Sie ist groß, flügellos und frisst Holz. Die Kakerlake Panesthia lata ist eines der vielen faszinierenden Lebewesen, die die kleine australische Insel Lord Howe hervorgebracht hat. Die Insel ist Überrest eines alten Vulkans und ist in den vergangenen sieben Millionen Jahren auf ein Vierzigstel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft. Heute ist sie nur noch 14,5 Quadratkilometer groß.
Die Insel in der Tasmansee, einem Stück Pazifik zwischen Australien und Neuseeland, ist völlig anders als das Klischeebild, das viele von Australien im Kopf haben. Beispielsweise gibt es auf Lord Howe keine Kängurus oder Koalas. Stattdessen tummeln sich etliche Vogelarten zwischen den Kentia-Palmen und Banyan-Bäumen des Weltnaturerbes, das gerade mal zwei Stunden Flug von Brisbane oder Sydney entfernt liegt.
Ratten überrannten die Insel
In diesem kleinen Paradies war auch Panesthia lata, eine flügellose Kakerlake mit 22 bis 40 Millimetern Länge und einer metallischen Körperfarbe, die von rötlich bis schwarz variiert, heimisch. Doch dann kamen die Ratten: Letztere gelangten vermutlich 1918 an Land, nachdem ein Schiff vor der Insel Schiffbruch erlitt und sank. Einmal an Land, vermehrten sich die Nagetiere rasant: Forscher vermuten, dass vor einem Ausrottungsprogramm, das 2019 startete, bis zu 1.000 Nager auf einen Einwohner kamen. Geschätzte 300.000 Ratten und Mäuse überrannten die Insel.
Die Nager richteten unermesslichen Schaden an. Vermutlich waren sie für das Aussterben von mindestens fünf Landvögeln, 13 wirbellosen Tieren und zwei Pflanzenarten verantwortlich. Auch Panesthia lata vermutete man unter den Opfern. Zumindest war die holzfressende Riesenkakerlake seit den 1930er Jahren nicht mehr gesichtet worden. Bis ein Biologiestudent der University of Sydney während einer Forschungsreise auf die Insel einen Stein in der Nähe eines großen Banyan-Baumes aufhob …
Älter als die Galápagos-Inseln
„In den ersten zehn Sekunden dachte ich ‚Nein, das kann nicht sein‘“, sagte Maxim Adams, ein Student der School of Life and Environmental Sciences an der University of Sydney. „Ich meine, ich habe den ersten Stein unter diesem riesigen Banyan-Baum aufgehoben, und da saß sie.“ Unter besagtem Baum stieß der Student schließlich auf mehrere Familien der für ausgestorben geglaubten Insekten. Allerdings fand er die Tiere auch nur dort und unter keinem anderen Baum mehr, den er untersuchte.
Es sei eine „großartige Nachricht“, dass die Tiere überlebt hätten, meinte Atticus Fleming, ein Vertreter der Inselbewohner. Lord Howe Island sei ein wirklich „spektakulärer Ort“. „Er ist älter als die Galápagos-Inseln und beherbergt 1.600 einheimische wirbellose Arten, von denen die Hälfte nirgendwo sonst auf der Welt zu finden ist“, sagte Fleming. Die Kakerlaken seien fast „wie unsere eigene Version der Darwinfinken, die über Tausende oder Millionen von Jahren auf kleinen Inseln abgeschottet waren und ihre eigene einzigartige Genetik entwickelten“.
Ökologische Renaissance
Der Fund folgt auf die gute Nachricht im vergangenen Jahr, dass die eingeschleppten Ratten dank des 2019 initiierten Ausrottungsprogramms, bei dem 22.000 verschließbare Fallen mit Gift rund um die Insel platziert worden waren, weitestgehend von der Insel verschwunden sind. Die einheimische Tier- und Pflanzenwelt erlebte in den Monaten danach tatsächlich eine geradezu erstaunliche Wiedergeburt. Beispielsweise verdoppelte sich die Zahl der Waldrallen innerhalb von zwölf Monaten. Forscher vermuten, dass die Vögel zuvor im Nahrungswettbewerb mit den Nagetieren standen und diese auch ihre Küken und Eier fraßen. Außerdem registrierte man wieder deutlich mehr Insekten auf der Insel. Vor allem die Grillen entwickelten sich so gut, dass ein Forscher in der Vergangenheit bereits von einer „ökologischen Renaissance“ sprach.
Auch der Fortbestand von Panesthia lata scheint deswegen nun sicherer als zuvor. Und selbst wenn die Kakerlaken nicht ganz so hübsch anzuschauen sind wie beispielsweise die Waldrallen, so sind die Insekten laut der Biologen der University of Sydney doch „Eckpfeiler für die Aufrechterhaltung eines gesunden Ökosystems auf der Insel“. Nicht nur seien sie eine Nahrungsquelle für andere Arten, sie würden auch den Abbau von umgestürzten Baumstämmen in der Natur beschleunigen. Eine Besonderheit von Panesthia lata sind nämlich ihre spezialisierten Mikroorganismen im Darm, die helfen, die Zellulose im Holz zu verdauen.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können