Pünktlich wie die Maurer
Jempy rast auf seinem Fahrrad durch die Stadt. Auf seinem Gepäckträger hat er einen hastig zusammengesuchten und -gebundenen Blumenstrauß, in seinem Rucksack eine Schachtel Pralinen. Omas Lieblingssorte, denn heute hat sie Geburtstag. Und weil Jempy genau weiß, Oma hasst nichts mehr als unpünktliche Gäste, will er auch rechtzeitig um drei zum Nachmittagskaffee bei ihr sein.
Oma staunt nicht schlecht, als der Junge mit hochrotem Kopf Punkt drei an der Tür klingelt. „Jempy, du bist ja pünktlich wie die Maurer!“, ruft sie aus und bittet den Gast herein.
Pünktlich wie die Maurer? Heißt das, die Handwerker kommen immer genau zur Arbeit, dass man die Uhr nach ihnen stellen kann? Oh nein, eher ist das Gegenteil der Fall: Seit vielen Jahren geht die Fama um, dass Maurer schon vor dem offiziellen Arbeitsschluss beginnen, ihr Werkzeug zu reinigen und zu sammeln. Damit sie dann, wenn der Arbeitstag beendet war, auch wirklich Feierabend machen konnten. Wer also jemanden benannte, der „pünktlich wie die Maurer“ war, meinte in früheren Tagen jemanden, der es eher nicht so genau mit der Ausschöpfung der Arbeitszeit nahm. Heutzutage jedoch hat sich der Spruch eher ins Positive gedreht und man lobt damit einen Menschen, der genau zur verabredeten Zeit erscheint.
Einen Eiertanz aufführen
Der Kuchen ist gegessen, der Kakao – Oma macht ihn immer besonders lecker! – getrunken. Nun will Jempy endlich das Geschenk aus dem Rucksack holen. Doch, oh Schreck! Die Pralinen sind gar nicht darinnen. Er muss sie in der Aufregung wohl zu Hause vergessen haben. Verschämt druckst er herum. „Nun mach mal nicht so einen Eiertanz, was ist denn los?“, fragt Oma. Einen Eiertanz? Was ist denn das?
Das Sprichwort „einen Eiertanz aufführen“ geht auf den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe zurück. In „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ beschreibt er, wie das Mädchen Mignon Eier in einem bestimmten Muster auf einen Teppich legte und dann mit verbundenen Augen darum herumtanzte, ohne eines zu zerstören. Goethe schrieb das Erlebnis auf, die Menschen lasen es und es verbreitete sich der Spruch „einen Eiertanz aufführen“, wenn jemand ganz besonders vorsichtig eine Sache angehen musste.
Mittlerweile benutzt man das Wort auch, wenn jemand um eine Sache herumdruckst und nicht recht herauswill mit der Wahrheit.
Du altes Schlitzohr
Der kleine Pierre hat brav sein Mittagessen zu sich genommen. Besonders schmackhaft war der Gurkensalat, nun ist nur noch die leckere Soße in der Schale. Darf man sie austrinken? Da kommt ihm ein Einfall: „Schau Mama, die Katze auf dem Baum jagt Vögel!“ Schon schaut die Mutter aus dem Fenster, im Moment hat Pierre die Gurkenschale ausgeschlürft. „Du altes Schlitzohr“, schimpft Mama lächelnd. Dabei hat Pierre doch gar keinen Schlitz im Ohr.
Woher kommt dann der Spruch? Eine mögliche Erklärung leitet sich aus dem Handwerk ab. Früher trugen Handwerker zum Zeichen, dass sie schon Gesellen waren, einen kleinen goldenen Ring im Ohr. Das war einerseits ein Zeichen zur Zunftzugehörigkeit, andererseits auch eine Wertanlage. Ließ sich der Geselle jedoch etwas zuschulden kommen oder verstieß gegen die Zunftregeln, wurde ihm der Ring aus dem Ohr gerissen. Autsch! Das tat weh und hinterließ einen Schlitz. Und blieb als Mahn-Zeichen für andere Zünfte: Achtung, dieser hier hat schon mal gegen die Regeln verstoßen.
Heute bezeichnet man als „Schlitzohr“ einen besonders raffinierten Menschen – wie eben einen kleinen Jungen, der hinter dem Rücken der Mutter eine Gurkenschale austrinkt.
Blut und Wasser schwitzen
Doch so raffiniert ein Schlitzohr auch sein mag, immer hat er ein wenig Angst, dass er entdeckt und seine „Schandtat“ bestraft werden könnte. In seiner Angst, so sagt man oft, schwitzt er dann „Blut und Wasser“.
Dass wir bei Anstrengung oder in großer Hitze Wasser schwitzen, haben wir schon oft erlebt. Aber Blut? Wohl eher nicht. Der Vergleich kommt – wie vieler der Art – aus der Bibel. Genauer aus dem Lukas-Evangelium. Kurz bevor Jesus von seinen Feinden gefangen genommen wurde, flüchtete er mit seinen Getreuen auf den Ölberg nahe Jerusalem. Dort verharrte er in innigem Gebet zu Gott, er möge verschont werden. Und Lukas schreibt: „Vater, wenn Du willst, nimm diesen Kelch von mir. Doch nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen. Und es kamen Engel zu ihm und gaben ihm neue Kraft. Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.“
Der Kreuzigung konnte Jesus trotz aller Gebete nicht entrinnen. Seit jenen Tagen aber sprach man in Momenten größter Angst davon, Blut und Wasser zu schwitzen.
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