Deniz Ohde erzählt von einer Ehe zwischen einem deutschen Chemie-Arbeiter und einer türkischen Reinigungskraft, in der viel gestritten wird und vor allem die Wege vorgezeichnet scheinen. „So wenig wie möglich auffallen“ lautet die Devise, folglich nichts unternehmen. Da steckt viel Selbstzweifel drin, vor allem im Vater, der diesen auf die Tochter überträgt. Die Lehrer an der Schule schlagen in die gleiche Kerbe, sodass die Erzählerin irgendwann sagen kann: „Wieso hast du dich nicht gewehrt? Immer verzweifelter wurden ihre Stimmen, immer mehr Fragezeichen reihten sich aneinander, und ich wollte rufen, dass es von vornherein kein Ich gegeben hatte, das sich hätte wehren können, nichts war je von mir ausgegangen, alles ist immer nur auf mich eingefallen, ich habe in einer Grammatik gelebt, in der sich wehren, von vornherein nicht vorgesehen war.“ Und trotzdem verlässt sie den ausgetretenen Pfad, holt nach dem Schulabbruch das Abitur nach, studiert, trotzt den Zweifeln des Vaters, der ihr das alles nicht zutraut und unbewusst Bemerkungen macht, die ihr vermitteln, dass sie keine Chance hat. Am Ende des Romans flüchtet die Erzählerin mit einer Notlüge, sie habe ein Stellenangebot bekommen, aus der Wohnung, weil sie die Atmosphäre nicht mehr erträgt, und der Vater sagt zu ihr: „Wenn’s nichts wird, kommst wieder heim.“ Was im ersten Moment womöglich hoffnungsvoll klingt, birgt im Innern das alte zweifelnde Gift, dass jemand wie sie immer am Rande stehen wird und letztendlich scheitern muss.
Die 1988 in Frankfurt am Main geborene Autorin hat gleich in ihrem ersten Roman zu einer ungeheuer dichten Sprache gefunden, voller Details, die in der Trostlosigkeit viel Schönheit finden, indem die Beschreibungen jeder düsteren Ecke ihre Einmaligkeit zugestehen. Und so sind es auch die Sprache, der Mut zum Sprechen, die selbstsichere Findung des Ausdrucks, die am Ende das Buch nicht nur zu großartiger Literatur machen, sondern zugleich die Hoffnung auf Zukunft mitklingen lassen. Dieser Bildungsroman wird ohne Emotionen der Protagonistin erzählt, eher so, als registriere sie all die Kränkungen, den Rassismus, die Chancenlosigkeit nur wie die Pfütze am Straßenrand. Und es ist Deniz Ohde hoch anzurechnen, dass sie es schafft, durch diese scheinbare Emotionslosigkeit hindurch Leserin und Leser hochgradig emotional zu affizieren.
GuH
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