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Klassik: Alain spannt den Bogen – zu Rosa Hasen, Wassermusiken und Zeitreisenden

Klassik: Alain spannt den Bogen – zu Rosa Hasen, Wassermusiken und Zeitreisenden

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Während Louisa Marxen Duracell-Hasen präsentierte, ging es beim Gewandhausorchester Leipzig unter seinem neuen Chefdirigenten Andris Nelsons sehr klassisch zu. Die Filarmonica della Scala nahm die Zuhörer mit auf eine Zeitreise.

 

Ouvertüre: Aus dem Dunkel rollt ein kleiner rosa Duracell-Trommelhase ins Scheinwerferlicht und trommelt ein Solo. Nach diesem ungemein originellen Auftakt beginnt dann das eigentliche Solo-Konzert (Aufführungen am 25. und 26. Januar), oder sagen wir besser, die Performance der luxemburgischen Schlagzeugerin Louisa Marxen im TNL.

 

Louisa Marxen, die in Basel lebt und arbeitet, hat für dieses Projekt vier Komponistinnen gebeten, je ein Stück für sie zu schreiben. Nachdem der Hase wieder abgerollt und im Dunkel verschwunden ist, beginnt Marxen mit „Shong“, einem Werk für Trommel von Fritz Hauser (*1953). Bei „Shong“, einer Wortkreuzung aus „Sheep“ und „Song“, vermischt der Komponist den luxemburgischen Hämmelsmarsch mit einem Kinderlied.

Gemischtes dann auch bei Iñigo Giner Mirandas „Trajectory Studies“ für Schlagzeug und LED-Lichter, wo die Komponistin eine Hybridform zwischen Musikstück, Puppentheater und Händetanz kreiert. Es ist eine Freude, Louisa Marxen zuzuhören, die mit ihrem ganzen Können und viel Engagement diese gesamte TNL-Performance gestaltet. Bei Mike Svobodas „Cartesian Rainbow“ kommen Säge, Hammer und Kastanienholzstämme zum Einsatz, während Carola Bauckholt mit ihren Vakuum-Liedern für Staubsauger-Solo die vielleicht ungewöhnlichste und auch lustigste Komposition beisteuert.

Obwohl der TNL-Saal für eine solche Produktion akustisch viel zu trocken ist und kaum Schwingungen zulässt, war Louisa Marxens Spiel exzellent. Vor allem beeindruckte die Perkussionistin mit unendlichen vielen Nuancen und Farben, selbst an Stellen, wo man diese nicht vermuten würde. Fazit: Es war ein gut getimter, experimenteller und sehr inspirierender Abend mit einer gut aufgelegten Künstlerin und außergewöhnlichen Kompositionen und einer herrlichen Hasen-Idee. Apropos Duracell-Hase: Louisa Marxens Ehemann hatte den rosa Hasen für dieses Projekt aufgepimpt und neu programmiert.

Weniger experimentell und weitaus klassischer ging es bei dem ersten Konzert unserer Konzertwoche zu:

Das Gewandhausorchester Leipzig spielte unter seinem neuen Chefdirigenten Andris Nelsons die Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy sowie das Klavierkonzert und die dritte Symphonie „Rheinische“ von Robert Schumann. Die Solistin war Hélène Grimaud. Wie erwartet war es ein glanzvoller Konzertabend, dem allerdings das Aha-Erlebnis fehlte.

Nach einer wunderbar stimmungsvoll interpretierten Mendelssohn-Ouvertüre ließ uns die Interpretation des Klavierkonzerts etwas im Trockenen. Obwohl man keine Routine spürte, fehlte der Interpretation insbesondere auf orchestraler Ebene irgendwie der letzte Schliff. Hélène Grimaud spielte wie immer hervorragend, ihre Phrasierungskunst und musikalische Auslotung haben sogar noch an Nuancenreichtum gewonnen, persönlich ziehe ich allerdings bei diesem Konzert Grimauds fast Debussy-artigem Feinschliff eine etwas klang- und spielintensivere Interpretation vor.

Das Zusammenspiel zwischen der Pianistin und Nelsons war erstaunlicherweise nicht immer optimal und z.T. mit zögernden Einsätzen versehen. Klassisch schön dann die „Rheinische“ von Schumann, bei der Nelsons das herrlich aufspielende Gewandhausorchester zu einer vollsymphonischen und somit klangprächtigen Interpretation beflügelte.

Klangopulenz mit der Filarmonica della Scala

Zu den besonderen Lieblingen des einheimischen Publikums gehört Jordi Savall. Seine konzeptuell ausgereiften und pädagogisch wertvollen Programme bieten jedes Mal eine wahre musikalische Entdeckungsreise.

Savalls Zeitreise führte uns diesmal in die Zeit Kaisers Karl V. und stellte uns Kompositionen von Ludwig Senfl, Carlo Veradi, Josquin des Préz, Mateao Flecha dem Älteren, Cristobal de Morales u.a. aus der Zeit von 1460-1558 vor. Jordi Savall hatte die Werke dramaturgisch gegliedert, so dass sie verschiedene historische Ereignisse wie Geburt, Krönung, Heirat und Tod Karls V., aber auch die Vertreibung der Juden 1492 oder die Schlacht von Mühlberg 1547 thematisierten.

Musikalisch war dieses Konzert ein reines Vergnügen: La Capella Reial de Catalunya und Hesperion XXI sangen und spielten mit einer atemberaubenden Schönheit und Präzision. Ein Konzert, bei dem jeder im Saal den Atem anhielt.

Schostakowitschs 1. Violinkonzert und das Konzert für Orchester von Bela Bartok sind eigentlich keine Werke, die man sich von der Filarmonica della Scala erwartet. Doch Riccardo Chailly hat schon oft bewiesen, dass er ein exzellenter Dirigent für die Musik des 20. Jahrhunderts ist. Und so beeindruckte der italienische Maestro und Chefdirigent der Mailänder Scala mit zwei ausgewogenen Interpretationen.

CD-TIPP 1

R. Schumann : Konzert für Klavier und Orchester (+ Werke von C. Schumann & J. Brahms); Hélène Grimaud, Klavier, Staatskapelle Dresden, Esa-Pekka Salonen; 1 CD DGG4775892 (79’13).

Grimauds feingliederige Interpretation findet in Esa-Pekka Dalonen und der Staatskapelle Dresden ideale Partner. Zusammen zeigen sie einen „etwas anderen“ Schumann: impressionistischer, dezenter und farbiger.

CD-TIPP 2

B. Bartok: Konzert für Orchester; Chicago Symphony Orchestra, Fritz Reiner; 1 CD RVA VICTOR LSC 1934 (37’21).

Diese rhythmisch akzentuierte, enorm dynamische und klanglich hervorragende Einspielung aus dem Jahr 1955 hat bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Sie ist eine der ganz großen Aufnahmen der Schallplattengeschichte!

 

Wie schön dieses Orchester begleiten kann und wie sanft es einen Solisten tragen kann, bewies es bei Schostakowitschs Violinkonzert. Chailly hielt seine Musiker zurück und legte dem Solisten Maxim Vengerov einen wunderbaren, samtenen und dunkel timbrierten Klangteppich aus. Vengerov vermied in seiner Interpretation Ecken und Kanten; anstelle eines akzentreichen und geschärften Spiels zog er eine sehr lyrische und gefühlsintensive Interpretation vor, die von den weichen Streichern, den warmen Holzbläsern und dem runden Blechklang der Filarmonica bestens unterstützt wurde.

Ähnliche Vorgehensweise dann auch bei Bartoks fünfsätzigem Konzert, bei dem Chailly jedem einzelnen Satz einen individuellen Charakter abgewinnen konnte. Auch hier begeisterte die Filarmonica della Scala durch ein klang opulentes und sehr präzises Spiel. Sowohl Venegerov wie auch das Orchester bedankten sich beim begeisterten Publikum mit je einer Zugabe.

Vengerov spielte eine wunderschöne „Sarabande“ von Bach und die Filarmonica unter dem gut gelaunten Riccardo Chailly – Scala oblige – die „Semiramide“-Ouvertüre von Rossini.