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Lust zu lesenToxische Männlichkeit

Lust zu lesen / Toxische Männlichkeit
Kurt Palm Foto: Julius Hirtzberger

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Der Mann ist sehr dick, und zu seiner Vorstellung von einem gelungenen Tête-à-Tête gehören „eine Kerze, gelbe Gummihandschuhe, zwei Dildos und eine CD mit dem ,Cocksucker Blues‘ von den Rolling Stones“. Seine Wohnung befindet sich unweit einer Schule.

Der Mann ist sehr dick, und zu seiner Vorstellung von einem gelungenen Tête-à-Tête gehören „eine Kerze, gelbe Gummihandschuhe, zwei Dildos und eine CD mit dem ,Cocksucker Blues‘ von den Rolling Stones“. Seine Wohnung befindet sich unweit einer Schule. Mit einem Feldstecher beobachtet er das lärmende Treiben auf dem Pausenhof. Ansonsten geht es in seiner Wohnung, bei der die Fenster größtenteils mit Zeitungen zugeklebt sind, zu wie in einem Horrorfilm: Kakerlaken legen tausende Eier unter gebrauchte Tempotaschentücher neben dem Bett, derweil der dicke Mann mit dem Fernglas in Fantasien von tabulosen arabischen und türkischen Mädchen schwelgt. Die er natürlich hasst. Denn in Kurt Palms apokalyptischem Heimatroman „Der Hai im System“ fungiert der Dicke als krassestes Beispiel einer kranken Männlichkeit, die politisch betrachtet so rechtsgerichtet-phobisch ist, wie ästhetisch eine Schande fürs Auge. Auch in Palms allgemeinen Beschreibungen von Wien mag man so gar nichts Schönes erkennen. Jenseits der Touristenattraktionen, der Prachtstraßen, filmen Lebensmüde ihren eigenen Selbstmord, betrügen Polizisten ihre schwangeren Frauen mit kreuzunglücklichen Rachegöttinnen und kämpft die Schullehrerin Franziska Steinbrenner einen aussichtslosen Kampf gegen die hirnlosen Moden der Zeit. Gelegentlich mag man in dieser Moritat des Autors auf unterschiedliche Formen männlichen Größenwahns und Geltungssucht einen abgründigen Humor erkennen, wie er bei Österreichischen Kunstschaffenden als charakteristisch erachtet wird. Das ändert aber nichts an der brutalen Konsequenz, mit der Kurt Palm seine Erzählung ziemlich unlustig zu Ende führt. Dass toxische Männlichkeit immer auf Selbstauslöschung abzielt (wobei noch möglichst viel Unheil angerichtet werden soll) ist als Erkenntnis wahrlich nicht neu. Dass man sie in kurze, lachhaft-hässliche Episoden aufgeteilt einer Leserschaft präsentiert, die möglicherweise unter falschen Annahmen nach Unterhaltung sucht, mag für einige Verwirrung sorgen. Doch sei’s drum. Hier traut sich ein Autor etwas, und es lohnt sich absolut, ihm dabei zu folgen.

thk

Kurt Palm – „Der Hai im System“,<br />
Leykam Verlag, Wien 2022,<br />
288 S., 23,00 Euro
Kurt Palm – „Der Hai im System“,
Leykam Verlag, Wien 2022,
288 S., 23,00 Euro