Nebenwirkungen hat diese Art der Vorsorge nicht – es sei denn, man rennt jeden Tag einen Marathon. Dieses Problem haben allerdings die wenigsten. Meist ist es der Alltag, der dazwischenkommt, wenn man sich fest vorgenommen hat, an diesem Morgen laufen zu gehen. Freizeitläufer und Buchautor Achim Achilles kennt dieses Problem nur allzu gut. Er hat aber einen Weg gefunden, sein «mentales Haustier», wie er den Schweinehund nennt, in Schach zu halten. Wie er das macht, verrät er im Interview.
Frage: Sie fallen aus dem Bett und laufen direkt los – auch, wenn es regnet, und sogar im Winter. Wie überwinden Sie sich?
Antwort: Konfuzius sagt: Gegner, die du nicht besiegen kannst, sollst du dir zum Freund machen. Genauso halte ich es mit meinem mentalen Haustier. Der Schweinhund sagt: zu kalt, zu nass, zu müde. Und ich antworte: Danke, mein Freund, das sind viele gute Gründe, um erst recht loszulaufen. Wenn ich nach Hause komme, weiß ich den Wert dieser Freundschaft wieder mal zu schätzen. Denn hinterher geht es mir immer besser. Das Gefühl, sich überwunden zu haben, ist tausendmal wertvoller als das Kneifen plus schlechtes Gewissen.
In Ihrem neuen Buch «Sehnen lügen nicht» teilen Sie die Menschen in zwei Kategorien ein – Läufer und Nicht-Läufer. Wie schafft man den Übergang?
Die meisten Nicht-Läufer fürchten sich vor der Atemnot, der roten Birne, dem Eingeständnis, dass die letzten 20 Jahre nicht gerade gesundheitsfördernd gelebt wurde. Diese ganzen düsteren Gedanken müssen weg. Der Trick: statt der ewigen Selbstvorwürfe und Schmerzensängste die Aufmerksamkeit auf andere Sachen lenken – den Wald im Frühling, eine Stunde ohne Facebook-Nerv, ein gutes Gespräch mit einem netten Menschen. Eine bessere Burn-out-Vorsorge gibt es nicht. Die Kilometer kommen dann von ganz allein.
Wer sich vornimmt, laufen zu gehen, kauft heute gern als erstes eine Pulsuhr. Sie sind ein Freund des richtigen Equipments, warnen aber vor zu viel Kontrolle. Was denn nun?
Pulsuhren sind wie Rotwein: in maßvoller Dosierung sehr angenehm, in Unmengen eher ungesund. Wenn ich meine Standardstrecke zwei Minuten schneller absolviert habe, dann freue ich mich. Wenn die Uhr meldet: «Du hast dein Ziel erreicht», weil ich meine Tagesleistung geschafft habe, dann heule ich vor Glück. Und wenn da steht, dass ich 800 Kalorien verbrannt habe, weiß ich, dass ich Currywurst mit Pommes ohne Reue genießen kann.
Wenn ich aber zum Sklaven von Zahlen, Daten, Werten werde und meine Mitmenschen auch noch damit terrorisiere, dann handelt es sich um eine Verhaltensauffälligkeit, die nur Psychologen behandeln können.
Es soll ja Menschen geben, die noch während sie auf dem Laufband stehen, twittern, dass sie gerade laufen. Machen diese Leute Sport aus den falschen Gründen?
Die Schwelle zum Irrsinn ist überschritten, wenn Sport oder vermeintliche Gesundheit zu einer Religion geworden ist und Menschen sich für Versager halten, weil sie nicht 24/7 vegan, antioxidantisch, fitnessorientiert und madonna-haft an sich gearbeitet haben. «Healthism» nennen Experten diesen Wahn, der pathologische Züge annimmt, wenn es sich gleich anfühlt, ob man ein Wurstbrot vor den Mund hält oder eine Pistole an die Schläfe. Alles, was mit Druck, Zwang und schlechtem Gewissen zu tun hat, konterkariert den Kerngedanken des Breitensports, nämlich Freude und Erfüllung.
Wer momentan fastet, nimmt sich vielleicht auch vor, mehr Sport zu machen. Sind solche Vorsätze sinnvoll?
Warum schmieden wir zu Silvester oder am Aschermittwoch immer wieder tolle Pläne? Weil es im vergangenen Jahr nicht funktioniert hat. Meistens ist im guten Vorsatz das Scheitern schon eingebaut. Das führt zu einem mentalen Jo-Jo-Effekt: Nächstes Mal nehme ich mir noch mehr vor, scheitere noch krachender und habe noch schlechtere Laune. Wer sein Leben einigermaßen in Balance hält, der braucht keine guten Vorsätze. Insofern ein klares Plädoyer für Vorsatz-Fasten.
In Ihrem neuen Buch raten Sie zum Kalorien-Koalitionsvertrag. Was bitte ist das?
Ganz einfach: Wenn es am Abend mal wieder richtig lange und richtig nett war mit den Freunden und dem Essen und dem Wein, dann präsentiert sich der nächste Morgen aus mehreren Gründen meist qualvoll. Wer jetzt losrennt und die aufgenommenen Kalorien tapfer verbrennt, fühlt sich hinterher wie nach einer Beichte: erleichtert, gereinigt – Katharsis pur.
Ihr Buch eignet sich auch als Beziehungsratgeber für Läufer-Nichtläufer-Paare. Wie hält man es mit einem Läufer aus?
Geduld, Verständnis, Verzeihen ist nie verkehrt. Meine Frau Mona hat sich Jahre lang geweigert zu laufen, aus Prinzip, weil ich es tat. Dafür habe ich ihre Yoga-Verrenkungen verspottet, aus Prinzip, weil sie es tat. Dann kam der Strategiewechsel, wahrscheinlich wegen der Midlife Crisis: Ich bin zum Yoga mitgedackelt, sie kam wenig später mit in den Wald. Das Doppelwunder: Uns hat es beiden gefallen, was der andere macht.
Schlimmer ist es, wenn beide Partner laufen. Urlaub, Freizeit, jede Sekunde wird über nichts anderes geredet. Sex geht auch nicht mehr, weil Männer dadurch schlapper werden, Frauen dagegen angeblich gepusht. Das nennt man wohl Zielkonflikt. Manchmal hilft der Hinweis, dass ein solide ausgeführter Beischlaf etwa einem 5000-Meter-Rennen entspricht. Besonders dramatisch ist die Beziehungs-Olympiade: Wer ist besser? Manche dieser Partnerschaften halten ewig, andere nur so lange, bis die Frau schneller ist als der Mann.
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