Mit dem Eintritt in den Zyklus 2 des Grundschulsystems beginnt für alle sechsjährigen Luxemburger Schüler auch der Eintritt in den „Ernst des schulischen Lebens“. Zu den täglichen Lernstunden in der Schule kommen Aufgaben hinzu, die häufig schriftlich im häuslichen Umfeld zu erledigen sind. Das Leben unserer Kinder verändert sich. Lernten sie in ihren bisherigen Jahren ihre Umwelt meist spielerisch, das heißt auch in Bewegung kennen, so beginnt nun ein Abschnitt, in dem Wissen im Klassen- oder Gruppenverband meist sitzend und konzentriert zuhörend erworben wird. Stundenpläne sehen Unterricht zwischen 8 und 12 Uhr vormittags und 14 bis 16 Uhr nachmittags vor. Nur einige Pausen erlauben ein Aufstehen und Bewegen. Gibt es Schulaufgaben, so sitzen die Kinder je nach ihren Fähigkeiten nochmals ein bis zwei Stunden am Tisch, um diese zu erledigen.
Doch was für ein Tisch soll es sein? Welche Bestuhlung wird benötigt?
Großeltern können heute noch von ihnen erzählen und in manchen Museen sind sie auch zu besichtigen: die Schulbänke. Fast monolithisch war eine solche Reihe miteinander verbunden – ein Sitzplatz, davor ein angeschrägtes Pult, an dessen oberem Ende eine Aussparung für Stifte sowie ein Loch für ein Tintenfässchen angebracht war. Immerhin hatten unsere Altvorderen bereits erkannt, dass es sich an einem schrägen Pult besser schrieb als auf einem ebenen Tisch. Die zumeist schönen Handschriften unserer Großeltern erinnern daran.
Auch die heutige Schulmöbelindustrie empfiehlt solche angeschrägten Tische. Die Hersteller berufen sich bei diesem Design auf die Expertenmeinung von Orthopäden.
Ergonomie heißt das Zauberwort
In der Tat stammt das Wort Orthopädie aus den griechischen Wörtern „ortho“ für „gerade“ und „aufrecht“ und „pädie“ für Kindererziehung. Als medizinischer Begriff wurde dies jedoch erst 1741 von Nicolas Andry de Boisregard geprägt. Der Pariser Kinderarzt verglich die Orthopädie mit der Arbeit eines Gärtners, der ein krumm gewachsenes Bäumchen mithilfe eine Pfahls in eine gerade Richtung „erzieht“.
Sehen Orthopäden von heute unsere Schulkinder an, so sehen sie hier oft schon die Patienten von morgen. Im kindlichen Körper wächst auch die Wirbelsäule noch. Und eine schlechte Haltung am Schultisch kann auch zu Veränderungen der Wirbel führen.
Um dem entgegenzuwirken, sollte ein Kinderschreibtisch um 15 Grad geneigt sein. Ein an einem solchen Tisch arbeitendes Kind muss den Kopf nicht so sehr nach vorn neigen und entlastet so nicht nur die Halswirbelsäule.
Der Markt bietet eine Reihe wissenschaftlich ausgetüftelter Tische an. Die Preisspanne ist dabei beträchtlich, sie liegt derzeit zwischen 200 und 500 Euro, wobei die Grenze nach oben offen scheint – Marktführer rufen schnell Preise bis über 1.500 Euro auf. Wer seinem Kind ein solches Möbel kaufen möchte, sollte auf jeden Fall darauf achten, dass der Tisch „mitwächst“. Die schönste schräge Tischplatte nutzt nichts, wenn lang aufgeschossene Schülerinnen oder Schüler sie mit den Knien „aushebeln“.
Ergänzend und eigentlich genauso wichtig ist ein ergonomisches Sitzmöbel. Hier empfehlen Orthopäden Stühle, deren Lehne gut am Rücken anliegen und so die Lendenwirbelsäule abstützen sollte. Moderne Stühle haben eine bewegliche Sitzfläche. Auf ihr sind die Schüler ständig, aber kaum merklich in Bewegung, wodurch die Muskulatur aktiviert und die Durchblutung angeregt wird. Starre Sitze ermöglichen dagegen nur eine Sitzhaltung: Das Becken kippt nach hinten ab und zieht die Wirbelsäule in eine sogenannte Rundrückenhaltung.
Mobil wichtiger als Möbel
Für Kinderschreibtische und -Schreibtischstühle gibt es einige Regeln, die Eltern beachten sollten: Die Tischplattenhöhe soll so angelegt sein, dass die Unterarme flach auf dem Tisch liegen können. Die Sitzhaltung ist dabei gerade, der Rücken wird von einer höhenverstellbaren Lehne unterstützt. Die Oberschenkel des Kindes liegen flach auf der Sitzfläche, mit den Unterschenkeln bilden sie einen rechten Winkel.
Sicher eine ergonomische Sitzhaltung, doch welches Kind sitzt schon so und macht in dieser Haltung seine Schulaufgaben?
Und ist es nicht vielmehr so, dass gerade Grundschüler ihre Arbeiten noch unter Aufsicht (meist) eines Elternteils erledigen? Dies findet dann doch eher in der Küche oder im Esszimmer statt. Zudem ist die Konzentration unserer Kleinen begrenzt und die Arbeit an den Hausaufgaben bedarf der Pausen.
Die sollten mit Bewegen, mit Sport und körperlichem Spiel gefüllt sein. Denn vor allem auch darauf machen Fachärzte aufmerksam: Unsere Kinder bewegen sich zu wenig. Die wachsenden Körper mit Muskel- und Skelettapparat werden nicht ausreichend trainiert. Der ständige Umgang mit Mobiltelefonen, Tablets, Spielkonsolen lässt die körperliche Entwicklung retardieren. Schon jetzt gibt es Krankheitsbilder wie Handynacken – degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule.
So wertvoll die Entwicklungen von speziellen Büromöbeln – und eben auch Kinderschreibtischen – sind, fehlt der nötige körperliche Ausgleich, sind spätere orthopädische Erkrankungen mit einhergehenden Schmerzen vorprogrammiert. So gesehen, erweisen wir unseren Kindern eher etwas Gutes, wenn wir sie in einem Sportverein anmelden, wo sie mit ihren Altersgefährten trainieren und sich fit halten können. Denn der etwas verkürzte Spruch des römischen Dichters Juvenal (um 100 n. Chr.) gilt auch heute noch: „Mens sana in corpore sano – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“.
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