Gut ein Jahr ist es her, dass in der Chamber über die Petition 1638 debattiert wurde. 5.280 Menschen hatten das von vier Bürgern, darunter drei Nicht-Luxemburger, eingereichte Ersuchen zum Schutz des architektonischen Erbes des Großherzogtums unterschrieben. Die Petenten arbeiteten damals mit Beispielen, die belegten, wie Bauunternehmer das Erscheinungsbild unserer Städte und v.a. Dörfer verändern. Der Dorfkern, früher stets an der Kirche gelegen, sei vielerorts nicht mehr als solcher zu erkennen, argumentierten sie. Ihr Fazit: Nur durch den prinzipiellen Schutz aller vor 1955 errichteten Gebäude könne sich an der „Zerstörungswut“ etwas ändern. Damit forderten sie nicht, dass alles Alte erhalten bleibt, sondern eine simple Umkehr der Beweislast.
Genau ein solches Abrissmoratorium wurde vor rund einer Woche in Deutschland beim zuständigen Ministerium eingereicht. Mehr als 100 Persönlichkeiten unterstützen die Forderung, dass nicht der Erhalt von Gebäuden erklärungsbedürftig sei, sondern ihr Abriss. Wenn also ein Bauunternehmen ein altes Haus abreißen will, dann soll es das im Vorfeld rechtfertigen. Damit würde das Hauptproblem der Denkmalschützer gelöst, nämlich permanent und überall vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Das deutsche Moratorium argumentiert neben dem Erhalt des architektonischen Erbes mit dem Klimaschutz und der Energiekrise. Denn der Abriss von nicht abrissreifen Gebäuden ist eine Verschwendung von Ressourcen. Und ein Neubau kann nach Fertigstellung so klimaneutral sein, wie er will, Abriss und Bau belasten die CO2-Bilanz erheblich. Allein die Herstellung von Beton ist für acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Und die Wohnungsnot ist nicht nur entstanden, weil nicht genug gebaut wird, sondern v.a. dadurch, dass nicht konsequent saniert und umgenutzt wird.
Die Petition 1638 lief ins Leere, denn vor einem Jahr war das neue luxemburgische Denkmalschutzgesetz bereits auf dem Instanzenweg. Es trat im Februar 2022 in Kraft. Herzstück ist nicht die Umkehr der Beweislast, sondern eine konsequente Erfassung aller schützenswerten Gebäude des Landes, Gemeinde für Gemeinde. Bevor eine solche Inventur aber abgeschlossen ist, können Jahre vergehen, in denen das Land durch charakterlose (und hässliche) Neubauten oder Neubaugebiete verschandelt wird.
Wenn nicht der Erhalt, sondern der Abriss von Gebäuden erklärungsbedürftig ist, dann wäre es im Sommer vielleicht auch nicht zum Scharmützel zwischen Eschs Bürgermeister Georges Mischo und Patrick Sanavia, Direktor des „Institut national pour le patrimoine architectural“ (INPA), gekommen. Sanavia hatte sich auf RTL über den neuen allgemeinen Bebauungsplan (PAG) der Minettemetropole enttäuscht gezeigt, in dem lediglich 790 Gebäude als schützenswert gelistet sind, obwohl das INPA 2.500 aufgezählt hat. Auch die für den Denkmalschutz zuständige Ministerin Sam Tanson habe deswegen bei den Escher Gemeindeverantwortlichen vorgesprochen, ohne dass sich etwas geändert habe. Mischo verwies darauf, dass insgesamt 3.600 Gebäude in Esch geschützt seien. Nicht durch den PAG, sondern durch die gemeindeinterne Einteilung in sieben Schutzkategorien.
Einmal abgesehen von der Frage, wer nun recht und wer unrecht hat, sind solche Auseinandersetzungen kontraproduktiv. Und sie zeigen die Schwächen des neuen Denkmalschutzgesetzes schonungslos auf. Da wäre die Idee eines prinzipiellen Schutzes aller Gebäude von vor 1955 doch wesentlicher einfacher gewesen. Und man müsste den noch bis Sonntag laufenden „Journées du patrimoine“ nicht mit gemischten Gefühlen begegnen.
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