlerweile eine Seltenheit in der Welt – und ist besonders in Asien, im Nahen Osten oder in Nordafrika ein Türföffner. Im Frankreich vielleicht eher weniger (lacht), aber auch in Berlin wurde er sehr herzlich begrüßt. Es ist einfach von Vorteil, wenn ein Luxemburger Unternehmen einem möglichen Partnerunternehmen bei einem Empang Luxemburgs Prinzen vorstellen kann. Dazu muss man sagen, dass der Erbgroßherzog stets fantastisch auf diese Wirtschaftsmissionen vorbereitet ist.
Am kritischsten wird der Erbgroßherzog also im eigenen Land betrachtet?
(lacht) Wenn man eine repräsentative Umfrage machen würde, bin ich der Überzeugung, dass die Mehrheit hinter dem großherzoglichen Hof stehen würde.
Wie viele Wirtschaftsmissionen haben denn im Jahr 2022 stattgefunden?
Insgesamt waren wir dieses Jahr 13 Wirtschaftsmissionen. Das ist mehr als eine pro Monat – das ist schon enorm. Wir waren uns Anfang des Jahres noch unsicher, ob oder inwiefern die Luxemburger Unternehmen nach der Pandemie und aufgrund des Krieges in Europa bereit sind, schon andere Märkte zu erschließen. Es haben jedoch über 300 Betriebe mit über 650 Betriebsvertretern teilgenommen – das allein weist auf den Nutzen dieser Wirtschaftsmissionen hin.
Sie haben bereits auf den Nutzen dieser Missionen hingewiesen. Die Frage lautet immer: Was hat es gekostet und was hat es letztendlich gebracht?
Das ist natürlich auch die Frage, die unser Verwaltungsrat uns immer stellt. Die Frage des „return of invest“ ist berechtigt. Mit diesen Wirtschaftsmissionen bieten wir als Handelskammer schließlich kostenlos eine Plattform, um Unternehmen zusammenzubringen. Für Reise, Kost und Logis müssen die Unternehmen selbst aufkommen, den Service an sich bieten wir jedoch kostenlos an. Der Umstand, dass immer mehr Betriebe an solchen Missionen teilnehmen, ist für uns jedoch ein Zeichen dafür, dass wir mit diesen Auslandsreisen Erfolg haben und die teilnehmenden Unternehmen davon profitieren.
Wie stellen Sie das fest?
Nach jeder Mission führen wir zwei qualitative Zufriedensheitsumfragen durch: eine relativ zeitnah nach der Mission und eine weitere sechs Monate danach. Diese Zufriedenheitsumfragen fallen meist recht positiv aus.
Kann man den Erfolg auch irgendwie beziffern?
Der dritte Faktor: Wie viele Verträge zwischen den Unternehmen kommen aufgrund einer Wirtschaftsmission zustande? Auf der letzten Wirtschaftsmission in Seoul (das Tageblatt berichtete) wurden zwei Verträge unterschrieben, von denen ich in Kenntnis gesetzt wurde. Manchmal werden wir über entstandene Partnerschaften auch – zu Recht – gar nicht informiert, weil das ja eigentlich nicht mehr in unser Aufgabengebiet fällt. Wir bieten eine Plattform, die Unternehmen aber müssen diese nutzen. Die Frage, ob oder inwiefern sich die Wirtschaftsmissionen auf das Bruttoinlandsprodukt auswirken, kann nur sehr schwer beantwortet werden.
Warum kann man das nicht genau herleiten?
Die wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln sich ja nicht nur innerhalb von ein paar Monaten. Das wächst über Jahre. Ich kann das Beispiel China nennen: Die Handelsbeziehungen mit China sind erst nach der Weltexpo in Schanghai so richtig angelaufen. Hätten sich diese Kontakte auch ohne die Expo in Schanghai entwickelt? Möglicherweise. Ich bin aber der Überzeugung, dass die Expo die wirtschaftlichen Beziehungen gefördert hat. Und somit bin ich auch überzeugt davon, dass die Beziehungen zwischen Luxemburg und den Emiraten weiter wachsen werden – anders als mit Katar, wo praktisch keine Verflechtungen mehr existieren.
Der Wille der Politik war zumindest vor zehn Jahren aber noch gegeben, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Katar auszubauen. Warum haben sich diese Pläne nie konkretisiert?
Die Pläne hatten zumindest kurzfristig Erfolg, denkt man an die katarische Beteiligung an Cargolux zurück. Wir wollten im Mittleren Osten Fuß fassen, das war demnach nur kohärent. Letztlich ist es nicht so gekommen, wie man sich das vorgestellt hat. Luxemburger Unternehmen haben auch deswegen nicht nach Katar expandiert, weil Katar aus wirtschaftlicher Sicht nicht so weltoffen ist, wie es die Emirate zum Beispiel sind.
Wie viel hat die Luxemburger Handelskammer denn 2022 in die 13 Wirtschaftsmissionen investiert?
Das ist schwierig zu beziffern, weil in diesem Jahr bereits Ausgaben für die Weltausstellung 2025 in Osaka feststehen. Ich denke, dass die Ausgaben ungefähr bei 1,5 Millionen Euro liegen, wenn nicht sogar etwas mehr. Hinzu kommen dann natürlich die geleistete Arbeit, das Know-how und die Expertise, die wir währenddessen bereitstellen. Aber das gehört wie gesagt zu unserem Kerngeschäft.
Wie sieht eine typische Wirtschaftsmission genau aus? In den Kommentarspalten unter den betreffenden Artikeln wird den Teilnehmern immer wieder „schéi Vakanz“ gewünscht. Was passiert wirklich vor Ort?
Zuallererst ist es wichtig, dorthin zu gehen, wo wir bereits Partner vor Ort haben. Luxemburg hat ungefährt 30 Botschaften weltweit und zusätzlich zehn „Luxembourg Trade and Investment Offices“ (LTIO). Es gibt jedoch ungefähr 190 Nationen weltweit, in denen sich überall Geschäftsmöglichkeiten auftun. Dort, wo wir keine Botschaft haben, vertritt Belgien unsere wirtschaftlichen Interessen und die Niederlande die politischen. Das ist ein Deal, der aus den Benelux-Verträgen hervorgeht. In Ländern, in denen wir keine Botschaft haben, hängen wir uns dann über das Abkommen an eine oder mehrere der drei belgischen Handelskammern dran. Einfach weil es einfacher ist, auf einem Markt Fuß zu fassen, auf dem man bereits präsent ist.
Wir versuchen dann auch gezielt verschiedene Sektoren abzudecken, weil eine generelle Herangehensweise nichts bringt. Wenn die angepeilten Sektoren dann feststehen, wird ein Programm entwickelt, und es wird in Absprache mit den Ministerien festgelegt, ob ein Minister sich der Mission anschließt. Vor Ort werden dann eben die vorher erwähnten Seminare, Workshops und B2B-Meetings organisiert. Wir versuchen unsere Visiten aber auch anhand sogenannter Anker-Events zu organisieren. In Dubai beispielsweise waren während der Weltausstellung zahlreiche Handelsmessen, die wir im Rahmen der Wirtschaftsmission dann besucht haben. Zusammen mit den Unternehmen werden diese Reisen dann vorbereitet und abschließend wird auch ein „Debriefing“ organisiert. Mittlerweile versuchen wir uns auf die Länder zu konzentrieren, für die wir eine langfristige Strategie entwickelt haben.
Sie haben Dubai erwähnt: Wie sieht die Bilanz von der Weltausstellung in Dubai aus?
Wir hatten in Dubai bereits eine Bilanz gezogen. Wir haben sechs sektorielle Missionen zur Weltausstellung organisiert: ICT, Space, Health Tech, Sustainability, Food an Beverage und eine Woche Made in Luxembourg. Insgesamt haben fast 300 Vertreter von 160 Unternehmen teilgenommen. Das war in Covid-Zeiten ein voller Erfolg.
Die Vorbereitungen auf die Weltausstellung in Osaka 2025 laufen bereits?
Ja, die Handelskammer ist Hauptpartner des Wirtschaftsministeriums, um den Privatsektor vor Ort zu vertreten. Die Arbeiten mit dem Architekten laufen jetzt an – wobei die Dimension natürlich eine andere sein wird als noch in Dubai.
Weiß die Handelskammer schon, welche Wirtschaftssektoren in Osaka gezielt beworben werden sollen?
Nein, dafür bleibt aber auch noch etwas Zeit. Fest steht, dass das Thema Nachhaltigkeit ein großer Faktor sein wird. Demnach wird wohl auch der Bereich der Kreislaufwirtschaft stark vertreten sein. Das reicht vom nachhaltigen Bauen bis hin zum ICT-Sektor. Ich kann mir gut vorstellen, dass Luxemburgs Weltraum-Sektor und Gesundheitstechnologien eine Rolle spielen werden.
Die Regierung hat im Zuge des Ukraine-Krieges angekündigt, eine wertebasierte Handelspolitik treiben zu wollen …
(unterbricht) War das die Regierung – oder die LSAP?
Franz Fayot hat das in seiner Rolle als Wirtschaftsminister noch einmal in Seoul bekräftigt. Wie steht die Handelskammer zu dieser Ankündigung?
Wir teilen selbstverständlich die Auffassung der Regierung und des Wirtschaftsministers. Wir sind dabei, eine Strategie zu entwickeln, die auf dieser Ankündigung aufbaut. U.a. wollen wir unsere Mitglieder für den Punkt sensibilisieren, informieren und weiterbilden. Es gibt mittlerweile Indizes – darunter der ESG-Index –, die verschiedene Kriterien wie Umwelt, Wirtschaft und auch Menschenrechte beachten. Diese lehnen sich auch eng an die Kriterien der Vereinten Nationen an.
Jedoch müssen wir als Handelskammer eine pragmatischere Herangehensweise verfolgen. Wir wissen noch nicht, wo die Luxemburger Regierung den Maßstab für eine wertebasierte Politik ansetzen will. Treibt man etwa zukünftig nur noch Geschäfte mit den Ländern, die auf den entsprechenden Skalen zwischen 90 und 100 Prozent oder zwischen 70 und 100 Prozent liegen?
Was bedeutet das denn konkret für die zukünftigen Missionen der Handelskammer?
Ich glaube, es ist nicht alles nur schwarz und weiß. Wenn man nur noch Geschäfte mit den Ländern treibt, die lupenreine Demokratien sind, bleiben rund 23 Nationen weltweit. Ein Land wie Saudi-Arabien beispielsweise ist auch in dem ESG-Index vertreten. Bei verschiedenen Kriterien liegt Saudi-Arabien auf einem sehr guten Platz. Bei anderen, etwa dem der Menschenrechte, können sie natürlich nicht gut abschließen. Man muss also wissen, dass es Probleme gibt – deswegen ist aber nicht jeder Geschäftsmann in Saudi-Arabien auch ein „Schurke“.
Man kann Stunden und Stunden über dieses Thema diskutieren. Sollte man etwa mit Ländern Geschäfte treiben, welche die Todesstrafe praktizieren? Die USA wenden diese ja teilweise noch an. Wir müssen deshalb pragmatisch bleiben: Wenn die Interessen der Luxemburger Unternehmen auch langfristig gewahrt werden können, werden wir dort hingehen. So werden wir uns auch einer belgischen Wirtschaftsmission nach Saudi-Arabien anschließen. Das auch, weil Luxemburger Unternehmen diesen Wunsch geäußert haben. Der Mission wird sich wohl kein Politiker anschließen, was ich im Gegenzug ebenfalls verstehen kann. Man kennt ja die Maxime „Handel durch Wandel“. Ich würde diese etwas abwandeln und sagen, dass man „verantwortungsvollen Handel treiben muss, um nachhaltigen Wandel zu erreichen“.
Die ganze Europäische Union hat an diesem Credo festgehalten – ist es nicht etwas naiv, zu denken, dass es dennoch in anderen Ländern gelingt?
Naiv ist, glaube ich, das falsche Wort. Die Geschäftsleute, mit denen wir zu tun hatten, sind ja per se keine schlechten Menschen. Die Politik hat es da deutlich schwerer. Man nehme das Beispiel China oder USA: Die Beziehungen aus politischen Gründen komplett einzustampfen, wäre aus rein wirtschaftlicher Sicht ja undenkbar.
Ich kann aber auch ein anderes Beispiel nennen: Brasilien. Die wirtschaftlichen Beziehungen haben unter Bolsonaro schon etwas gelitten – nächstes Jahr aber werden wir wieder näher mit dem Land kooperieren. Es gibt demnach immer ein Auf und Ab, je nachdem, wer gerade an der Macht sitzt. Wir wollen jedoch kohärent bleiben und nicht nach politischer Ausrichtung des Landes sofort alle Brücken abreißen.
Wie schädlich sind denn politische Figuren wie Trump oder Bolsonaro für die wirtschaftlichen Beziehungen?
Handelsabkommen zwischen den einzelnen Ländern sind von größter Wichtigkeit, damit eben nicht eine einzelne Person das wirtschaftliche Gebilde einreißen kann. Das Potenzial besteht nämlich durchaus. Auf finanzieller Ebene hat beispielsweise Trump zumindest in Luxemburg keinen großen Schaden angerichtet. Es wurde vor allem auf europäischer Ebene politisiert. Die Geschäftsleute unter sich versuchen, über dem Politischen zu stehen. Es ist natürlich leichter, wenn die Politik die wirtschaftlichen Ambitionen der Geschäftsleute unterstützt.
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