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EditorialDie Tragödie von Kayl hat eine soziale Dimension – das darf uns nicht egal sein

Editorial / Die Tragödie von Kayl hat eine soziale Dimension – das darf uns nicht egal sein
„Es trifft wieder einmal die Ärmsten“: Die Tragödie von Kayl hat auch eine soziale Dimension, das darf uns nicht egal sein Foto: Editpress/Alain Rischard

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Ein toter Junge, zwölf Verletzte, einer davon schwer, der Brand in einem Kayler Mehrfamilienhaus am Nikolaustag hat nicht nur Kayl einen Schock versetzt. Das ganze Land fühlte an dem Tag und jenen danach mit den Opfern und besonders mit der Familie des verstorbenen Sechsjährigen mit. Wir hier in Luxemburg haben ja schließlich kein Herz aus Stein. Oder doch?

Am Dienstagmorgen in der Tageblatt-Redaktion, wenige Stunden nach der Tragödie, war der erste Bericht von der Unfallstelle schon geschrieben und online, und wir haben darüber gesprochen, wie wir das Thema weiter behandeln. Dazu gehörte auch, sich die Bilder des zerstörten Hauses anzuschauen, die unser Fotograf zu dem Zeitpunkt bereits ins System gestellt hatte. Darauf sahen wir die abgebrannten Reste jenes älteren, zwischen modernen Mehrfamilienhäusern eingepferchten braunen Hauses in der rue du Commerce in Kayl. Alle Kolleginnen und Kollegen hatten denselben Gedanken – dort haben 23 Menschen gelebt? Unsere Journalistin vor Ort hatte da bereits die Information erhalten, dass es „wieder einmal die Ärmsten“ trifft.

Dieser eine kurze Satz – „es trifft wieder einmal die Ärmsten“ – legt schonungslos bloß, was es auch in Luxemburg bedeuten kann, wenn man arm ist: eine Gefahr für das eigene Leben und sogar das der eigenen Kinder.

In einem Land, in dem der Mindestlohn nicht reicht, um würdevoll leben zu können, ist das Wohnen sogar in der Mittelschicht für viele unbezahlbar geworden. Die Tragödie von Kayl erinnert uns alle auch daran, dass die Armut besonders, aber nicht ausschließlich, in den Städten im Süden unseres reichen Luxemburgs grassiert.

Rund 20 Prozent der Menschen in Luxemburg sind von Armut bedroht. Das Armutsrisiko steigt in Luxemburg seit 14 Jahren kontinuierlich an. Diese Befunde werfen ein Schlaglicht auf eine Wirklichkeit, vor der wir allzu gerne die Augen verschließen, sogar wenn sie uns selbst betrifft – schließlich gilt niemand gerne als arm, aber viele haben Angst davor, es zu werden. Und die meisten wissen oder ahnen, wie schnell es gehen kann – viele Ausrutscher oder Schicksalsschläge kann sich auch in Luxemburg niemand leisten, ohne dass die Armut einen bedroht.

Die katastrophal schlimme Lage am Wohnungsmarkt ist ein Hauptgrund dafür. Alleine das Wohnen kann einem in Luxemburg das Einkommen auffressen. Alle Zuschüsse der Sozialämter und des Staates helfen jenen, über die Runden zu kommen, die anders durchs Netz fallen würden. Das stimmt. Trotzdem fließen diese Gelder zu jedem Monatsanfang weiter an den Besitzer der Immobilie. Das ist nichts anderes als eine Transferleistung des Staates an die unteren Schichten, die dieses Geld umgehend wieder nach oben schicken müssen.

Zugegebenermaßen ist das alles keine neue Erkenntnis. Trotzdem muss daran erinnert werden, immer und immer wieder. Wir haben uns an die steigende Armut gewöhnt, sie regt uns nicht mehr auf. Das muss sich ändern. Kommendes Jahr gehen wir zweimal wählen. Der Kampf gegen Armut muss ein Wahlkampfthema werden. Kommt es nicht dazu, zeigt das nur eines: Dass wir doch alle ein Herz aus Stein haben und uns die Armut von so vielen Menschen in Luxemburg tatsächlich egal ist. Das wäre dann ein im doppelten Sinn armes Luxemburg.

Dan
11. Dezember 2022 - 8.11

Ganz gutten Artikel!
Merci!!
Dan Cao