Davon geht eine Forschergruppe um den französischen Wissenschaftler Alexandre Courtiol aus, die finnische Kirchenbücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert ausgewertet hat. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» («PNAS») veröffentlicht.
«In den Kirchenbüchern konnten wir für 6000 Menschen zwischen 1760 und 1849 jede Geburt und jeden Todesfall nachvollziehen», berichtet Courtiol. «Wir wissen, wer früh gestorben ist, wer geheiratet hat und wer wie viele Kinder bekam.» Darüber hinaus erlaubten die Bücher einen Blick auf ältere Witwer und Witwen. In vielen Fällen heirateten die verwitweten Männer ein zweites Mal eine junge Frau und konnten so ihre Nachkommenschaft vergrößern. Diese Chance blieb den verwitweten Frauen aus Gründen der einsetzenden Menopause zumeist verwehrt. «Eine solche Datenbasis ist selten, und kaum jemand hat sie bisher so genau ausgewertet», sagte Courtiol.
Im Ergebnis seien auch in dieser vergleichsweise modernen Gesellschaft evolutionäre Kräfte à la Darwin am Werke gewesen: Ein Teil der Finnen schaffte es, deutlich mehr Kinder und damit längerfristig mehr Nachkommen zu haben als andere. «Genau das verstehen wir unter Selektion», sagt der Forscher. «Es gab sie also auch bei den Menschen der Neuzeit.» Es gebe auch andere Studien, die bereits in die Darwin-Richtung zielten und die Annahme stützten, dass das Prinzip der Evolution auch auf den Menschen anwendbar ist und nicht allein für die Tier- und Pflanzenwelt gilt.
«Der Unterschied ist, dass wir in Finnland auf die gesamte Bevölkerung schauen konnten», berichtet Courtiol. Die Hälfte der damaligen Bevölkerung wurde nicht älter als fünfzehn Jahre. «Wir wissen, wer gestorben ist, bevor er selbst Kinder haben konnte. Und wir wissen, wer keinen Partner gefunden hat und deshalb keine Kinder hatte.» Viele frühere Studien hätten nur die Erwachsenen im Blick gehabt – und auch deshalb die Möglichkeit von Selektion unterschätzt.
Courtiols neues Ziel ist es, auch heutige Gesellschaften auf Darwinsche Evolutionsprinzipien hin zu durchleuchten. «Das Prinzip des reinen Überlebens fällt in westlichen Gesellschaften aber schon mal weg, da hier die meisten Menschen heute erwachsen werden», sagt der Wissenschaftler. «Interessant wäre es jedoch zu wissen, wer wie viele Partner und wie viele Kinder hat, um das Ausmaß der heutigen Darwinschen Selektion einschätzen zu können.» Die Beweiskette sei allerdings sehr viel schwieriger zu führen als im vormodernen Finnland: Es gibt keinen Heiratszwang mehr – und keine offiziellen Bücher, die fein säuberlich jeden Lebenspartner auflisten.
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