Volker Kutscher, Kerstin Ehmers großer Konkurrent in Sachen historisierende Kriminalromane, hat in „Transatlantik“, seinem kürzlich veröffentlichten neunten Gedeon-Rath-Roman, die Weimarer Republik weit hinter sich gelassen. Mit dem „blonden Hund“ scheint Ehmers dagegen weiter jene Bedingungen ausloten zu wollen, die zu Hitlers Aufstieg und zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führten. Hierfür scheint es notwendig, sich in den zeitgeistigen Zustand hineinzuversetzen, der in der Weimarer Republik des Jahres 1925 vorherrschte. Auf dem Buchcover ist die US-amerikanische Stummfilmschauspielerin Agnes Ayres beim intensiven Betrachten einer großen, glänzenden Kugel abgebildet, die sie in ihren Händen hält. Zwar hat die Aktrice mit dem Berlin der Weimarer Zweit herzlich wenig zu tun, das Motiv an sich symbolisiert nichtsdestotrotz sehr gut ein Phänomen, das in Ehmers Roman eine große Rolle spielt: der Irrationalismus, dem sich eine durch Kriegsleid und Inflationsnot kirre gewordene Bevölkerung mit Wonne hingab. Magier, Weissager, Okkultismus allgemein stand ganz hoch im Kurs, Homöopathie und Anthroposophie kam zusehends in Mode. Und wenn wir von Tendenzen sprechen, dann sollte der Totalitarismus, diese zur Manie gesteigerte Sehnsucht nach Eindeutigkeit, nicht vergessen werden.
Zeiten ändern sich
Wie bei Romanen üblich, die vom Berlin der 1920er Jahren handeln, wird auch im „blonden Hund“ nicht mit Talmi und Flitter gegeizt. Im Café Josty am Potsdamer Platz „muss jeder mal gewesen sein, getafelt und getanzt haben“. Abends amüsiert man sich bei den Haller Girls, „die berühmteste Tanzrevue der Stadt im Admiralspalast“. Oder beglotzt die fast nackte Josephine Baker, auf Gastspielreise im Nelson Theater am Kurfürstendamm? Ehmers Erwähnung von Anita Berbers „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ kommt dagegen etwas zu spät. Denn mit der Einführung der Rentenmark konnte die Hyperinflation von 1923 gestoppt werden. Was folgte, war eine wirtschaftliche Konsolidierungsphase, in der die Leute keine Lust mehr auf dekadente Skandalnudeln à la Anita Berber hatten. Verrenkter Expressionismus ist nun passé, eine neue Gediegenheit macht sich breit. Fritz Lang hat die urdeutsche Sage der Nibelungen zu einem zweiteiligen Großfilm aufgeblasen. In der Provinz greifen sektiererische Gruppen wie der radikal-nationalistische Bund der Artamanen um sich, und in einigen Gründerzeitvillen Berlins wollen ein paar Damen der besten Gesellschaft den Herrn H. aus München „parkettfest“ machen. Der Rechtsruck vollzieht sich in Kreisen, die noch vor zwei Jahren einem jüdischen Dirigenten einen Konzertflügel spendierten. „Etwas geschieht“, meint Spiro, „aber ich sehe nur die Spitze des Eisbergs und es ist, als hätte er sich unter der Wasseroberfläche bereits weit über den Meeresgrund ausgebreitet, aber niemanden scheint das zu interessieren.“ Und Nike antwortet: „Der Aberglaube ist zurück. Unwissen und Dummheit sind wiederauferstanden und der Hass auf die Juden. Wir gehen nicht mehr vorwärts. Wir gehen zurück.“ Nun gut, fast hundert Jahre später solche Worte einer literarischen Figur in den Mund zu legen, ist wohlfeil. Aber diesseits von Kerstin Ehmers Beschreibung von Berlin als Mischung aus „Schönheit und Schrecken in ortsüblicher Verschlungenheit“ treffen die Sätze auf einen Resonanzboden, auf eine Wirklichkeit, die wir noch verändern können.
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