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Lust zu lesen„Die Erwählten“: John McWhorter hinterfragt die teilweise giftige Antirassismus-Debatte

Lust zu lesen / „Die Erwählten“: John McWhorter hinterfragt die teilweise giftige Antirassismus-Debatte
John McWhorter Foto: Eileen Barroso

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Dass es Rassismus in unseren Gesellschaften gibt, wird kein vernünftiger Mensch leugnen. Aber muss man deshalb den eingeschlagenen Weg der radikalen Antirassismus-Bewegung gutheißen? Guy Helminger über das Buch von John McWhorter.

Für den schwarzen Linguisten John McWhorter läuft etwas gewaltig schief bei der Rassismusbekämpfung, denn die heutige Antirassismus-Bewegung hat in seinen Augen Züge einer neuen Religion, deren Grundsätze man nicht zu hinterfragen hat. Ihre Anhänger, die er „Erwählte“ nennt, verlangen Glauben, egal mit welcher Unlogik sie auch argumentieren. Sein Buch eröffnet er mit Fällen von Menschen, die ihre Arbeit verloren, weil sie in der Öffentlichkeit etwas sagten, was den fundamentalistischen Erwählten missfiel. So zum Beispiel die Dekanin für Pflegeberufe an der Universität von Massachusetts, die in einem besorgten Statement geschrieben hatte: „BLACK LIVES MATTER. Aber auch: EVERYONE’S LIFE MATTERS.“ Ihr wurde unterstellt, sie schreibe das, um das Los der Schwarzen zu relativieren. Nach einem Shitstorm musste sie gehen. Für McWhorter ist dies nicht nur das Verhalten eines wütenden Mobs, sondern veranlasst ihn auch zur Frage: Wer tut so etwas und warum? Seine Antwort kehrt immer wieder zum Begriff der Religion zurück, zu den Erwählten, die ihre einzige Daseinsberechtigung darin sehen, Rassismus aufzudecken und die rassistischen Ketzer dem Scheiterhaufen zuzuführen. Die Inquisition beansprucht die Deutungshoheit, darüber was richtig oder falsch ist und wer das anzweifelt, der hat sich schon des Rassismus schuldig gemacht.

Dabei hilft diese Theorie, alle Weißen seien Rassisten, weil Rassismus strukturell in unseren Gesellschaften verankert sei, den Schwarzen nicht im Geringsten, so McWhorter, im Gegenteil, infantilisiere sie schwarze Menschen zu ewigen Opfern, reduziere die Komplexität des Individuellen auf die Hautfarbe und führe alte künstlich ethnifizierte Kategorisierungen wieder ein.

John McWhorter<br />
„Die Erwählten – Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“,<br />
Hoffmann & Campe 2022,<br />
256 S., 23 Euro
John McWhorter
„Die Erwählten – Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“,
Hoffmann & Campe 2022,
256 S., 23 Euro c

„Die Erwählten“ ist mehr ein Essay denn eine wissenschaftliche Abhandlung, ein persönliches literarisches Aufbegehren, bei dem der Autor mit vielen erschreckenden Beispielen arbeitet und das hinterfragt, was mittlerweile den Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden und viele Institutionen und Universitäten im Würgegriff hat. Zumindest in den USA. Hier schreibt jemand, der die Gefahr von Auswüchsen erkennt und Angst davor hat, die eigenen Kinder an eine Ideologie zu verlieren, die genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie intendiert. Und er hat Lösungsansätze zu bieten, wie man einer verarmten schwarzen Bevölkerung helfen kann, ohne die Gesellschaft zu spalten.

Mit „Die Erwählten“ leistet John McWhorter bei aller Polemik einen notwendigen Diskussionsbeitrag zu einer teilweise vergifteten Debatte und plädiert dafür aufzubegehren, NEIN zu sagen, anstatt zu kuschen, wenn alles unterbunden werden soll, was den „Religiösen“ nicht in den Kram passt. Das gilt für Wissenschaft, für Kunst, für Funk und Fernsehen, für Politik, wie in allen anderen Lebensbereichen, damit die scheinbare Aufklärung nicht das Totalitäre schafft.