Als Sexualpsychologin in Indonesien hat Zoya Amirin alle erdenklichen Märchen schon einmal gehört: Nichtbeschnittene Frauen sollen mannstoll werden, Nelkenzigaretten die Manneskraft steigern oder Gecko-Spucke soll Aids kurieren. Solcher Unfug kann Beziehungen und gar Menschenleben zerstören. Deshalb tritt sie ihm in einem wöchentlichen Podcast unter dem Titel «Im Bett mit Zoya» entgegen. Amirin ist die einzige Frau in ihrem Beruf im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Erde. Sie will offen über Sex sprechen und aufklären.
«Die Menschen hier glauben tatsächlich solche Märchen, das ist für mich die grösste Herausforderung», sagt sie. Ihre Sendung wolle sie so cool wie möglich gestalten, damit sich die Zuschauer nicht von oben herab belehrt fühlten. «Es ist Zeit, dass wir mit unserer Sexualität normal umgehen und ein mündiges Verständnis entwickeln.»
Ihre Arbeit ist Anzeichen dafür, dass sich in Indonesien einiges ändert. Die Gesellschaft des 240 Millionen Einwohner zählenden Landes ist überwiegend konservativ. Auch was Zwischenmenschliches angeht. Das soll auch so bleiben, wenn es nach den Politikern des alten Schlages geht. Dennoch entwickelt sich, teils auch aufgrund des steigenden Wohlstands und wachsender Selbstständigkeit berufstätiger junger Frauen, eine freizügigere Auffassung von Sexualität.
Ahnungslose Jugendliche
Fast 40 Prozent der Teenager hatten einer Umfrage zufolge bereits Sexualkontakte. Auch hat das Internet den Zugang zu einem Thema erleichtert, das in den Schulen lange tabu war. Den Begriff «Kondom» zu erwähnen, konnte einen Lehrer schon den Job kosten. «Das Tabu betrifft nicht den Sex, sondern den öffentlichen und offenen Umgang damit», erklärt die Soziologin Julia Suryakusuma. Ein schlagendes Beispiel dafür gab Bildungsminister Muhammed Nuh, nachdem ein Video eines angehimmelten Popstars beim Liebesspiel mit zwei Freundinnen auf YouTube aufgetaucht war und ungeheuren Wirbel verursacht hatte. Auf die Frage, ob nicht endlich Sexualkunde auf den Lehrplan gesetzt werden solle, antwortete er: «Nein! Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich finde, das sollte man auf natürliche Weise herausfinden.»
Daheim haben Jugendliche nicht viel mehr Glück. Für die meisten ist es unvorstellbar, mit den eigenen Eltern über Sexualität zu sprechen. «Das wäre einfach zu peinlich», sagt die 18-jährige Dianita Permani. «Ich rede lieber mit meinen besten Freundinnen darüber, schaue im Internet nach, lese Schundromane», kichert die Schülerin. «Ich selbst möchte keinen Sex vor der Ehe haben. Aber er ist überall. Ich glaube, ich muss einfach meinem Gefühl folgen und selbst herausfinden, was gut und was schlecht ist.»
Leuten wie ihr möchte Amirin eine unkomplizierte und zuverlässige Informationsquelle bieten. Ihre 15-minütige Sendung in Zusammenarbeit mit einer Fernsehmoderatorin soll zunächst ein offenes Gespräch unter Freundinnen sein und später auch einen Chat einschliessen.
Mythen und Märchen
Zuallererst wollen sie die gängigen Märchen richtigstellen und mit falschen Vorstellungen aufräumen. Dazu gehört die Behauptung, dass Mädchen zu Nymphomaninnen würden, wenn sie nicht beschnitten werden. Derartige Verstümmelungen sind zwar seit 2006 verboten, kommen aber immer noch vor. Ein anderer Volksglaube besagt, dass der Speichel von Geckos gegen Aids hilft. Diese vermeintliche Heilmethode für die tödliche Immunschwächekrankheit, die in Indonesien rasant zunimmt, führte vor einigen Jahren zu einer Hetzjagd auf Geckos und zu einer Preisexplosion bei den Reptilien.
Amirins Aufklärung ist nicht der erste derartige Anlauf. Voriges Jahr richtete die nationale Aids-Kommission eine interaktive Website für Jugendliche und junge Erwachsene ein. Weitere Versuche in den vergangenen zehn Jahren entstanden und gingen wieder ein. Die Sexualpsychologin hofft, dass ihre Aktion länger nachwirkt. «Ich möchte die Denkweise ändern», erklärt sie. «Es ist höchste Zeit, das alle in Indonesien der Sexualität gegenüber aufgeschlossener werden.»
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