Headlines

Vor 20 Jahren Sonnenfeuer entfacht

Vor 20 Jahren Sonnenfeuer entfacht

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Kernfusion nach dem Vorbild der Sonne verspricht fast unerschöpflich viel Energie. Vor 20 Jahren wurde das Sonnenfeuer erstmals kontrolliert auf der Erde entfacht. Einsatzreif ist die Technik aber noch lange nicht.

Die wichtigste Energiequelle der Menschheit ist die Atomkraft: Die Sonne ist ein gigantischer Kernreaktor, ohne den es kein Leben auf der Erde gäbe. Mit der kontrollierten Kernfusion nach dem Vorbild der Sonne möchten Wissenschaftler eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle erschließen. Vor 20 Jahren, am 9. November 1991, gelang es am europäischen Experimentalreaktor JET («Joint European Torus») im englischen Abingdon weltweit erstmals, das Sonnenfeuer zu entfachen und Fusionsenergie freizusetzen.

Zwei Liter Wasser und ein halbes Pfund Gestein enthalten im Prinzip den Rohstoff für den jährlichen Stromverbrauch einer ganzen Familie. Allerdings ist diese Energie nicht ohne weiteres zugänglich. Fusionskraftwerke sollen diese Quelle anzapfen, indem sie die beiden schweren Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium zum Edelgas Helium verschmelzen. Deuterium lässt sich einfach aus Wasser gewinnen, Tritium können die Reaktoren aus dem Leichtmetall Lithium erbrüten, dass sich in Gestein findet.

Energie aus der Hölle

Um das Sonnenfeuer in einem Reaktor aufrechtzuerhalten, sind sozusagen höllische Bedingungen nötig: Der gasförmige Brennstoff muss auf rund 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden – das ist fast zehnmal heißer als im Zentrum der Sonne. Das heiße Plasma muss von gigantischen Magnetfeldern berührungslos in der Brennkammer eingeschlossen werden. Würde es die Reaktorinnenwand berühren, würde es sofort abkühlen und die Fusion unmöglich machen, wie das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) erläutert.

Für die Praxis taugt die Technik bisher noch nicht: Nur rund zwei Sekunden brannte das Sonnenfeuer 1991 in JET. Die freigesetzte Fusionsleistung lag bei knapp 2 Megawatt – nicht einmal ein Zehntel dessen, was für die Aufheizung des Plasmas hineingesteckt worden war. Sechs Jahre später erzielte JET den bis heute gültigen Weltrekord für Fusionsreaktoren und holte mit 16 Megawatt immerhin zwei Drittel der eingesetzten Leistung zurück.

Stichdatum 2025

Für eine positive Energiebilanz ist JET jedoch zu klein. Die soll bis 2025 der zehnmal größere Testreaktor ITER liefern, der zurzeit im französischen Cadarache gebaut wird. Das Gemeinschaftsprojekt von EU, Japan, Russland, USA, China, Südkorea und Indien soll mindestens zehnmal so viel Energie gewinnen wie für die Zündung der Fusion nötig ist.

Nach Ansicht ihrer Befürworter könnte die Kernfusion einmal die Rolle heutiger Kernspaltungskraftwerke übernehmen. «Die Fusion hat alle Vorteile des Atomstroms und sehr viel weniger Nachteile», ist etwa ITER-Vizedirektor Remmelt Haange überzeugt. So ist der Fusionsbrennstoff im Gegensatz zum Uran für die Kernspaltung billig und überall verfügbar, es gibt keine Abhängigkeit von einzelnen Erzeugern. Zudem entsteht weniger und kurzlebigere Radioaktivität als bei der Kernspaltung, Endlager sind nicht nötig. Außerdem entstehen im Betrieb keine Treibhausgase, und eine Kernschmelze ist ausgeschlossen, weil das dünne Plasma sofort abkühlt und erlischt.

Kosten: 16 Milliarden Euro

Kritiker zweifeln dennoch, ob sich der Aufwand lohnt. So haben sich allein die Kosten für ITER von anfänglich rund 5 Milliarden Euro auf inzwischen 16 Milliarden mehr als verdreifacht – und die Technik ist Jahrzehnte von der Anwendung entfernt. «Bei der Kernfusion ist nicht vor 2050 mit einer wirtschaftlichen Option zu rechnen», betont der Atomenergieexperte der Umweltorganisation Greenpeace, Heinz Smital. «Bis dahin hätten unsere Konzepte die gesamte weltweite Stromerzeugung auf erneuerbare Quellen umgestellt.»

ITER-Vizechef Haange will einen vernünftigen Energiemix für die Zukunft. Auch er sieht die Fusion nicht als Generallösung. «Aber man muss sich doch überlegen, ob man nicht eine Energiequelle anzapfen will, deren Brennstoff überall auf der Welt reichlich vorhanden ist.»