«Amerika zuerst!» Mit diesem Motto ging Donald Trump vor allem in wirtschaftlich abgeschlagenen Gegenden auf Wählerfang. Wo ausländische Rivalen ganzen US-Industrien das Wasser abgraben, so das Kalkül, müsste sich Enttäuschung besonders gut in Zustimmung für eine Politik äußerer Abschottung und nationaler Konjunkturprogramme ummünzen lassen. Erste Zahlen aus Washington legten jedoch nahe: Die Lage ist vielerorts gar nicht so arg.
Nun hat das Handelsministerium frische Daten zur Wachstumsverteilung im Gesamtjahr 2016 vorgestellt – und das Bild einer Situation, die vielschichtiger ist, als Trumps Team weismachen wollte, scheint sich zu bestätigen. So war der «Rostgürtel», lange industrieller Kern im Mittelwesten, im Verhältnis zu anderen Regionen nicht so abgehängt wie befürchtet. Michigan – Heimat der einst glänzenden «Motor City» Detroit – konnte etwa inflationsbereinigt um 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zulegen. Ohio kam auf 1,7 Prozent Plus. Angesichts einer Rate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von revidiert 1,5 Prozent für die ganzen USA als größte Volkswirtschaft scheint das nicht schlecht.
Es wirft aber auch die Frage auf, wie Trump den wirklich «schwachen» Staaten mit einer am US-Eigennutz orientierten Strategie helfen wird. Im zentral gelegenen Oklahoma zum Beispiel sackte die Wirtschaft um 2,3 Prozent ab, in Louisiana um 0,6 Prozent. In Alaska (-5,0) und im ländlichen North Dakota (-6,5) schrumpfte das BIP sogar noch stärker.
Ein Hauptproblem: die Infrastruktur. In der Provinz sollen die Verkehrsnetze ausgebaut werden, die Rede ist von einer riesigen Summe von einer Billion Dollar über zehn Jahre – aber wo genau liegen die Prioritäten? Oder die Reform der Unternehmenssteuern, deren Konturen Ende April noch unscharf blieben: Wird es reduzierte Sätze für alle möglichen Branchen geben – oder nur für solche, denen der globale Wettbewerb besonders zusetzt wie Stahl, Kohle oder Landwirtschaft?
Aktive Industriepolitik
Für Bernhard Mattes, Ex-Deutschland-Chef von Ford und Präsident der Amerikanischen Handelskammer in Frankfurt, ist das Gefälle in den USA keineswegs normal. «Und aufgrund der sozialen Unterschiede nichts, worüber man einfach hinweggehen kann – ähnlich wie beim Thema Ost/West in Deutschland.» Natürlich seien die Küsten seit jeher besser aufgestellt und in den Welthandel eingebunden. Für «die Staaten dazwischen» brauche man aber einer aktive Industriepolitik.
Der Kenner beider ökonomischer Giganten USA und Deutschland mahnt: «Neben guter Infrastruktur sollte die Wirtschaftspolitik vor allem Direktinvestitionen unterstützen.» Einst zurückliegende Staaten wie South Carolina zeigten, welche Erfolge möglich seien. Dort hat etwa BMW heute sein größtes Werk. Mattes glaubt, dass das Interesse von Investoren trotz der Zolldebatte groß bleibt, wenn der Rahmen passe.
Infrastruktur ist ein enorm wichtiger Standortfaktor. Ihr Ausbau wird durch höhere Staatsausgaben finanziert, die sich – über sogenannte Multiplikator-Effekte – am Ende in einer noch höheren Produktion niederschlagen sollen. In den Vereinigten Staaten sei der Rückstand teils besonders groß, betont Mattes: Straßen, Brücken, Dämme, stabile Stromversorgung – die Erneuerung müsse «in einigen Regionen dringend geschehen». Wo Trump den Schwerpunkt setze, sei indes noch unklar.
Auch Ökonomen rätseln über Umfang und Aufteilung des angekündigten Milliardenregens. Der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) und «Wirtschaftsweise» Michael Hüther erwartet keine baldige, stimmige Umsetzung. Es mangele Trump weiter an Geschlossenheit im Kongress. «Das Problem ist, dass die republikanische Partei völlig zermürbt ist», meint der Wissenschaftler. «Es passt nichts zusammen.»
Hoffnungen von Trump-Gegnern, der Immobilienmilliardär werde nur eine halbe Amtszeit durchhalten, helfen allerdings wenig. Falls Vize Mike Pence ans Ruder kommen sollte, könnte es etwas berechenbarer, aber kaum einfacher werden, sagt Hüther: «Bei all der Abschottungspolitik wird der auch nicht besser sein. Das ist ja nicht nur Trumps Idee, das kommt bei vielen Menschen in den mittleren Teilen der USA an.»
«Der Protektionismus bleibt auf der Agenda»
Beispiel West Virginia. Früher florierendes Kohle-Revier, BIP-Minus 2016: 0,9 Prozent. Trump versprach den Kumpels, ihre Minen wieder zu öffnen – den Weltmarkt dominieren längst andere. Ein einflussreicher Kohlemanager dämpfte die Erwartungen. Es kämen Jobs zurück, doch das frühere Niveau sei fern, sagte Robert Murray, Chef von Murray Energy in St. Clairsville (Ohio), der Deutschen Presse-Agentur. Landesweit trieben im vergangenen Jahr Dienstleistungen die Wirtschaft. Die alte Schwerindustrie darbt.
Klar ist: Solche Durchschnittsdaten sagen nicht immer etwas über die Lebenswirklichkeit der Menschen aus. Dass Trumps Konzept kombinierter Abschottung und Staatsaufträge ihnen Fortschritte bringt, bezweifeln Experten aber. Zollbelastete, teurere Importe können Kostenvorteile aus besserer Infrastruktur-Anbindung von Firmen wieder auffressen. Im Interview des «Economist» hält der Präsident das neue Wachstumsziel von bis zu 3 Prozent noch für «gering». Volkswirte der Commerzbank fürchten jedoch: «Der Protektionismus bleibt auf der Agenda.»
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