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Wie Erotikhändler Sextoys als Lifestyle bewerben

Wie Erotikhändler Sextoys als Lifestyle bewerben
(dpa/Carsten Rehder)

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Dunkle Videokabinen im Bahnhofsviertel? Verschämte Begriffe wie "Ehehygiene"? Geschichte. Erotikhändler werben heute offensiv für Sextoys. Und zunehmend zielen sie auf Frauen ab.

Hier steckt der Sex in Pappkartons. Dildos, Vibratoren und Dessous rollen verpackt über Fließbänder aus dem Laster ins Hochregallager, um später in diskreten Päckchen verschickt zu werden. Kunden des Flensburger Versandhauses Orion wissen, dass von außen nichts auf den Inhalt der Schachtel hinweist. Noch nicht mal eine Postleitzahl aus Flensburg, die – gerade wegen Beate Uhse – wie keine andere deutsche Stadt für den Erotikartikel steht. Und doch: Die einst verruchten Spielzeuge für Erwachsene werden immer öffentlicher.

«Wie liebst Du diesen Sommer?», «Es rappelt im Karton» oder «Und wann kommst du?» lauten einige der Slogans, mit denen Händler mittlerweile im Fernsehen werben. Ob tanzende Dildos in Comic-Optik im TV oder das 2015 im Berliner Nahverkehr großflächig plakatierte Versprechen «Multiple Orgasmen für 79,90 Euro»: Sextoy-Werbung wird präsenter. Und sie richtet sich immer öfter an Frauen. Der Onlineshop eis.de bezeichnet Frauen inzwischen als «Premium-Zielgruppe».

Premium-Zielgruppe Frauen

Angefangen habe es mit «Sex and the City» und «Fifty Shades of Grey», erzählt Lea-Sophie Cramer. «Plötzlich wurde es gesellschaftsfähig, dass Frauen ihr Interesse an Sexualität bekunden», sagt die 29-Jährige, die daraufhin mit Geschäftspartner Sebastian Pollok die Onlineplattform amorelie.de gründete. Dort verkaufen sie vor allem Sextoys in knalligen Bonbon-Farben. Die beiden wollen raus aus der Schmuddelecke. «Ich glaube, dass das ‹female empowerment›, dass Frauen sich beruflich und privat ausleben können, dass sie gleichberechtigt sind, auch Einfluss auf das Wachstum der Branche hat.» Cramers Unternehmen veranstaltet auch Toyparties, wie der Schüssel-Hersteller Tupper.

«Wenn wir sagen, unsere Produkte gehören zur Mitte der Gesellschaft, dann müssen wir die Mitte der Gesellschaft auch erreichen – tagsüber», sagt Cramer zu den TV-Spots. Das vor vier Jahren gegründete Start-up setzt inzwischen Millionen um. 75 Prozent der Anteile verkauften die Gründer 2015 an die ProSieben-Gruppe.

Maike Rotermund, 40, führt mit Orion einen Erotikversand mit jahrzehntelanger Tradition. Sie profitiert nach eigenen Worten ebenfalls vom freizügiger gewordenen Gesellschaftsklima: «Es ist einfacher, öffentlich zu werden», sagt sie. 2012 schaltete Orion mit als erster Konzern bunte TV-Werbung für Dildos & Co., damals erst nach 22 Uhr.

Werbung – eine Gratwanderung

«Es ist eine Gratwanderung, dafür zu werben, aber die Leute nicht zu überfordern», sagt Rotermund, die 2014 die Leitung des Familienbetriebs mit 67 Millionen Euro Jahresumsatz von ihrem Vater übernahm. «Wenn ich um 8 Uhr was auf dem Tisch liegen habe, habe ich ein anderes Empfinden als abends», sagt sie neben einer Tafel zur Geschichte des Vibrators. Vielleicht wegen dieses Gespürs sind Frauen in der Branche häufig Chefin: Rotermund ist Stief-Enkelin von Beate Uhse, in England führt Jacqueline Gold die Geschäfte von Ann Summers. Auch wenn Rotermund zu dem Geschäft sagt: «Es ist alles zahlengetrieben.»

Orion versucht, alle Geschlechter anzusprechen. «Wenn Sie zu weiblich werden, haben Sie das Problem, dass sich die Männer hier nicht mehr wohlfühlen», sagt Rotermund. Eine Mischung, die offenbar zieht: So bestellten sogar mehr Männer als Frauen den «Womanizer» – eine 189 Euro teure Konkurrenz für den Mann mit Unterdruck, die einer PC-Maus ähnelt.

Doch Amorelie und Orion beschreiben auch einen anderen Trend: Während in den letzten Jahren alles pink und futuristisch designt gewesen sei, würden nun auch naturnähere Abbildungen von Körperteilen wieder gefragter. «Es gibt Kunden, die möchten Sex und nicht Drumherumgerede», sagt Rotermund, in der Hand einen Plastikpenis, «den man nicht im Fernsehen zeigen könnte». Komplett ablegen will sie das althergebrachte Image nicht: «Erotik muss immer ein bisschen verrucht sein.»

«Wir finden, dass Sexualität zum Leben dazugehört»

Doch werden durch offenherzige Werbung Jugendliche nicht noch früher sexualisiert? Gibt es denn überhaupt noch Tabus? «Unser Maßstab ist immer: Könnten Kinder es verstehen?», sagt Unternehmerin Cramer zu den von ihr als «Unterhaltungselektronik» bezeichneten Toys. Kinderaffine Umfelder würden bei der Werbung ausgespart. Cramer sagt aber auch: «Wir finden, dass Sexualität zum Leben dazugehört.» Es sei komisch, dass sie tabuisiert werde und andererseits jedes kleine Kind dank YouPorn und Co. vermeintlich besser aufgeklärt sei, «als ich es mit 20 war».

Der Dortmunder Sexualpädagoge Frank Herrath hält die bunten Werbeclips ebenfalls für harmlos. Der Zeitschrift «TV Diskurs» sagte er: «Das ist bloß eine aufgeregte Fantasie Erwachsener. Dass es Dildos gibt, wissen heute sicherlich mehr Jugendliche als je zuvor. Von ansteigender Dildonutzung in jugendlicher sexueller Interaktion ist mir nichts bekannt.» Falls doch ein Kind fragt, empfiehlt er Antworten, die verstanden werden: «Dass ein Paarvibrator ein Gegenstand ist, mit dem sich zwei Menschen, die sich gernhaben, schöne Gefühle machen können» – das reiche einem Achtjährigen womöglich schon.

Viele Erwachsene behandeln das Thema Sextoys dennoch lieber diskret – und bestellen online. Der Ladenhandel leidet. «Vielen geht es mies», sagt Uwe Kaltenberg, Geschäftsführer des Bundesverbands Erotikhandel. Die Versandhäuser fiebern derweil freudig dem zweiten Teil von «Fifty Shades» entgegen, der im Februar in die Kinos kommen soll. Ein Termin, nach dem die Erotik-Versandhäuser wieder viele Päckchen packen wollen.