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Bienen in Gefahr

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Schaden sie oder schaden sie nicht? Über die Gefährlichkeit bestimmter Insektizide für Bienen streiten Hersteller, Agrarverbände, Naturschützer und Imker seit Jahren. Jetzt belegen zwei neue Studien: Neonicotinoide sind schädlich. Zumindest manchmal.

Für Randolf Menzel ist die Sache ziemlich klar: Insektenvernichtungsmittel aus der Gruppe der Neonicotinoide schaden Bienen und Hummeln. Der Neurobiologe von der FU Berlin hat fast sein ganzes Wissenschaftlerleben der Erforschung dieser Insekten gewidmet. In mehreren Untersuchungen hat er gezeigt, dass die Substanzen unter anderem die Navigationsleistung der Insekten stören und ihr Gedächtnis beeinträchtigen.

Mit dieser Meinung ist er in der Fachwelt nicht allein. Und auch viele Umweltschützer und Imker fürchten, dass diese Insektizide das Überleben der für die Menschen so wichtigen Bestäuberinsekten gefährden. Zwei im Fachmagazin «Science» veröffentlichte Studien aus Großbritannien und Kanada scheinen ihnen nun Recht zu geben: Sie kommen zu dem Schluss, dass Neonicotinoid-Insektizide (NNI) die Gesundheit von Bienen und Hummeln beeinträchtigen.

Störung der Nervenzellen

Neonicotinoide sind synthetisch hergestellte Insektengifte. Die Substanzen binden an einen Rezeptor auf Nervenzellen und stören so die Weiterleitung von Nervenreizen. Häufig werden sie als Saatgutbeizmittel eingesetzt, beim Wachsen verteilt sich das Gift dann in der Pflanze – bis in Pollen und Nektar. So können auch nützliche Insekten wie Bienen und Hummeln die Stoffe aufnehmen.

Die Frage, inwieweit dies den Nutzinsekten schadet, bewegt die Gemüter seit langem. Studien, die negative Auswirkungen fanden, gibt es zuhauf. So zeigten Schweizer Forscher 2016, dass bestimmte NNI die Fruchtbarkeit männlicher Honigbienen verringern und deren Lebensspanne senken. Eine andere Studie zeigte, dass Bienen mit NNI behandelte Pflanzen nicht etwa meiden, sondern sogar bevorzugt ansteuern. Aufgrund mehrerer Untersuchungen beschloss die Europäische Kommission 2013 ein Moratorium, dass die Anwendung der drei als besonders gefährlich erachteten NNI in der EU stark einschränkt.

Kritiker des Moratoriums bemängeln hingegen, die Studien seien nicht unter realistischen Bedingungen durchgeführt worden, Belastungen der Insekten viel höher als im Freiland zu erwarten. Sie führen Studien an, in denen Forscher keine oder nur geringfügige negative Effekte fanden. Die beiden aktuellen Studien dürften die Diskussion um die Substanzen nun weiter anheizen.

Überwinterungsfähigkeit ist gesunken

Was genau wurde untersucht? Ein Wissenschaftlerteam um Ben Woodcock vom britischen Natural Environment Research Council führte Freilandversuche in drei Ländern durch, in Deutschland, Ungarn und in Großbritannien. Finanziert wurde diese Studie von Bayer CropScience und Syngenta, den jeweiligen Herstellern der getesteten Neonicotinoide Clothianidin und Thiamethoxam.

Die Wissenschaftler setzten in den drei Ländern Honigbienen, Erdhummeln und Rote Mauerbienen neben Rapsfeldern aus. An allen Standorten wuchsen auf einem Teil der Felder Pflanzen, deren Samen unter anderem mit NNIs behandelt worden war. Ein Ergebnis: In Großbritannien und in Ungarn sank die Überwinterungsfähigkeit der Honigbienen neben den NNI-Feldern.

Unabhängige Fachkollegen bewerten die erste Studie in Teilen problematisch. Es gebe methodische Schwächen, die gemessenen Parameter seien sehr grob. «Die Menge an Neonicotinoiden, die in der Studie ausgebracht wurden, variieren und es ist auch unklar, warum verschieden hohe Saatgutkonzentrationen ausgebracht wurden, beziehungsweise, wie realistisch die sind», sagt etwa der Ökotoxikologe Carsten Brühl von der Universität Koblenz-Landau. Dennoch zeige die Studie klare Effekte sowohl auf Honig- als auch auf Wildbienen. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)in Leipzig ergänzt: «Die Studie scheint mir bezüglich des Versuchsaufbaus nicht angemessen gut vorbereitet worden zu sein.»

Starke Belastung in der Nähe von landwirtschaftlichen Felder

Eine Ansicht, die der Berliner Forscher Menzel teilt. Er findet es aber immerhin erstaunlich, dass erstmals negative Auswirkungen der NNI in einer Arbeit mitgeteilt werden, die finanziell durch die Hersteller unterstützt wurde.

In der zweiten Studie hatten kanadische Forscher um Nadia Tsvetkov von der York University in Toronto die NNI-Belastung in Kolonien von Honigbienen gemessen, die neben landwirtschaftlichen Feldern oder fernab davon lebten. In den Kolonien neben den Feldern fanden sie deutlich häufiger NNIs und andere Chemikalien – in den Tieren selbst sowie in Pollen und im Honig. Am stärksten belastet waren die Pollen, und zwar erstaunlicherweise zumeist die von Wildpflanzen. Dies deute daraufhin, dass sich die wasserlöslichen NNI von den Feldern in die Umgebung ausbreiten, schreiben die Forscher. Sie zeigten desweiteren, dass unter anderem das Hygieneverhalten der Bienen beeinträchtigt wurde und dass Fungizide die toxische Wirkung der Neonicotinoide verstärken.

Alles in allem scheinen die beiden Studien die Vorbehalte gegenüber den NNI zu bekräftigen. «Beide Studien liefern keinerlei Anhaltspunkte für eine Entwarnung, ganz im Gegenteil», sagt etwa Menzel. Die Studien zeigten erneut die negativen Auswirkungen auf blütenbesuchende Insekten, was in politische Entscheidungen zum vollständigen Neonicotinoidverbot in der EU einbezogen werden sollte, sagt auch Brühl.

Ob die wissenschaftlichen Daten in absehbarer Zeit zu einem dauerhaften Verbot der Substanzen führen, ist indes offen. Eine endgültige Bewertung durch die Zulassungsbehörden steht aus, ebenso wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu einer Klage von Bayer CropScience und Syngenta gegen die Anwendungsbeschränkung.

Ohne Bienen und andere Insekten, soviel steht fest, bekommt der Mensch ein Problem: Die kleinen Brummer sind als Bestäuber unserer Kulturpflanzen kaum zu ersetzen. Allein Bienen bestäuben 71 der 100 Feldfrüchte, aus denen 90 Prozent der Nahrungsmittel weltweit erzeugt werden, schreibt etwa die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) unter Berufung auf Angaben der Welternährungsorganisation (FAO).