Tageblatt: Wenn Sie das Bundesland vorstellen müssten: das Saarland in drei Sätzen …
Anke Rehlinger: Das Saarland hat eine der spannendsten Geschichten, die man in Europa haben kann. Wir waren schon deutsch, französisch und unabhängig. Unsere Mentalität ist von allen drei Gegebenheiten geprägt. Die Saarländer sind bodenständig und gleichzeitig weltoffen. Und wir werden oft unterschätzt und daraus machen wir eine Stärke.
Die Sicht von außen ist oft ganz anders: randständig, flächenmäßig klein, mit nur noch knapp einer Million Einwohnern und hoch verschuldet. Das ist nicht gerade die Pole Position für eine Landeschefin, oder?
Ich glaube, dass gerade Luxemburger ein Gefühl dafür haben, dass Fläche und Einwohnerzahl wenig über Lebensqualität und Perspektiven aussagen. Ich habe mir fest vorgenommen, aus der Tatsache, dass wir klein sind, einen Vorteil zu machen. Wir haben kurze Wege, schnelle Entscheidungen, wissen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Aus dem „am Rande der Republik“ machen wir ein „im Herzen Europas“.
Ich habe mir fest vorgenommen, aus der Tatsache, dass wir klein sind, einen Vorteil zu machen
Sie haben eine komfortable Mehrheit und können eigentlich „durchregieren“ …
Wir haben die einzige Alleinregierung in der BRD, das spart viel Zeit und Diskussionsbedarf mit einem Koalitionspartner.
Sie haben mal gesagt, dass es für einen Wahlkampf gut ist, wenn man mal Leistungssport gemacht hat. Sie halten immer noch den Landesrekord im Kugelstoßen. Hilft das auch in der Politik?
Es gibt Wettkämpfe und es gibt Zeiten zwischen den Wettkämpfen. Man muss zu jedem Zeitpunkt leistungsbereit sein. Aber der Sport hat mich persönlich sicherlich geprägt. Wenn man lange in der Politik bleiben will, spielt nicht nur Disziplin und harte Arbeit eine Rolle, sondern auch das Fairplay.
Wir müssen einiges ändern und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Da sind Ideen und Pioniergeist gefragt.
Das Programm der Saar-SPD klingt ehrgeizig und nach vielen Investitionen. Andererseits herrscht Haushaltsnotlage. Wo soll das Geld herkommen?
In unserem Programm haben wir Dinge priorisiert, damit die Einwohner hier eine stabile Zukunft haben. An erster Stelle stehen die Arbeitsplätze. Um alles umsetzen zu können, mussten wir im Haushalt Schwerpunkte setzen. Eine weitere Maßnahme ist der Transformationsfonds für den Strukturwandel. Ich glaube, in zehn Jahren haben wir hier eine völlig andere Wirtschaftsstruktur. Wir müssen einiges ändern und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Da sind Ideen und Pioniergeist gefragt.
Der Autobauer Ford hat das Saarland fallen lassen und sich für Valencia entschieden. Es geht um 5.000 bis 6.000 Arbeitsplätze. Was passiert jetzt mit dem Ford Supplier Park?
Es geht um rund 100.000 Hektar in unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen. Der Supplier Park gehört dem Land, das eigentliche Gelände Ford. Wir haben uns mit dem Unternehmen darauf verständigt, dass wir spätestens ab 2025 Zugriff darauf haben. Es gibt Interessenten für diese Flächen. Das sind Unternehmen, die weltweit operieren und gut erschlossene Flächen suchen. Sie finden hier zusätzlich gut ausgebildete, motivierte Mitarbeiter.
Von der Ansiedelung des chinesischen Batterieherstellers SVolt in Überherrn hört man aktuell wenig. Eine Bürgerinitiative kämpft dagegen wegen des nahen Naturschutzgebiets …
Das ist eine Nullemissionsfabrik mit Reinraumtechnik. Wir haben das Saarland nach Standorten gescannt, dieser Standort war der einzige, der infrage kam. Entweder da oder gar nicht. Das angrenzende Naturschutzgebiet wird in den Genehmigungsverfahren berücksichtigt und führt dann zu noch höheren Standards.
Luxemburg und das Saarland teilen sich eine Montanindustrievergangenheit und -zukunft. Im Saarland soll die Stahlindustrie „grün“ werden. Wie soll das gehen?
Wir brauchen eine CO2-arme oder bestenfalls CO2-freie Produktion. Dafür müssen wir investieren. Es werden rund 3,5 Milliarden Euro anfallen, um den Weg in den „grünen“ Stahl zu gehen. Die erneuerbaren Energien müssen massiv ausgebaut werden und wir brauchen aus meiner Sicht ein europäisches Netz, um Wasserstoff zu transportieren. Das ist eine spannende Frage – auch für unsere Nachbarn in Luxemburg und Frankreich – wie wir Teil dieses Netzes werden können. Wasserstoff ist der Stoff der Zukunft.
Schon jetzt pendeln mehr als 10.000 Saarländer täglich nach Luxemburg. Werden es bald mehr werden?
Es könnte durchaus sein, dass noch mehr Saarländer in Luxemburg arbeiten werden. Ob sie allerdings täglich pendeln müssen, ist eine Frage, die wir gemeinsam beantworten müssen. Ich hoffe auf klügere Aussichten, als täglich zwei Stunden im Stau zu stehen.
Sie werden also das Thema Homeoffice anpacken?
Das müssen wir uns gemeinsam noch mal genau anschauen. Außerdem steht es uns frei, als Grenzregion eine gemeinsame Position zu erarbeiten und für diese zukunftsorientierte Position an anderer Stelle werben.
Das hängt ja mit dem Doppelbesteuerungsabkommen zusammen …
Wir werden das ernsthaft angehen. Mit meinem Kollegen als Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) gab es schon Gespräche, mit Franz Fayot (LSAP) gibt es ebenfalls engen Austausch. Mit François Bausch („déi gréng“) gibt es das Gleiche, was Verkehrsfragen angehen. Das Saarland ist ja in Fragen des Doppelbesteuerungsabkommens an zwei Stellen betroffen. Wir haben Grenzgänger aus Frankreich. Es schmälert einerseits unsere Finanzkraft, aber es eröffnet auch Perspektiven. Wir wollen wieder eine Million Einwohner werden.
Wie wichtig ist Luxemburg in den Beziehungen des Saarlandes zu seinen europäischen Nachbarn?
Für uns ist Luxemburg ein wichtiger Nachbar. Wir haben ja gerade gesehen, dass viele Fragen gar nicht ohne nachbarschaftlichen Austausch zu regeln sind. Viele Themen wie Verkehr, Forschung, Künstliche Intelligenz oder Wasserstoff zeigen, dass wir ein gemeinsamer Raum sind und es Ergänzungen gibt. Es gibt eine ganze Reihe von Ansatzpunkten, die noch nicht klar genug ausgearbeitet wurden, die für Luxemburg und das Saarland positive Effekte haben können. Luxemburg ist ganz klar ein wichtiger Partner, wenn es darum geht, diesen Lebensraum weiterzuentwickeln.
Hat das Saarland als eigenständiges Bundesland eine Chance?
Ja.
Zur Person
Vor ihrem Amt als Ministerpräsidentin war die Juristin zehn Jahre Ministerin in verschiedenen Ressorts (seit 2014 Wirtschaftsministerin). Sie ist seit 2004 SPD-Abgeordnete im saarländischen Landesparlament. Bei der Wahl 2022 erreichte sie mit 43,5 Prozent der Stimmen für die SPD die absolute Mehrheit. Die ehemalige Leistungssportlerin im Kugelstoßen hat 1996 den saarländischen Landesrekord in dieser Disziplin aufgestellt, der nach wie vor gilt.
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