75 Jahre FinanzaufsichtKrisen und Pleiten bringen den Fortschritt

75 Jahre Finanzaufsicht / Krisen und Pleiten bringen den Fortschritt
„Die Geschichte vom Finanzplatz ist spannend“, so CSSF-Direktor Claude Marx. „Und bisher wurde viel zu wenig über sie geschrieben.“ Foto:  Editpress/Anne Lommel

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Für die Luxemburger Steuereinnahmen spielt der Finanzplatz seit vielen Jahren einer übergeordnet wichtige Rolle. Doch die Geschichte des Platzes kennen nur wenige. Um Historiker mit Rahmen-Daten zu inspirieren, hat die Finanzaufsicht CSSF zu ihrem 75. Geburtstag ein Buch und einen Film veröffentlicht.

„Pierre Werner“ ist in Luxemburg ein sehr bekannter Name. Während 20 Jahren war er Premierminister von Luxemburg. Das weiß jeder, der sich hierzulande für Geschichte interessiert. Deutlich weniger bekannt ist, dass er in den Jahren 1945 bis 1949 auch Luxemburgs erster Bankaufseher war.

Vor fast genau vor 75 Jahren wurde das „Commissariat au contrôle des banques“ gegründet. Es waren schwierige Zeiten: Während der deutschen Besatzung waren die luxemburgischen Geldscheine in Hochöfen der Stahlindustrie verbrannt und durch die Reichsmark ersetzt worden. Nach dem Krieg mussten dann diese Scheine wieder eingesammelt und durch neue, in den USA gedruckte „Luxemburger Franken“ ersetzt werden. Zudem mussten sich die Banken des Landes nach dem Kahlschlag in den Besatzungsjahren wieder neu aufstellen. All diese Umstellungsprozesse galt es zu begleiten und zu überwachen. Erst danach konnte die neue Behörde mit der eigentlichen Überwachung des Bankensektors beginnen. Gerade mal zwölf Banken hatte die Handvoll Mitarbeiter des „Commissariat“ damals im Blick zu halten.

Die zwei großen Missionen seien auch damals schon der Schutz der Sparer und die Stabilität des Finanzsektors gewesen, so Claude Marx, Direktor der CSSF („Commission de surveillance du secteur financier“). Inspiriert hatte sich Luxemburg in den USA, der Schweiz und Deutschland, wo es bereits Bankenaufsichten gab. Teils sei die Behörde sehr geprägt von den jeweiligen Chefs gewesen, so Marx – in den 75 Jahren gab es nur sieben. „Ausgelöst durch Skandale, Pleiten und Krisen wurden die Regeln immer strenger, immer besser.“

„Der Ruf ist etwas Wesentliches“

Zurück zur Geschichte: Nach den 1960er Jahren, mit der Notierung von Euro-Dollar-Anleihen an der Luxemburger Börse, begann die Internationalisierung des Platzes. Noch einige Jahre später folgte der Boom bei den Investmentfonds. Im Jahr 1973 wurde die Marke von 50 Banken überschritten. Der Aufgabenbereich der Finanzaufsicht (anfangs nur Banken) wurde nach und nach ausgeweitet, die Zahl der Mitarbeiter wuchs. 

Die Chronologie im neuen Buch soll Historikern eine gute Öffnung bieten, um die Geschichte des Platzes aufarbeiten zu können
Die Chronologie im neuen Buch soll Historikern eine gute Öffnung bieten, um die Geschichte des Platzes aufarbeiten zu können Foto: Editpress/Anne Lommel

Ein weiteres einschneidendes Ereignis war, als Belgien, mit dem Luxemburg eine Wirtschafts- und Währungsunion hatte, 1982 den gemeinsamen Franken ohne Absprache mit Luxemburg, abwertete (siehe Tageblatt-Gespräch mit dem damaligen Finanzminister Jacques-Santer vom 31.12.18). Luxemburg begann die Fundamente für eine eigenständige Währung zu legen und ein Jahr später wurde das IML („Institut monétaire luxembourgeois“) gegründet. Eine ganze Reihe Jahre später entstanden dann die heutige CSSF und die Luxemburger Zentralbank. Nach der Finanzkrise von 2008 wiederum (siehe Tageblatt-Artikelserie von Oktober 2018) kam die europäische Aufsicht hinzu.

Heute gilt der Finanzplatz als wichtigster in der EU. Um die 130 Finanzinstitute und fast 50.00 Mitarbeiter sind hier aktiv. Vor allem der Bereich der Investmentfonds hat in den letzten Jahrzehnten stark an Gewicht zugelegt. Er steht für etwa ein Drittel der nationalen Wirtschaftsleistung. Er spielt auch eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, auch wenn es nun wieder um die Erholung von der aktuellen Krise geht. Gehofft wird im Sektor – und von der Politik – auf ein Boom bei nachhaltigen und grünen Finanzprodukten.

„Für Luxemburgs Finanzplatz ist der Ruf etwas Wesentliches“, unterstrich Finanzminister Pierre Gramegna diese Woche bei der Vorstellung von Buch und Film zum Geburtstag von Luxemburgs Finanzaufsicht. „Eine starke CSSF hilft uns, wettbewerbsfähig zu sein.“ Allein während seiner Zeit als Finanzminister (seit 2013) hat sich die Zahl der Mitarbeiter der Aufsicht auf über 900 Personen mehr als verdoppelt. „Es ist eine Familie, die mit dem Finanzplatz wächst.“ Seriöse finanzielle Akteure kämen „nicht wegen minimaler Überwachung ins Land“, so der CSSF-Direktor. „Sie kommen wegen einer seriösen Aufsicht. (…) Dass man in die Finanzinstitute Vertrauen haben kann, ist unsere Aufgabe.“

Auf Luxemburgisch erzählen Zeitzeugen

Man könne eine historische Aufarbeitung nur begrüßen, so Kulturministerin Sam Tanson. Vor allem die im vorgestellten Buch „Surveillance, indépendance et intégrité. 75e anniversaire du contrôle prudentiel et de la surveillance de la place financière au Luxembourg“ enthaltene Chronologie liefere Forschern eine gute Öffnung, auf die sie weiter bauen können. Die Archive der Finanzaufsicht wurden derweil zum großen Teil in den Nationalarchiven eingelagert und seien dort nach den Regeln der ANLux zugänglich. Das Buch wurde von der CSSF in Zusammenarbeit mit dem C2DH (Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History) von der Luxemburger Universität erstellt. 

Wer auf der Suche nach pikanten Details zu den Skandalen der Vergangenheit ist, wird vom Buch enttäuscht sein. Jedoch ist der Film „D’Iwwerwaachung vun der Finanzplaz (1945-2020) – eng onerzielte Geschicht!“ auch für ein breiteres Publikum erreichbar. Auf Luxemburgisch erzählen Zeitzeugen – mit Witz und Anekdoten – die Geschichte der Aufsichtsbehörde. Auch schwierigere Episoden werden nicht vergessen, von Bernie Cornfeld über die BCCI (Bank of Credit and Commerce International) bis hin zum Bankgeheimnis und Bernard Madoff. Den Film von Claude Lahr kann sich jeder kostenlos auf https://vimeo.com/468582098  (1h23min) oder auf Tageblatt.lu unter dem Artikel anschauen.