Frank Engel, parteipolitischer Sprecher und Spitzenkandidat von Fokus, hat sich nach der Rede zur Lage der Nation und der anschließenden Chamber-Debatte gewohnt angriffslustig und scharfzüngig auf das politische Establishment in Luxemburg eingeschossen. „Die Welt um uns geht mehr oder weniger unter und wir gefallen uns darin, eine Kommunalliste nach der anderen vorzustellen“, begrüßt Frank Engel die anwesenden Journalisten am Freitag auf einer Pressekonferenz von Fokus. Es sei nicht wirklich nachzuvollziehen, ob, und wenn ja, von wem Luxemburg noch regiert werde. „Ich glaube nicht, dass der Prozess der Lösungsfindung noch Teil der Agenda ist.“ Fokus wolle sich auch deshalb an die Presse wenden, weil einige Entwicklungen im Logement, aber auch im Gesundheitssektor nicht rund laufen würden.
„Wir sind mittlerweile ein bisschen aus der Covid-Panik raus und in einen latenten Streik eingetreten“, sagt Frank Engel. Im Ettelbrücker Krankenhaus müsste noch viel mehr schieflaufen als die öffentlich diskutierten Tarifverhandlungen. Unter anderem müsse man sich die Frage stellen, ob von Politikern präsidierte Krankenhausverwaltungsräte in der heutigen Zeit noch funktionsfähig seien. Die unentwegten Streitigkeiten zwischen Politik, Krankenhäusern und Ärzteschaft interessierten nur die wenigsten. „Die Patienten wollen in einer akzeptablen Zeitspanne im Krankenhaus behandelt werden“, sagt Engel. Und wenn wir nicht genug Ärzte haben, müsse man sie aus dem Ausland – „notfalls mit Geld“ – nach Luxemburg locken. „Wir aber wollen die Ärzte erst ausbilden, die Universität dementsprechend anpassen“, meint Engel. „Doch das dauert zu lange.“
Falsches Signal
Mit genau dieser Einstellung gehe die derzeitige Regierung auch die Wohnungskrise in Luxemburg an. „Wir führen eine Spekulationssteuer und Mobilisierungssteuer ein und geben den Menschen dann noch Jahre Zeit“, sagt Engel. „Wir haben aber jetzt eine Krise.“ Mit den steigenden Zinsen würde es schlussendlich darauf hinauslaufen, dass sich weniger Menschen ein Eigenheim leisten können. „Deshalb muss viel mehr in den Mietwohnungsmarkt investiert werden.“ Da aber würde die Regierung mit dem vorgestellten Mietpreisdeckel ein komplett falsches Signal senden. Mit der in Aussicht gestellten Maximalrendite von 3,5 Prozent würden viele Privatinvestoren von einer Investition in den Mietmarkt absehen. Staat und Gemeinden hingegen könnten der Nachfrage wohl kaum nachkommen. „Es ist nicht kriminell, sich bei einer Investition eine Rendite zu erhoffen“, sagt Engel. „Parallel aber könnten so auch einige Wohnungen entstehen.“ Als Partei für Großverdiener sieht Frank Engel seine neue Partei jedoch nicht. „Die werden nicht so schnell vergessen, dass ich mit dem Gedanken einer Erbschaftssteuer gespielt habe“, grinst Engel schon fast schelmisch auf Nachfrage der Journalisten. „Ein Stunt, der mir persönlich wenig genützt, die politische Debatte aber angeregt hat.“
Die Wohnungsbaupolitik sei ideologisch festgefahren, kommentiert Engel weiter. „Wir fordern, dass man sich mit der Idee eines zweiten Wohnungsmarktes resolut auseinandersetzt“, so Engel. Ein Vorschlag, der auch schon von den Ökonomen der Fondation IDEA vorgelegt worden wäre. „Was wäre denn falsch daran, auf Basis von Erbpachtverträgen („bail emphytéotique“) Bauland außerhalb des Bauperimeters zu erschließen?“, sagt Engel. So könne sehr schnell ein zweiter Markt für Miet- und Eigenheime entstehen, ohne dass der primäre Markt einbreche. Mit dem prozentualen Anteil an sozialem Wohnungsbau bei größeren Projekten könnte nicht genügend bezahlbarer Wohnraum entstehen, als wenn in „privatrechtlich relevanter Manier“ gebaut werde.
Ideologie und konkrete Probleme
Die „ideologische Verschließung“ vor einer Ausweitung des Bauperimeters führe dazu, dass nur noch Baulücken erschlossen werden können. „Diese werden aber nicht ausreichen für die zehntausenden Menschen, die es in den kommenden Jahren noch nach Luxemburg ziehen wird.“ Auch hier will Engel Parallelen zur aktuellen Energiepolitik der Regierung erkennen. „Ich habe nichts dagegen, auf jedem verfügbaren Dach Solarkollektoren aufzubauen“, meint Engel. „Das wird aber Luxemburgs Energieproblem ebenso wenig lösen, wie die Erschließung der restlichen Baulücken das Wohnungsproblem lösen wird.“
Apropos Energie- und Klimapolitik: „Die vom Klimabürgerrat ausgearbeiteten Vorschläge sind sehr interessant“, sagt Frank Engel. „Interessanter finde ich, dass sich grüne Minister den Vorschlägen verschließen.“ Nun wisse man nicht, inwiefern die ausgearbeiteten Vorschläge repräsentativ für Luxemburgs Bevölkerung seien. „Wenn sie es aber sind, bedeutet das, dass sich Bürger einer sehr einschneidenden Politik nicht verschließen wollen.“ Klimapolitik dürfe demnach mutig sein – „das könnte ruhig im politischen Diskurs in Luxemburg diskutiert werden“, meint Engel.
„Unverantwortlicher“ Wahlkampf
„Die Vorschläge, die ich hier gemacht habe, könnten wir ja in einem Wahlprogramm festschreiben“, sagt Engel. Es sei jedoch unverantwortlich, dass in Krisenzeiten zweimal innerhalb eines Jahres gewählt werden würde. „Ich glaube auch keine Sekunde daran, dass die Luxemburger Regierung eine Inflation von nur 2,8 Prozent ‚planen‘ kann, wenn in Deutschland mit fast zweistelligen Inflationsraten gerechnet wird.“ Ein halbes Jahr aufgrund von Wahlkampf, Wahlen und anschließender Regierungsbildung zu verlieren und in dieser Zeit politisch handlungsunfähig zu sein, sei leichtsinnig. „Die Regierung kann vorzeitig abtreten und den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen, damit die Handlungsfähigkeit des Landes schon im Sommer wiederhergestellt wird“, sagt Engel. Dann könnten Gemeinde- und Parlamentswahlen an einem Tag stattfinden. „Ich weiß, dass es auch in der Chamber bei Parteien und Abgeordneten – auch in den Reihen der Mehrheitsparteien – Befürworter einer solchen Lösung gibt.“
Drei zusätzliche Monate würden der Koalition auch nichts mehr nützen und die Wähler könnten schon früher entscheiden, was sie denn nun wollen. „Weiterhin nichts à la DP, mehr Steuergerechtigkeit à la LSAP oder Fokus oder mehr parlamentarische Opposition auf der letzten Zielgeraden“, zählt Engel auf. „Es wäre wichtig, am 11. Juni sowohl die Gemeindewahlen als auch die Parlamentswahlen abzuhalten, um nach den Sommerferien eine handlungsfähige Regierung zu haben.“
Bildung- und Familienpolitik
Fokus-Parteipräsident Marc Ruppert bescheinigte Premierminister Xavier Bettel (DP) bei der Rede zur Lage der Nation „eine in einem schwierigen Umfeld saubere Vorstellung“ – und beteuerte, dass Fokus sich nicht an der Polemik der Chamber-Debatte nach Bettels Rede beteiligen werde. „Wir wollen Lösungsvorschläge liefern.“ Einen Seitenhieb Richtung Regierung konnte sich Ruppert aber nicht verkneifen. „Die Regierung hat fertig“, paraphrasiert Ruppert die italienische Fußball-Trainerlegende Giovanni Trapattoni. „Sie betreibt Zeitspiel und würde die restlichen Probleme am liebsten erst nach den Wahlen angehen – auch wenn sie das Land gut durch die schwierigen Krisen hindurchgeführt hat.“
Inhaltlich aber hätte die Familien- und Bildungspolitik gefehlt, meint Ruppert in einem zu Frank Engel fast braven Auftreten am Freitag. In diesem Bereich seien viele kostenlose Angebote an die Familien ergangen – Fokus aber fordere, dass sich auch mit alternativen Familien- und Arbeitszeitmodellen auseinandergesetzt werde. „Für Eltern, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, schlagen wir eine Arbeitszeitreduzierung ohne ‚wesentliche‘ Lohneinbußen vor“, sagt Ruppert. „Im Gegenzug hätten diese dann jedoch keinen Zugriff auf die kostenlose Betreuungsangebote.“ Ein ausgearbeitetes Positionspapier zu dem Punkt und den Problemen im Bildungsbereich wolle Fokus dann auf einer weiteren Pressekonferenz vorstellen.
Fokus
Fokus ist am 22. Februar als neues politisches Projekt von Frank Engel und dem ehemaligen DP-Mitglied Marc Ruppert vorgestellt worden. Mit dem Gründungskongress am 16. Mai ist die Partei vor fünf Monaten dann auch offiziell gegründet worden. 150 Mitglieder zählt Fokus mittlerweile – „und wird bei den kommenden Wahlen genügend Listen aufstellen, um eine nationale Listennummer zu bekommen“, wie Frank Engel am Freitag sagte. Für die Gemeindewahlen werde Fokus wohl auch mit anderen Parteien gemeinsame Listen aufstellen. „Nicht nur wir haben Probleme, in jeder Gemeinde genügend Personen für eine Liste zu stellen“, meint Frank Engel. „Ich bin aber der Meinung, dass es einer Gemeinde auch dann besser geht, wenn diese nicht strikt nach Parteifarbe und -ideologie regiert wird.“
Eigenpositionierung der Partei
Noch während der Pressekonferenz philosophierte Frank Engel mit den anwesenden Journalisten dann auch über die Positionierung seiner neuen Partei gegenüber der Wählerschaft. „Wir sind zu spät in der Parteilandschaft aufgetaucht, um uns im ideologischen Spektrum klar positionieren zu können“, sagt Engel. In dem Sinne sei Fokus den Piraten nicht unähnlich. Auch wolle Fokus nicht unbedingt die „Letzeboia Droite“ vertreten, auch wenn da sozialpolitisch wohl einiges an Wählern „abzugrasen“ sei. „Wenn wir über Inhalte diskutieren, wollen wir diese auch nicht vor dem Hintergrund potenzieller Wählerschaften analysieren“, sagt Parteipräsident Marc Ruppert. „Die Frage ist – und das werden die nächsten Monate zeigen – ob eine solche Herangehensweise für eine politische Partei funktionieren kann.“
Auch dann werden die Reklamen der Piraten, wohl ein ganzes Jahr die Laternen verunzieren.