Ohne Mega-Schwitzen geht’s nicht: Das größte religiöse Bauwerk der Welt im Dschungel von Kambodscha zu erkunden, ist nichts für hitzeempfindliche Reisegruppen. Das Ausmaß der gigantischen Anlagen von Angkor Wat und Umgebung verlangt immer wieder lange Fußmärsche, und das bei 40 Grad und Luftfeuchtigkeit wie in der Sauna. Was sich dann offenbart, ist aber einzigartig: Die monumentalen Sandsteinbauten, die filigranen Reliefs, und immer wieder die Würgefeigen: Wie riesige Schlingpflanzen vereinnahmen sie meterhohe Mauern und Gebäude. Wie in einem Märchenwald.
Dass in diesem erbarmungslosen Dschungel zur Hoch-Zeit der Khmer-Kultur vor mehr als 800 Jahren hunderttausende Menschen lebten, ist ohnehin schon kaum vorstellbar. Doch was der Archäologe Damian Evans dort jetzt mit Hilfe von modernen Lasermessungen (Lidar) jetzt sichtbar gemacht hat, sprengt alle bisherigen Vorstellungen. Man wusste schon, dass rund um das Zentrum Angkor Wat einst ganze Siedlungen mit ausgeklügeltem Bewässerungssystem gestanden haben. Aber die Ausmaße sind weitaus größer als gedacht.
«Es ist verblüffend»
«Es ist wahrlich verblüffend», sagt einer der renommiertesten Archäologen für Südostasien, Charles Higham von der Universität Otago in Neuseeland. «Diese Ergebnisse haben unser Wissen über die Angkor-Kulturlandschaft enorm bereichert. Nun wissen wir, was zwischen den Tempeln und den umliegenden Wassergräben lag, wie die Straßen verliefen, Kanäle, und wie weit die Erdwälle gingen, die uns bis heute ein Rätsel sind.»
Wo mit dem nackten Auge nur die steinernen Sakralbauten zu sehen sind, enthüllt Evans mit der Lasermessung plötzlich das Drumherum, Gräben, Teiche, Aufschüttungen: «Es ist, als hätte man von einer europäischen Stadt zuerst nur die Standorte der Kirchen und dann plötzlich den ganzen Stadtplan», schreibt er. Übrig geblieben ist nichts. Die Hütten waren aus Holz, Lehm und Stroh und sind zerfallen.
Eine Art Umgehungsstraße
Die ersten Messungen 2012 waren schon spektakulär, aber nun hat er in einem weitaus größeren Areal neue Facetten entdeckt. «Man dachte bislang: Alle Wege führen nach Angkor Wat», schreibt Evans. Nun habe er aber so etwas wie eine «Umgehungsstraße» entdeckt.
«Bislang beruhte unsere Kenntnis der Geschichte auf Interpretationen von Stein-Inschriften, die Angkors Eliten hinterlassen haben», sagt der Archäologe Martin Polkinghorne von der Flinders-Universität in Australien. «Mit diesen Messungen wird unser Wissen deutlich angereichert.» Eine Theorie war bislang, dass die Menschen vor einer Invasion aus dem heutigen Thailand Richtung Süden flohen. «Diese Daten legen aber nahe, dass dort niemals so viele Menschen lebten wie in Angkor», sagt Polkinghorne. «Jetzt können wir damit anfangen, das Ende des Angkor-Reichs präziser zu datieren.»
«Vieles muss neu durchdacht werden»
Der Stadtplan, den Evans enthüllt, erinnert an eine moderne US-Stadt, mit schnurgeraden Straßen. Während Europa das Mittelalter durchlebte, haben die Menschen in den heißen, schwülen, teils trockenen oder von Monsunregen überschwemmten Dschungel eine Mega-City gesetzt, deutlich größer als Berlin. Das Ausmaß der Strukturen legt nahe: dies war ein einzigartiger Ballungsraum für die prä-industrielle Welt, womöglich das größte Reich auf Erden im 12. und 13. Jahrhundert. Die Hütten um die Tempel waren aus Holz und Lehm, davon ist nichts geblieben.
«Ja, vieles muss neu durchdacht werden», sagt Andreas Reinecke von der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen in Bonn. Er verweist aber darauf, dass die Messungen zwar versteckte Strukturen deutlich machen, nicht aber deren Alter. «Es bedarf sicherlich vieler spannender Feldforschungsjahre, bis man Genaueres über Datierung und Ursachen für den sehr unterschiedlichen Grad der Zerstörung vieler Komplexe weiß», meint er.
Nicht nachhaltig genug
Das Angkor-Reich mutet in seinen urbanen Strukturen nicht nur sehr modern an, sondern hat nach Überzeugung von Evans auch eine Lehre für die heutige Gesellschaft parat: Massive Entwaldung, massive Eingriffe in die Natur mit komplexen Bewässerungskanälen und die immer größer werdende Stadt seien letztlich nicht nachhaltig gewesen. Das habe in Zeiten von Klimaänderungen mit anhaltenden Dürren im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert wahrscheinlich zu seinem Untergang beigetragen.
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