Wenn der europäische Stahlverband Eurofer in Brüssel zu seinem Stahltag lädt, dann ist das ein Gipfel der europäischen Schwerindustrie bei dem sich Industrielle und Politiker zum Meinungsaustausch treffen und diplomatisch unverbrämt über die Situation einer Branche reden, die in der Europäischen Union immer noch 330.000 Arbeitsplätze sichert.
Am Montagabend in Brüssel war beim Abendessen mit Industrievertretern und Ministern und Staatsekretären aus den 24 Eurofer Mitgliedsländern in Europa von Standortsicherheit nicht mehr viel die Rede. Alleine im Monat Oktober verlor die Stahlindustrie beinahe 5.000 Arbeitsplätze. Davon 4.000 in Großbritannien durch die Schließung des Stahlwerks durch Tata. Der Konzern trennte sich von 1.200 Mitarbeitern. Tata wird sich von seiner Langstahlproduktion in Europa trennen. Betroffen davon ist auch die Produktion von Schienen für den Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverkehr im lothringischen Hayange, für die sich ein US-Investor interessiert. Weitere 1.000 Arbeitsplätze gingen in anderen Eurofer-Ländern verloren.
Nur ein Vorbote
Glaubt man der europäischen Vereinigung der Stahlhersteller, dann ist das Geschehen auf der britischen Insel nur der Vorbote dessen, was in anderen europäischen Ländern kommen kann. Quer über Europa gibt es 500 Stahlstandorte. Ihre Zahl ist im Rahmen der strukturellen Veränderungen in den vergangenen drei Jahren insbesondere in Belgien im Bereich von Lüttich geschrumpft, aber auch in Lothringen, wo die Hochöfen von Hayange/Florange und das Elektrostahlwerk von Gandrange ihre Produktion einstellten. Der Marktführer, ArcelorMittal, ist in Europa wieder in die roten Zahlen zurückgefallen. Kein europäischer Stahlhersteller, egal ob ThyssenKrupp oder Vallourec oder ArcelorMittal oder Salzgitter oder Voest, ist mit der Situation wirklich zufrieden. Alle Hersteller haben im dritten Quartal schlechte Geschäfte gemacht. Und das, obwohl sich alle soweit restrukturiert haben, dass sie mit der neuen Situation leben können. Denn: Die Stahlindustrie hat sich in Europa nach der Wirtschaftskrise, die auf die Finanzkrise folgte, nicht wieder erholt. Der Markt stagniert bei 27 Prozent unter der Situation des Jahres 2007.
Europa ist nach China die zweitgrößte und zweitwichtigste Weltregion für Stahl. Aber, der Weltmarkt-Anteil sinkt kontinuierlich. Im Jahre 2001 hatte Europa einen Weltmarktanteil von 22 Prozent. Der ist auf zehn Prozent gesunken. Der chinesische Anteil an der Weltproduktion stieg auf 50 Prozent. So lange, wie die Chinesen ihren Stahl verbrauchten, hatte das keine Bedeutung. Mit dem Abflauen der Konjunktur in China aber überfluten die Chinesen die Märkte mit den Mengen, die sie selber nicht benötigen.
Preiseinbruch
Die Folge: Die Preise brechen ein. Die Lagerbestände müssen in den Bilanzen in ihrem Wert gesenkt werden. Die europäischen Unternehmen geraten in die Verlustzone. Das ist gerade bei ArcelorMittal geschehen. Kein Wunder, dass Robrecht Himpe, Präsident von Eurofer und gleichzeitig geschäftsführender Vizepräsident von ArcelorMittal, von der Europäischen Kommission fordert, für die Chinesen den europäischen Stahlmarkt teuer zu machen. Durch Sonderzölle sollen die Dumpingpreise aus Asien auf konkurrenzfähiges, europäisches Niveau angehoben werden. In der Europäischen Kommission will man aber so weit nicht gehen. Man habe doch schon für 37 Produkte Sonderzölle verfügt, antwortet sie. „Das reicht nicht“, gibt Himpe zurück. Man müsse den gesamten chinesischen Stahlexport mit Sonderzöllen belegen.
Die Stahlindustrie ist offensichtlich dabei, sich wegen der chinesischen Überflutung aus dem offenen Weltmarkt zu verabschieden. Sie regionalisiert sich. Denn: In den USA verlangen die Stahlhersteller – wie die europäischen – die Einführung von Sonderzöllen für Stahlimporte. Und dort stehen – Ironie einer protektionistischen Politik – auch europäische Produkte auf der Liste, gegen die Sonderzölle eingeführt werden sollen.
Es sind nicht nur die 340 Millionen Tonnen Überkapazität der chinsesischen Produktion – das Doppelte der gesamten europäischen Produktion – die den europäischen Stahlherstellern Kopfzerbrechen bereiten. Im Rahmen der Restrukturierungen der europäischen Stahlindustrie sind seit 2008 bereits 85.000 Arbeitsplätze verschwunden. Weitere werden durch die europäische Politik bedroht. Während die Stahlpreise, und damit die Erlöse, sinken, wird die Elektrizität teurer. Und auch die Diskussion um die Umweltschutznormen in Europa, verbunden mit der Auseinandersetzung um die Menge und die Preise der Umweltzertifikate machen die Situation in Europa in den Augen der Stahlindustrie nicht besser. Politiker und Vertreter der Europäischen Kommission nahmen von dem Abendessen mit, was Aditya Mittal, Finanzchef und Europachef des ArcelorMittal Konzerns beim Europa-Pressetag des Konzerns in Paris im Oktober bereits gesagt hatte: Europa steuere auf den Zeitpunkt zu, wo man delokalisieren müsse, weil man in Europa keinen Stahl mehr produzieren könne.
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