Abwarten und Grünen Tee trinken – schaden kann es in Maßen nicht. Soviel zumindest ist klar. «Doch DIE eine Botschaft können wir noch nicht verkünden», resümierte Prof. Friedemann Paul am Donnerstag im Berliner Max-Delbrück-Centrum. Dort treffen sich zurzeit internationale Wissenschaftler, um über den Forschungsstand zu Grünem Tee zu diskutierten. Mehr als 100 Studien sind es weltweit, die derzeit die Wirkung der Teesubstanz EGCG auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, Multiple Sklerose (MS), aber auch Krebs, Übergewicht und Herz-Kreislaufleiden untersuchen.
«Doch die eingesetzten Präparate sind nicht immer standardisiert. Manchmal werden Tees eingesetzt, manchmal Extrakte. Die Ergebnisse können deshalb schwer bewertet und verglichen werden», sagt der Neurologe Paul, der an der Berliner Charité im Exzellenzcluster Neurocure arbeitet und das Symposium mit veranstaltet. Er rechnet für Ende 2012 mit ersten verlässlichen Ergebnissen aus einer MS-Studie, von denen derzeit drei an der Charité laufen.
Vorbeugend
«Wir erwarten nicht, dass Grüner Tee eine solche Erkrankung tatsächlich heilen kann. Aber es ist unter Umständen möglich, ihr Fortschreiten aufzuhalten oder der Krankheit vorzubeugen», sagt der Neurologe. «Und die gute Nachricht ist schon jetzt, dass endlich versucht wird, die Wirkung der so genannten Antioxidantien, die durch so viele Artikel und Köpfe geistern, auf solide wissenschaftliche Basis zu stellen.»
Dabei wissen die Forscher oft gar nicht, wie die Polyphenole, zu denen auch EGCG (Epigallocatechingallat) gehört, im Detail funktionieren. «Soweit wir heute wissen, hat EGCG wahrscheinlich einen günstigen Einfluss auf oxidativen Stress», sagt Paul. Im Tierversuch zumindest konnte die Substanz die für Alzheimer typische Bildung bestimmter Fibrillen im Innern von Hirnzellen verhindern. Auch die Deutsche Krebshilfe setzt Hoffnungen auf den Stoff und finanziert mehrere Forschungsprojekte, unter anderem eine große Studie zum Schutz vor Darmkrebs.
Gegen Übergewicht
Übergewichtigen könnte Grüner Tee ebenfalls helfen. «Menschen mit mäßigem Übergewicht und einer Störung im Energiestoffwechsel oder im Fettumsatz nahmen in einer Studie deutlich ab», berichtet der Pharmakologe Michael Boschmann, der am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) von MDC und Charité forscht.
Normalgewichtige oder Adipöse hingegen profitierten nicht von den Tee-Extrakten. «Hier ist die Datenlage bislang widersprüchlich. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird es aber konkrete Ergebnisse geben», sagt Boschmann. Auch könnten große Untersuchungen etwa aus Japan nicht eins zu eins auf Europa übertragen werden. «Dort wird ja nicht nur Grüner Tee getrunken, sondern die Menschen haben auch eine andere genetische Disposition und ernähren sich anders – fast ohne Milch, dafür mit viel mehr Fisch», ergänzt Paul.
Kein Geld, kein Interesse
Fazit: Es muss mehr große, in all ihren Faktoren vergleichbare Studien geben. «Aber die Industrie hat natürlich wenig Interesse an einer Studie, mit der man nachher kein Geld machen kann. Denn Grüner Tee ist ja kein Medikament. Hier ist die Politik in der Verantwortung», sagt Paul. Möglicherweise bestehe die Chance, mit relativ wenig Einsatz immense Kosten für das Gesundheitssystem abzuwälzen – siehe Alterspyramide und Alzheimer.
Bis es jedoch soweit ist, raten die Experten davon ab, ohne Absprache mit dem Arzt präventiv große Mengen Grüntee-Extrakt zu schlucken. «Da macht jemand einfach Kasse dran, und es kann immense Nebenwirkungen geben», warnt Paul. Ein bis drei Liter Grüntee pro Tag hingegen könnten keinen Schaden anrichten.
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