Der ukrainische Gasanbieter Naftogaz hat die EU und Deutschland vor russischer Erpressung durch den Bau einer neuen Gas-Pipeline durch die Ostsee gewarnt. Die zweite Leitung Nord Stream II würde automatisch dazu führen, dass der bisherige Transport russischen Gases durch Polen, die Ukraine und die Slowakei ausgetrocknet werde, sagte Naftogaz-Chef Andrej Kobolew am Freitag in Berlin der Nachrichtenagentur Reuters. Falls Deutschland nur noch russisches Gas durch die Ostsee beziehe, «kann Gazprom dies in verschiedener Weise für Erpressung nutzen – über höhere Preise oder geopolitischen Druck».
Kobolew warnte auch vor Versorgungsproblemen in Westeuropa. Der russische Energiekonzern Gazprom erfülle derzeit nicht seine Verpflichtungen nach dem Transit-Vertrag. Der Druck in den Pipelines durch die Ukraine sei zu niedrig. Das koste zum einen die Ukraine in den Pumpstationen viel zusätzliche Energie, um das Gas weiter nach Westen zu leiten. Zum anderen bedeute dies weniger Verlässlichkeit der Gasversorgung für Europa. «Ich kann nicht ausschließen, dass es auch in diesem Winter wieder eine Gaskrise gibt», warnte er. Allerdings gehe es dabei nicht mehr um ein Mangel an Gas in der Ukraine selbst. Wie schon im vergangenen Jahr werde die Ukraine auch jetzt kein Gas in Russland, sondern nur in Westeuropa kaufen. Betroffen sein könnte aber das Gas, das durch die Ukraine nach Westeuropa geliefert werden soll.
Kobolew forderte die EU-Kommission auf, wie schon bei der zunächst geplanten russischen South Stream Pipeline auch für Nord Stream II die Auflage zu erheben, dass die Gasroute dem dritten Energiepaket entsprechen müsse. Damit würde die Pipeline sofort gestoppt werden. Der Ukraine sei beim Bau der ersten Pipeline versprochen worden, dass sich dies nicht auf die eigenen Transite auswirken würde – das Gegenteil sei aber der Fall gewesen. «Polen und die Ukraine haben in genau das Volumen an Transitgas verloren, das durch Nord Stream I gepumpt wurde.» Beide Länder fürchten den Verlust von Einnahmen wegen der Durchleitungsgebühren. Denselben Effekt der Verlagerung werde es beim Bau einer zweiten Pipeline geben, warnte Kobolew.
Kobolew: Gazprom erfüllt Transitvertrag nicht
Russland verfolge mit der sehr teuren, kaum wirtschaftlichen Pipeline keine kommerziellen, sondern vor allem geopolitische Interessen. «Ich glaube nicht, dass dies wirklich mehr Diversifizierung bedeutet», sagte Kobolew mit Blick auf die erklärten EU-Pläne, die Abhängigkeit von Gaslieferungen einzelner Länder zu verringern. «Der wahre Grund ist, dass die Russen die Pipeline als Mittel und Waffe benutzen, um ihre Ideen voranzubringen», sagte er.
Gazprom hatte Anfang der Woche bekanntgegeben, dass der Bau von Nord Stream II auf Kurs sei. Früheren Angaben zufolge soll die Pipeline Ende 2019 in Betrieb gehen. Offen ist die Finanzierung des knapp zehn Milliarden Euro teuren Projekts. Bislang wollte Gazprom ein Gemeinschaftsunternehmen mit Uniper, Wintershall, Shell, OMV und Engie gründen.
Die Ukraine und Russland streiten seit Jahren über Gaslieferungen. Zu Zeiten, in denen die Ukraine selbst noch Gas aus Russland bezog, stritt man sich vor allem über die Preise und nicht bezahlte Rechnungen. Vor dem Schiedsgerichtshof in Stockholm sind derzeit zwei Verfahren anhängig, in dem es um ausstehende Rechnungen und Verpflichtungen aus dem Transitabkommen geht. Er erwarte, dass beide Verfahren zur Jahresmitte abgeschlossen werden, sagte Kobolew. Er sei «vorsichtig optimistisch». Vor einem Urteil werde die Ukraine auf keinen Fall der russischen Forderung von 5,3 Milliarden Dollar für angeblich unbezahlte Gaslieferungen nachkommen.
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