Headlines

Exklusiv-InterviewEnergieminister Claude Turmes über die derzeitige Krise: „Müssen als kleines Land vorsichtig sein“

Exklusiv-Interview / Energieminister Claude Turmes über die derzeitige Krise: „Müssen als kleines Land vorsichtig sein“
Energieminister Claude Turmes hat sich am Freitagnachmittag noch einmal exklusiv den Fragen des Tageblatt gestellt Foto: Editpress/Alain Rischard

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Nach der Pressekonferenz am Freitagnachmittag hat sich Energieminister Claude Turmes noch einem Exklusiv-Interview des Tageblatt gestellt – und Details zu eventuellen Eingriffen in den Markt und die Versorgungssicherheit geliefert.

Tageblatt: Sie haben vorhin angedeutet, dass Luxemburgs Gasspeicher gefüllt sind. Diese befinden sich jedoch außerhalb des Luxemburger Territoriums. Kann Luxemburg sicher sein, dass das Gas auch in Extremsituationen noch zugänglich sein wird – und nicht wie während der Corona-Pandemie die Grenzen geschlossen und damit auch die Gaszufuhr gekappt wird?

Claude Turmes: Es gibt ein Memorandum of Understanding zwischen Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Österreich und den Beneluxländern. Dieses besagt, dass die Gaszufuhr gesichert bleibt – und das hat Bestand. Eine rein nationale Politik bringt uns in der Krise nicht weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass Luxemburg in Schwierigkeiten gerät, wenn zum Beispiel Deutschland zu wenig Gas hätte, sind jedoch gering, da wir am belgischen Netz hängen. Wir sind zudem ein Land, das den Großteil seines Stromes importiert – da sollten wir doch eher vorsichtig sein.

Sie haben in einem vorigen Interview mit RTL gesagt, dass die Strompreise bis zum 1. Januar 2023 stabil bleiben werden. Was passiert danach? Gibt es da schon erste Einschätzungen?

Nein, das ist derzeit unmöglich vorherzusagen. Wir haben nächste Woche ein Treffen mit Strom- und Gasverkäufern, wo wir genau diesen Punkt ansprechen werden. Im Fall extremer Preiserhöhungen haben wir in Luxemburg eine Schnittstelle zwischen Anbietern und Sozialämtern. Ich werde mich auch hier noch kurzfristig mit den Vertretern der Sozialämter treffen. Wir werden diesen Winter wohl einige über dieses System auffangen müssen, damit denen nicht aus finanzieller Not der Strom abgeschaltet wird. Das will ich an dieser Stelle noch einmal betonen.

Auch Energieunternehmen haben derzeit Probleme, in anderen Ländern werden bereits erste Rettungspakete geschnürt. Sie haben auf der Pressekonferenz einen Notmechanismus erwähnt. Wie sieht der konkret aus?

Wir haben auf der letzten Tripartite einen Rettungsschirm von 500 Millionen Euro für Unternehmen bereitgestellt, die aufgrund der Energiekrise in Schwierigkeiten geraten. Wir werden entweder auf diesen Rettungsfonds oder aber auf einen ähnlichen Mechanismus zurückgreifen.

Reichen 500 Millionen Euro ersten Einschätzungen zufolge?

Ja, 500 Millionen Euro sind schon eine ganze Menge Geld. Wir werden jedoch verfolgen, wer diese Hilfen in Anspruch nehmen müssen wird.

Ein Eingriff in den Energiemarkt wird nicht mehr ausgeschlossen. Auf EU-Ebene werden mehrere Modelle diskutiert. Wie sehen diese aus? Wird das Merit-Order-Prinzip infrage gestellt?

Wir befinden uns in einer komplett anormalen Kriegssituation. Ein Modell, das derzeit diskutiert wird, ist das, was in Spanien bereits ausprobiert wurde: Die Regierung hat ein Gaspreisdeckel beschlossen und dem Gaskraftwerkbetreiber die Differenz zum Marktpreis bezahlt. Das hat allerdings dazu geführt, dass der gesamte Strom nach Frankreich exportiert wurde – die verschiedenen Leitungen waren teilweise komplett ausgelastet. Daraufhin hat Spanien den Export nach Frankreich komplett eingestellt. Ein anderes Modell orientiert sich eher an Deutschland, wo die Gewinne der Stromproduzenten abgeschöpft werden. Ich gebe ein Beispiel: ein Windkraftwerkt produziert eine Einheit Strom für 70 Euro. Der Marktpreis liegt jedoch bei 200 Euro. In dem Fall erhält der Produzent 80 Euro – der Rest kommt in einen großen Topf, der an die restlichen Stromverkäufer verteilt wird. Man muss sich immer über die Konsequenzen eines Eingriffes bewusst sein. Wenn wir also ein Instrument für den europäischen Strommarkt einführen – zu dem übrigens auch die Ukraine gehört – darf das nicht dazu führen, dass der Stromfluss in eine Region komplett versiegt. Damit würden wir den großen Vorteil, den ein solch großer Strommarkt bietet, komplett verspielen.

Das Merit-Order-Prinzip

Als Merit-Order bezeichnet man Einsatzreihenfolgen von Kraftwerken. Diese werden durch die Grenzkosten der Stromerzeugung bestimmt. Beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten werden so lange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. (Quelle: Wikipedia.de)

Sie reden viel über europäische Vernetzung – eine autarke Versorgung steht also nicht zur Diskussion?

Autarkie ist teuer – teurer, als wenn man Teil eines Marktes ist. Trotzdem sollten wir möglichst viel produzieren. Für private Haushalte und kleinere und mittlere Unternehmen wird es ja auch immer interessanter, Strom selbst zu produzieren und zu nutzen. Dennoch sollten wir unsere Infrastruktur nicht so auslegen, dass private Solaranlagen nicht mehr ans Stromnetz angebunden werden. Auch wir werden die erneuerbaren Energien in Luxemburg weiterhin massiv ausbauen.

In Luxemburg gibt es den Integrierten nationalen Energie- und Klimaplan für die Jahre 2021 bis 2030. Dieser wurde 2018 verfasst und gibt Luxemburgs Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien aus. Wird dieser aufgrund der derzeitigen Krisensituation und der offenkundigen Abhängigkeit von Russland noch einmal angepasst?

Wir stehen in Gesprächen mit Umweltministerin Joëlle Welfring. Wir werden über unsere Klimaambitionen hinaus gehen müssen. Bei der Windenergie kommen wir gut voran und werden unsere Ziele für 2030 schon 2025 erreichen. 2021 haben wir 15-mal soviel Leistungspotenzial in der Solarenergie hinzugewonnen wie zwischen 2005 und 2013 insgesamt. Auch da halten wir am weiteren Ausbau fest, werden die Ziele aber vielleicht noch weiter in die Höhe schrauben.

Bux /
5. September 2022 - 12.05

@ carlocoin.... wo bitte ist Luxemburg bei der Stromversorgung Vorreiter? Das Land produziert gerade mal 20% seines Strombedarfs selbst und davon sind gerade mal 20 % erneuerbar! Ich würde eher behaupten, Luxemburg steht, was die eigene Infrastruktur der Energieversorgung betrifft, noch ganz weit hinten . Luxemburg profitiert enorm davon, dass die umliegenden Länder eine Infrastruktur aufbauten und unterhalten und den Strom günstig weitergeben.

Claude Ingenius
4. September 2022 - 18.52

Hoffentlich werden wir in diesem dunklen Winter viele Sonnenschein Stunden haben, damit die Fotovoltaikanlagen viel Strom produzieren können, um den Strombedarf der vielen Wärmepumpen und der inzwischen ausverkauften Heizlüfter zu befriedigen.

carlocoin
4. September 2022 - 11.37

Ja, Herr Turmes
Wir müssen als kleines Land vorsichtig sein.
ABER, wir müssen unbedingt Vorreiter sein, oder?

jojoschmi66
4. September 2022 - 11.09

Aber er fuchtelt mit den Händen wie ein bedrängter Enterich mit den Flügeln......

Filet de Boeuf
4. September 2022 - 0.26

Solaranlagen sollten enorm gefördert werden (die Technik hat Europa ja schon an China verkauft). Ausserdem sollte Strom weiterhin ins Netz eingespeist werden können, damit Enovos den Strom irgendwie speichern und beliebig verteilen kann. Es fehlen nur Reglementierungen damit man sich mit Solarenergie nicht bereichern kann. Sonst verkauft jeder Bauer und jeder Grundstückbesitzer seine Kühe und installiert Solaranlagen. Fragt kompetente soziale Juristen, dann klappt das.

ben23457
3. September 2022 - 23.53

Auch als kleines Land kann man aber große Wirkung entfalten.
Bitte die openpetition 'Stop delivery of arms - Keep the EU a peace project!' bzw. "
#PvdLsSdW:Präsidentin v. d. Leyen stoppen Sie die Waffenlieferungen - EU als Friedensprojekt wahren! "
weiterempfehlen. Danke.
Wir wollen ein Ende des Arms race.

GeTee
3. September 2022 - 18.15

Jeder der diesen vermeintlich alleswissenden Päbsten der grünen Religion glaubt ist genauso naïv wie jene die glauben daß vor über 2000 Jahren jemand von den Toten auferstanden ist.
Glaube macht blind !!!!!

Téit
3. September 2022 - 17.06

Alles was dieser Grüne sagt oder versucht zu machen ist ungereimt und widersprüchlig.

jo
3. September 2022 - 12.47

Wie immer viel warme Luft und nichts Konkretes (das generelle Mantra der Grünspechte).
WESHALB NICHT JETZT DRINGEND NATIONALE GASPEICHER ERRICHTEN?
In meiner Sraße möchte jeder zweite Haushalt Solaranlagen errichten. Nur finden sie keinen Betrieb zur Realisierung. Da hat sich der Energieminister aber gewaltig vertan!
Grünes Wunschdenken, wie gehabt!